Zement auf die 67

Rente Die Bundesbank fordert die Rente mit 69 und stößt dabei ins altbekannte demografische Horn. Wenn das so weitergeht, werden Arbeiter kaum noch ihre Rente erleben

Rente mit 69 und die Anbindung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung – das ist der Wahlkampfbeitrag, den die Bundesbank in ihrem gerade veröffentlichten Monatsbericht in die Arena wirft. Statt sich um ihr Kerngeschäft zu kümmern und dafür zu sorgen, dass seriöse investitionswillige Unternehmen an Kredite kommen und luftigen Bankern künftig Handschellen angelegt werden, streut sie soziales Gift unter die Leute, damit auch niemand auf die Idee kommt, die Rente mit 67 doch wieder rückgängig zu machen. Juvenil-dümmliche Kommentatoren nehmen das gerne zum Anlass, um bei dieser Gelegenheit gegen die "überalterten Volksparteien" Front zu machen.

In ihrer Begründung stößt die Bundesbank ins altbekannte demographische Horn und rechnet vor, dass die altersabhängigen Staatsaufwendungen von heute 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2060 um 2,5 Prozent steigen werden, die derzeitige demographische Entwicklung und eine jährliche Zuwanderung von 0,25 Prozent vorausgesetzt. Das Verhältnis der Personen im erwerbsfähigen Alter und der über 65-Jährigen verschöbe sich dann immer weiter zu ungunsten der Beitragszahler.

Bevölkerung soll an Abschläge gewöhnt werden

Dass Deutschland mit diesem prognostizierten Anstieg der Altersversorgungsquote EU-weit noch ziemlich gut dasteht, nämlich im unteren Drittel, ist das eine. Zum anderen ist die unterstellte Zuwanderung von 160.000 Personen jährlich angesichts der globalen Wanderungsbewegungen ebenso fiktiv wie der relativ flache Anstieg der Erwerbsbeteiligung bis 2060. Womöglich werden die tougheren und besser ausgebildeten Frauen in Zukunft nämlich die Erwerbsquote der Männer überflügeln, statt wie angenommen, bei rund 69 Prozent hängen bleiben. Und der Anstieg der Arbeitsproduktivität von jährlich 1,7 unterschätzt möglicherweise die künftige Innovationsfähigkeit der Wirtschaft.

Aber von den unsicheren Annahmen, auf die sich die Prognosen stützen, einmal ganz abgesehen: Die Rente mit 69 ist, wie gesagt, keine ökonomische, sondern eine politische Forderung, die das beschlossene Renteneintrittsalter von 67 zementieren und die Bevölkerung an Rentenabschläge gewöhnen soll. Gemessen an der schon heute bestehenden Rentenrealität ist die Rente mit 69 und die Anbindung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung ohnehin der blanke Hohn auf jede halbwegs gerechte Alterssicherung. Denn schon heute haben Männer im unteren Viertel der Einkommensskala eine um zehn Jahre geringere Lebenserwartung als ihre Geschlechtsgenossen im oberen Viertel, bei Frauen beträgt die Diskrepanz immerhin fünf Jahre. Im gerade veröffentlichten Sozialatlas der Stadt Berlin kann man nachlesen, dass im sozial schwachen Berlin-Kreuzberg doppelt so viele Menschen vor dem 65. Lebensjahr sterben als im wohlhabenden Zehlendorf.

Nicht einmal mehr die Hälfte der Älteren ist erwerbstätig

Mit jeder Heraufsetzung des Rentenalters sinkt für Angehörige sozial benachteiligter Schichten also die Chance, überhaupt je das Rentenalter zu erleben. Schon gar nicht als Erwerbstätiger, denn kaum ein Arbeiter oder eine Arbeiterin mit minderer Qualifikation erreicht heute noch das reguläre Renteneintrittsalter. In der Gesamtgruppe der 55 bis 64-Jährigen ist nicht einmal mehr die Hälfte erwerbstätig.

So gesehen finanzieren diejenigen Erwerbstätigen, die ohnehin lebenslang benachteiligt waren, auch noch die Renten der Besserverdienenden. Diese ungerechte implizite Umverteilung würde noch einmal verstärkt, wenn das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt würde. Mit jedem über dem Durchschnitt liegenden Lebensjahr, rechnete kürzlich Axel Reimann von der Deutschen Rentenversicherungsanstalt vor, steigt die Rentenrendite um 0,1 bis 0,2 Prozent; Wer das Durchschnittsalter gar nicht erreicht, macht ein schlechtes Geschäft. Nicht die Besserverdienenden hätten also allen Grund, aus dem gesetzlichen Rentenversicherungssystem auszusteigen, sondern die mies verdienenden Malocher. Beim Personal der "überalterten Volksparteien" werden sie jedenfalls keine Unterstützung finden: Dort siegt dann doch die Klassen- über die Generationensolidarität.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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