Samstagabend. Auftakt der Bundesliga-Saison. Weit ab vom Schuss sitzt die Männer-Szene des Dorfes im Hinterzimmer, jeder ein Weißbier vor sich, kristall oder hefig-matt. Beim Gang aufs Örtchen sehe ich sie die Arme hochreißen. Dass dabei einer traurig ausschaut, bemerke ich erst, als sich die Herren nach dem Spiel in der Schankstube neben uns niederlassen. Ausgiebig kommentieren sie die Begegnung zwischen dem VfL Bochum und den Franken. Dass Bochum heute noch immer an der Tabellenspitze steht, wird den Traurigen bestätigen. Vor drei Wochen wagte er sich kaum aus der Reserve.
Glücklicherweise schweift das Gespräch schnell ab, wendet sich anderen Rundungen zu. "Naa, das soan doch Silikkon-Titten bei der!", führt einer das große Wort. Woran er das
er das merke, will sein Nachbar wissen. Das sei doch alles "viel zu brrall", juchzt der Leitbulle, und dann kreist die Rede darum, ob und wann er das schon mal ausprobiert habe. Um wen es geht, ist nicht zu ermitteln, nur einer in der Runde - aber nicht etwa der abtrünnige Fan - verbürgt schüchtern: "Die soan ächt". Als der Herrgott sein "Füllhorn über der Gegend ausgeschüttet hat", heißt es im lokalen Touristenführer, müsse er besonders guter Laune gewesen sein, denn er habe ihr massenhaft Kirchtürme beschert. Deshalb heißt die gottvergessene Ecke heute noch Pfaffenwinkel. Nicht nur mit den Kirchen hat es der Herr gut gemeint, sondern auch mit den himmlischen Schleusen, die sich ein paar Tage vor dem ostbayerisch anschwellenden Hochwasser hierzulande geöffnet haben. Seit zwei langen, nassen Tagen hat uns der liebe Gott nun an die Moosbeckalm gefesselt. Ein bisschen eigenartig kam uns das Etablissement schon vor, als wir dort Zuflucht suchten, jedenfalls war es nicht das, was wir uns unter einem ruhigen bayerischen Landhotel vorgestellt hatten. Auf die schwulstige "König-Ludwig-Suite" verzichteten wir und nahmen dafür den überlebensgroßen Herrgott in Kauf, der uns beim Verlassen unseres Zimmers kreuzweise überfiel. Morgens zum Frühstück begegneten wir im wirklich hübschen Wintergarten dann einem recht beleibten Herrn in samtenem Strampelanzug, preußisch(!)-blau, garniert mit bürgermeisterlicher Goldkette, darüber ein allerseits wackelndes, kindlich-freundliches Lächeln. Begrüßt wurde er vom wadenfrei-lederbehosten Inhaber. Schon am Abend vorher waren uns im Restaurant die männlichen Pärchen aufgefallen. Hätten wir da schon den unentgeltlich gelieferten Holiday-Event zur Kenntnis genommen, wäre uns das Staunen erspart geblieben. "In München", teilte uns das Anzeigenblatt der oberländischen Gastronomie mit, sei das "idyllische Fleckchen Erde" aus der "einschlägigen Literatur" nämlich lange bekannt bei "Männern, die Männer lieben". Ach, so! Als berlin-gestählte Urbanisten hätte uns das natürlich cool gelassen, wären wir nicht allmorgendlich gegen fünf von einem höllisch lärmenden Plumps über uns aus dem Schlaf gerissen worden. Wir wissen nicht, ob da die im Blatt gepriesene "Gay-Hochzeit" statt gefunden hat. Aber das im Garten des Hauses nachempfundene Neuschwanstein ist einfach herzallerliebst. Die Tochter unserer Gastgeber im Landkreis Bad Tölz (oder war es Garmisch?) hatte indes umgekehrte Beschwerden. Auf dem Balkon unserer Ferienwohnung fanden wir ein zerfleddertes Ringbuch, aus dem hervorging, dass die fünfzehnjährige Göre offenbar bei den Missionsdominikanerinnen ihre Bildung genießt. "Hinter hohen Mauern und von Lesben umgeben", vermerkte das sichtlich abgenervte Mädchen neben einschlägigen Zeichnungen, "ist man in Sicherheit". Liegt da das bayerische PISA-Wunder begraben? Indessen - zumindest bevor die nicht nur symbolische, sondern reale "Große Flut" das Land überspülte - hatte die Gegend noch andere Sorgen, die in der Bad Tölzer Beilage der Süddeutschen Zeitung immer ausführlich dokumentiert wurden: "Unbekannter schlägt Almhütte ein", meldete das Blatt beispielsweise und vermerkt, dass dabei "ein Schaden von rund 50 Euro" entstanden sei. Öffentlich an den Pranger gestellt wurde auch eine 56-jährige Autofahrerin, die "mit 0,5 Promille" unterwegs gewesen, die, ebenso wie ein 26-jähriger Roller-Fahrer und ein 39-jähriger Schäftlarner verwarnt worden sei. Fragen Sie mich nicht, wo Schäftlarn liegt! Aber in Herrgotts ausgesuchtem Winkel, in Stoiberland, hat man Sorgen! Der Kanzlerkandidat posiert deshalb - so die Bad Tölzer Annalen - am liebsten beim "Heimspiel": Da "begeistert" er "die Massen von Geretsried". Auf dem Foto allerdings ist neben ihm und Frau Karin nur der CSU-Ortsvorsitzende und die CSU-Bundestagsabgeordnete strahlend zu sehen. Da heißt es für den Edi noch viel lächeln im fernen Berlin.