Das Fallbeil fiel nicht

Israel Die Winograd-Kommission lässt Ehud Olmert nicht für den Libanon-Feldzug von 2006 büßen

Ein paar Tage lang sah das Land wie der Pariser Place de la Concorde im Jahr 1793 aus. Die gesamte Öffentlichkeit saß um die Guillotine herum und wartete auf den Karren, der den Marquis bringen würde, und darauf, dass der sich hinlegt und das Fallbeil auf sein Genick sausen konnte.

Fast jeder in Israel sah mit Ungeduld dem Urteil der Winograd-Kommission entgegen, die den größtenteils fehlgeschlagenen Libanon-Feldzug vom Sommer 2006 zu untersuchen hatte. Also setzte sich Richter Winograd vor die Kameras und las seinen Bericht vor. Aber das Fallbeil fiel nicht. Kein Henker hob den blutigen, vom Rumpf getrennten Kopf hoch. Der Kopf blieb an seinem Platz, denn Ehud Olmert ist kein Marquis, und sein Kopf ruht weiterhin wohlbehalten auf seinen Schultern.

Von einem Ende des Landes bis zum anderen gab es einen Seufzer der Enttäuschung. Die Reporter sprangen von ihren Sitzen wie die strickenden Frauen auf dem Pariser Platz, denen gerade der Marquis entkommen ist. Die Winograd-Kommisson hat versagt, riefen wütende Kommentatoren. Zu den vielen Fehlschlägen dieses Libanon-Krieges kommt nun auch noch das Versagen der Kommission.

Jeder erfahrene Politiker kennt den Grundsatz: Wer die Mitglieder einer Kommission auswählt, entscheidet im voraus über ihre Beschlüsse. Ist das die Erklärung für ein konziliantes Urteil, das Olmert so wundersam entlastet und ihn nicht länger dem Vorwurf aussetzt, er habe mit der "Bodenoffensive" kurz vor Kriegsende Soldaten bewusst in den Tod geschickt, nur um sein eigenes Prestige zu retten? Dafür will die Kommission keine Beweise gefunden haben, auch klagt sie keinen Politiker oder General persönlich an.

Die Frage muss erlaubt sein: Was hielt sie zurück? Man kann raten: die fünf Kommissionsmitglieder, ausnahmslos Stützen der Gesellschaft - zwei Generäle, zwei führende Akademiker, ein Richter - wollten Olmert, die Nr 1 des Establishments, nicht stürzen. Vielleicht fürchteten sie, dass an seiner Stelle jemand noch Schlimmeres tritt. Allerdings scheute sich das Gremium auch, zwei grundsätzliche, den Libanon-Feldzug betreffende Fragen zu beantworten: Warum ist der überhaupt begonnen worden? Und wie lässt sich der dabei offenbar gewordene Verfallszustand der Armee erklären?

Immerhin bestätigte die Untersuchung, dass die Entscheidung für den Kriegsbeginn in übereilter und unverantwortlicher Weise getroffen wurde. Die angegebenen Kriegsziele seien unerreichbar gewesen. Aber die Kommission sagte nicht, was Olmert und sein Kabinett trotzdem zum Handeln trieb. Ganz sicher wissen wir nur, der Kriegsplan lag schon lange bereit. Er war nur einen Monat vor der Intervention durchgespielt und aktualisiert worden. Mit anderen Worten, die Regierung und die Armee waren schon lange vorher darauf bedacht, die Hisbollah im Libanon anzugreifen.

Als Richter Winograd zu erklären versuchte, warum ein Teil des Berichtes geheim gehalten werden müsse, äußerte er zur Begründung einen Satz, der kaum Beachtung fand: "Es geht um die Sicherheit des Staates und seine auswärtigen Beziehungen." Auswärtige Beziehungen? Welche und mit wem? Da gibt es nur eine vernünftige Antwort: Die Beziehungen mit den USA.

Vielleicht liegt hier des Rätsels Lösung. Olmert erfüllte einen Wunsch aus Washington. Präsident Bush wollte seinen Protegé, Fuad Siniora, als Regierungschef in Beirut unbedingt halten. Dafür musste die Hisbollah als wichtigste libanesische Opposition erledigt werden. Bush wollte auch einen Wechsel des syrischen Regimes, eines der Haupthindernisse der amerikanischen Ambitionen in dieser Region. Ich glaube, genau hier lässt sich das fehlende Glied in der Winograd-Kette finden Olmert hätte behaupten können: "Ich gehorchte im Juli 2006 nur Befehlen." Aber das kann man natürlich nicht aussprechen.

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