Where I was from

Herkunft Woher stamme ich? Das dürfen nun auch Kinder von Samenspendern wissen. Und auch Babyklappen sollten nicht weiter anonym bleiben
Wenn Sperma heutzutage auf eine Eizelle trifft, muss es sich dabei nicht unbedingt um Geschlechtsverkehr handeln
Wenn Sperma heutzutage auf eine Eizelle trifft, muss es sich dabei nicht unbedingt um Geschlechtsverkehr handeln

Foto: science photo library/zephyr/dpa

Der Held, der in Unkenntnis des Orakels den Vater erschlägt und seine Mutter heiratet; Ausgesetzte, die im Wald überleben; Armenhauskinder, die eigentlich Prinzen sind: Die Literatur ist reich an Geschichten, in denen eine unbekannte Herkunft Quell von feudalen Erbverwicklungen oder inzestuösen Beziehungen ist. Diesen Erzählungen liegt ein Ursprungsmythos zugrunde, der die Frage der Herkunft mit der nach Identität und Sein verknüpft. Die Fantasie kreist um eine biologische Substanz, die bis noch vor hundert Jahren zwar opak bleiben konnte, aber eindeutig auf zwei Erzeuger zurückging.

Erst die moderne Reproduktionsmedizin, die ihren Ausgang nahm mit der Samenspende – die eigentlich Spermienspende heißen müsste, um die Frauen nicht einfach zu einem „Gefäß“ zu degradieren –, hat diese Dyade in eine biologische, genetische und soziale Elternschaft gesplittet, mit immer größerer Variationsbreite. Im September vergangenen Jahres waren beispielsweise die Briten dazu aufgerufen, über eine neue Fortpflanzungstechnik zu entscheiden, mittels der ein Baby künftig drei genetische Elternteile haben kann.

So ist es vielleicht ein zeitlicher, aber sicher kein sachlicher Zufall, dass die Herkunft von Kindern nun in zwei ganz unterschiedlichen Zusammenhängen in den öffentlichen Diskussionshorizont gerückt wird (Siehe auch Kasten). Vergangene Woche hat das Oberlandesgericht Hamm mit einem aufsehenerregenden Urteil die Rechte von Kindern, die durch eine Samenspende gezeugt wurden, gestärkt. Im anderen Fall geht es um die Aussetzung ungewollter Babys in sogenannten Babyklappen, derzeit immer noch eine rechtliche Grauzone, die Familienministerin Kristina Schröder (CDU) seit längerem aufgefordert ist zu schließen. Das Gesetz sollte Anfang Februar im Bundestag beraten werden, aber offenbar gibt es immer noch Abstimmungsbedarf.

Dringende Identitätsfragen

Beide Themenfelder scheinen auf den ersten Blick weit auseinander zu liegen: hier die immer folgenreichere Schneisen in die Fortpflanzung ziehende Reproduktionsmedizin; dort die ziemlich hilflose und archaische Praxis der Kindesaussetzung. Doch im Zentrum geht es immer um ein Kind, das um seine Abstammung gebracht wird. Sei es, weil ein Spender anonym bleiben will oder eine Mutter ihre Identität nicht offenlegt. Erfahren Betroffene heute im Erwachsenenalter, dass sie mittels Spendersamen gezeugt wurden, reagieren sie schockiert und wütend. Sie fühlen sich wertlos, weil man, wie die Selbsthilfegruppe Spenderkinder auf ihrer Website schreibt, es nicht einmal für nötig hält, die Daten über ihre Herkunft aufzubewahren. Für Kinder, die anonym abgegeben wurden, ist es sogar ein zweifacher Schock: Nicht nur wurden sie als Baby weggegeben, ihre Mutter hat es noch nicht einmal für nötig befunden, ihnen eine Identität mitzugeben.

Ein Kind kann sich seine Eltern nicht aussuchen – wohl aber die Eltern ihr Kind. Im El Dorado der Repromedizin, bei der California Cryobank, wird schon mit der unbegrenzt freien Wahl geworben: Haar- und Augenfarbe, ethnische Herkunft, auch kann nach Größe und Temperament, Ausbildung und Vorlieben weiter differenziert werden. Für den potenziell blonden, blauäugigen und hellhäutigen Nachwuchs stehen derzeit 30 Samenspender bereit, der letzte Neuzugang hat einen Mathe-Master und soll Kevin Costner ähnlich sehen.

In Deutschland, wo die Samenspende von der Bundesärztekammer im Jahr 2006 für verheiratete Paare für ethisch unbedenklich erklärt wurde – Lesben und Schwule sowie Unverheiratete bleiben nach wie vor diskriminiert –, werden spendewillige Männer auf ihre Gesundheit geprüft und ihr Sperma auf Fortpflanzungsqualität. Einige Wünsche dürfen die bestellenden Eltern äußern, etwa Aussehen und Bildungsgrad. Und die Reproduktionsmediziner, so Andreas Hammel von der Erlanger Samenbank, bemühen sich dann, „den Phänotyp von Spender und Vater so weit wie möglich auszugleichen.“

100.000 Kinder wurden nach vorsichtigen Schätzungen hierzulande auf diese Weise gezeugt, 4.500 bis 5.000 jedes Jahr. Allmählich werden die Kinder erwachsen, aber nur ein Bruchteil erfährt, dass sie einen biologischen Vater aus dem Tiefkühlfach haben. Auch die 21-jährige Sarah P. weiß erst seit vier Jahren, dass ihr Vater nicht ihr leiblicher Vater ist, sondern aus den Samenbankbeständen von Thomas Katzorke stammt, der seit über 30 Jahren ein „nach DIN ISO 9001 zertifiziertes“ Reproduktionszentrum in Essen betreibt. Er saß schon mit am Diskussionstisch, als die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) im Mai 2000 den ersten Anlauf unternahm, ein umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz auf den Weg zu bringen. Wäre Fischer nicht aus dem Amt gedrängt worden, hätte Sarah P. vielleicht nie vor Gericht ziehen müssen.

Doch so wollte die Studentin der Geschichte wissen, wer für ihre genetische Ausstattung, für ihr Aussehen, unter Umständen auch für ihr Verhalten verantwortlich ist und klagte zunächst vor dem Landgericht Essen auf Herausgabe der Spenderdaten. Dort wies man sie vor einem Jahr mit Hinweis auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht des anonymen Spenders ab. Vom Oberlandesgericht Hamm erhoffte sie sich eine zweite Chance, die Identität ihres Erzeugers zu erfahren.

In eine noch tiefere Identitätskrise können Kinder geraten, wenn beide Elternteile unbekannt bleiben, weshalb Adoptionen heutzutage offener gehandhabt werden. Die Spuren der Herkunft sollen nicht verwischt und das Kind frühzeitig damit vertraut gemacht werden, dass es Eltern gibt, die es gezeugt haben. „Wir halten die Adoptiveltern an, den ersten Eltern einen emotionalen Platz im Leben des Kindes einzuräumen“, erklärt die Psychotherapeutin Irmela Wiemann. Untersuchungen zeigten, wie belastend die Spurensuche nach leiblichen Verwandten ist und dass die Fantasien über die Gründe der Weggabe bei manchen Betroffenen das ganze Leben überschatten.

Dies gilt umso mehr, wenn ein Kind in einer Babyklappe abgelegt wird. Das Angebot wird damit legitimiert, dass die anonyme Abgabe Leben retten kann. Doch eine 2012 veröffentlichte Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zeigt etwas anderes: Babyklappen sind ein Angebot zur Konfliktvermeidung; sie werden von jungen Müttern, die sich in einer diffusen aktuellen Angst und Sprachlosigkeit befinden, in Anspruch genommen. In über der Hälfte der Fälle geben die Frauen ihre Kinder anonym ab, zwischen 2000 und 2009 wurde für 331 solcher Kinder ein Adoptionsverfahren eingeleitet. Wie schon der Deutsche Ethikrat kommt auch das DJI zum Schluss, dass die derzeitige Rechtslage in Widerspruch zur Praxis steht und eine Duldung „keine konstruktive Lösung“ darstelle.

Häufig Tragödien

Die Rechtslage wird zum einen bestimmt von der UN-Kinderrechtskonvention von 1989: Danach hat jedes Kind ein Recht darauf, seine Abstammung nachvollziehen zu können. Dieses Grundrecht (Artikel 2 Abs.1 GG) wurde vom Bundesverfassungsgericht 1989 und 1997 bestätigt und kann nicht nur von sogenannten Spenderkindern geltend gemacht werden, sondern auch von anonym Geborenen. Der Staat hat – wie beim Adoptionsverfahren – sicherzustellen, dass die Namen der leiblichen Eltern, aber zumindest der der Mutter im Rahmen einer „vertraulichen Geburt“ niedergelegt wird.

Im Fall der Samenspende kollidiert das Kinderrecht mit dem Selbstbestimmungsrecht des Vaters, der in der Regel in einer privatrechtlichen Vereinbarung mit der beauftragten Klinik seinen Wunsch auf Anonymität bekundet und sich jeglicher Unterhaltspflicht entledigt. Ein solcher Vertrag, der zu Lasten Dritter geht, ist jedoch nichtig, wie auch das OLG Hamm befand. Und obwohl zum Zeitpunkt der Samenspende eine nur zehnjährige Aufbewahrungsfrist galt, musste der Betreiber der Samenbank davon ausgehen, dass auch danach Ansprüche von Spenderkindern geltend gemacht würden.

Mittlerweile ist durch das Gewebegesetz und die Revision des Transplantationsgesetzes immerhin sichergestellt, dass die Unterlagen über anonyme Samenspender 30 Jahre lang vorgehalten werden müssen. Im Vergleich zu Großbritannien, wo ein spezifisches Register für Kinder von Samenspendern eingeführt wurde, und Schweden, das eine 70-jährige Frist vorsieht, ist das immer noch kurz, wenn man bedenkt, dass erst erwachsene Kinder die Entscheidung treffen können, ob sie ihrer biologischen Herkunft nachgehen wollen.

Die Aufdeckung einer Elternschaft kann dramatische Folgen nach sich ziehen. Sarah P. wollte lediglich wissen, wer ihr Vater ist und ob er Träger von Erbkrankheiten ist, einen dauerhaften Kontakt wünscht sie nicht. Das wirkt kühl und verweist auf eine neue Generation, die es gewohnt ist, Risiken abzuchecken.

Aber was, wenn da zwei zusammenkommen, die verschiedene Absichten verfolgen und unterschiedliche Interessen haben? Wenn ein erwachsenes Kind plötzlich doch eine Adoption anfechtet, um den biologischen Vater zu beerben? Wenn ein Samenspender sich in die Belange des von ihm gezeugten Kindes einmischt? Und was ist mit den vom Spender großzügig verstreuten Geschwisterkindern, die vielleicht einzige verwandtschaftliche Bindung eines Spenderkindes? Der Stoff, der aus solchen unübersichtlichen Beziehungen erwächst, ist kein nur literarischer und höchst explosiv.

In Ländern, in denen die anonyme Geburt eine lange Tradition hat wie in Frankreich oder wo der Umgang mit den Angeboten der Reproduktionsmedizin großzügiger gehandhabt wird, gibt es inzwischen zahlreiche Selbsthilfegruppen, die bei der Suche nach leiblichen Eltern oder Geschwistern behilflich sind. Manchmal ist das mit Familientragödien verbunden, aber immer mit Wut, Trauer, Schmerz.

Ödipus, Sohn des Königs von Theben, ist eine mythologische Figur, die diese tiefe und schmerzhafte Spur im abendländischen Bewusstsein hinterlassen hat. Den Kaspar-Hauser-Kindern in der Literatur widerfährt auf die eine oder andere Weise Gerechtigkeit. Es scheint, ungeachtet aller medizintechnischen Künste und frivolen Denkbewegungen, die die Bindungslosigkeit zum Ziel der Existenz verklären, ein tiefes Bedürfnis nach Ursprung im Menschen zu geben. Ungeachtet aller sozialen Netze, so befriedigend sie auch erlebt werden, gibt es Menschen, die wissen wollen, woher sie kommen. Wir sollten ihnen endlich Rechtssicherheit geben.

Urteil zur Samenspende

Am 6. 2. 2013 urteilte das Oberlandesgericht Hamm, dass ein durch heterologe Samenspende gezeugtes Kind Anspruch hat, seine Abstammung zu erfahren. Der Arzt ist zur Auskunft auch dann verpflichtet, wenn ein privatrechtlicher Vertrag mit dem Samenspender dessen Anonymität schützt und die Aufbewahrungspflicht von Spenderdaten bereits abgelaufen ist. Das Interesse der Klägerin, so die Richter, ihre Abstammung zu erfahren, sei höher zu bewerten als das Geheimhaltungsinteresse des Arztes (ärztliche Schweigepflicht) und des Samenspenders. Der Arzt wird verpflichtet, die drei infrage kommenden Namen zu nennen, ansonsten drohen Zwangsgeld und Zwangshaft. Eine Revision gegen das Urteil ist nicht zugelassen. Juristen verweisen darauf, dass nach dieser Entscheidung Samenspender damit rechnen müssen, nicht mehr anonym zu bleiben und unter Umständen unterhalts- und erbpflichtig zu werden.

Anonyme Geburt

Auch Kinder, die anonym geboren oder in Babyklappen abgelegt werden, haben ein Recht auf ihre Abstammung. Deshalb ist die seit 13 Jahren gängige Praxis, Kinder ohne Hinterlassung ihrer Identität abzulegen, mit dem Persönlichkeitsrecht nicht vereinbar. Zudem hatten Missstände bei den Babyklappen-Betreibern, die Meldefristen missachteten und teilweise als Adoptionsvermittler fungierten, zum Handeln genötigt. Familienministerin Kristina Schröder hat ein „Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt“ vorgelegt, nach dem Schwangere zur Beratung verpflichtet werden und dazu ihre Daten zu hinterlegen. Das Kind soll ab dem 16. Lebensjahr dazu Zugang erhalten. Die Babyklappen sollten nur für eine Übergangszeit von acht Jahren weiter bestehen. Doch diesen Plan hat Schröder zurückgezogen, nachdem einige Länder Widerstand angekündigt haben. Nun wird die von Experten kritisierte Abgabepraxis der Babyklappen wohl fortgesetzt werden.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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