Zur Hölle schicken

Pakistan Nach dem Attentat auf den Minister für Minderheiten, Shabhaz Bhatti, droht Pakistan ein klerikaler Tsunami. Er könnte die Regierung Zardari aus den Angeln heben

Im Schatten eines drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs, der Islamabad über Nacht seinen Tahrir-Platz bescheren könnte, haben die Islamisten ein neues Spiel eröffnet: Dekapitation. Ziel sind die letzten liberalen Köpfe in der Politik. Kein Zufall ist, wenn die unerschrockenen Gegner des menschenverachtenden Blasphemie-Gesetzes ganz oben auf der ­Todesliste stehen.

Nummer eins war Salman Taseer. Am 4. Januar wurde er von Kugeln aus der Dienstwaffe des eigenen Sicherheitsbeamten durchsiebt, der sich zum Werkzeug Allahs erklärte. Der Gouverneur von Punjab hatte es gewagt, die wegen angeblicher Propheten-Lästerung zum Tode verurteilte Christin Aasia Bibi in ihrer Zelle zu besuchen. Zugleich verlangte er von der Regierung des Präsidenten Zardari, den „schwarzen“ Blasphemie-Statuts endlich zu kassieren.

Nummer zwei wurde Shabhaz Bhatti, Minderheiten-Minister und einziger Christ im Kabinett, der unter anderem versuchte, Nicht-Muslime vor illegaler Enteignung zu schützen und per Quotenregelung in den Staatsdienst zu lotsen. Seit November war er Sprecher eines Parlamentsausschusses, der sich einer Revision des Blasphemie-Gesetzes verschrieb. Bhatti starb am 2. März auf dem Weg ins Kabinett von der Hand bislang unbekannter Todesschützen. „Die Krieger des Islam werden einen nach dem anderen erwischen und zur Hölle schicken!“ droht ein am Tatort hinterlassenes Flugblatt der Pakistanischen Taliban (TTP). Die mutige Parlamentarierin Sherry Rehman, einst Informationsministerin und Vertraute Benazir Bhuttos, die zum Blasphemie-Gesetz kein Blatt vor den Mund nimmt und im November einen eigenen Gesetzentwurf präsentierte, muss befürchten, das nächste Opfer zu sein.


Seit Militärdiktator Zia-ul Haq das angestaubte Gesetz aus der britischen Kolonialzeit in den achtziger Jahren mit tödlich scharfem Schliff versah, scheiterten alle Ansätze, dem Islamismus diese Waffe zu entwinden. Anfang November, als die Empörung über den Fall Aasia Bibi für einen Moment die Demarkationslinie zwischen liberal und islamistisch klar hervortreten ließ, ergriff Salman Taseer – einst als Gefangener des Zia-Regimes im berüchtigten Roten Fort gefoltert – die Initiative zur Selbstbefreiung, während Präsident Zardari volle Kooperation versprach .

Doch der frische Wind, der durch die pakistanische Demokratie zu wehen schien, war rasch verflogen. Schon nach zwei Wochen machte die Regierung eine scharfe Kehrtwende, zog den Kopf ein und verleugnete alle vorherigen Absichten. Taseer, Rehman und Bhatti fanden sich isoliert und verraten – leichte Beute für einen klerikalen Tsunami, dessen Heftigkeit inzwischen die gesamte Regierung abräumen könnte.

Schockierender noch als die Morde selbst ist die Komplizenschaft mit den Mördern, die tief im verrotteten System, in der Armee und in der Justiz verwurzelt ist. Eisiges Schweigen allenthalben statt Entrüstung. Die Regierung schweigt, das Parlament schweigt, Armeechef Kayani schweigt. Im Gerichtssaal wurde Taseers Mörder mit Rosenblättern überschüttet. Der Gouverneur musste sterben, weil das System seinem Mörder die Hand führte. Nicht durch Schweigen, sondern erschreckend konkret: Der Sicherheitsbeamte, der Taseer zwei Tage vor dem Mord zugeteilt wurde, galt wegen seiner Nähe zu Extremistenkreisen als „untauglich“ zum Personenschutz.

Minister Bhatti muss spätestens nach Taseers Tod geahnt haben, dass er der nächste sein könnte, geht aus einer erschütternden Video-Botschaft hervor, die er für den Fall seiner Ermordung vorbereitet hatte. Selbst in dieser Lage stand ihm kein kugelsicheres Fahrzeug, nicht einmal der sonst für Minister übliche Leibwächter zur Verfügung. Kurz vor dem Anschlag bat er bei einem offiziellen Besuch in Washington um Hilfe, aber der Regierung Obama blieben aufgrund der momentanen Eiszeit zwischen Washington und Islamabad die Hände gebunden, wie die New York Times verlegen erklärt. Böse Zungen in Islamabad behaupten, der Mord an Bhatti sei nichts als ein Ablenkungsmanöver vom Fall des CIA-Agenten Raymond Davis. Der hat am 27. Januar in Lahore am helllichten Tag zwei junge Männer auf offener Straße erschossen. Aus Selbstschutz, wie die US-Botschaft beteuert, doch die pakistanischen Behörden nicht überzeugen konnte, Davis wieder auf freien Fuß zu setzen.

Ursula Dunckern berichtet für den Freitag regelmäßig aus Indien und Pakistan

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