Opposition ist bisweilen mindestens so verzwickt wie Regieren. Zumal dann, wenn mit Hartz IV ein Gesetz zur Debatte steht, das für SPD wie Grüne und Linkspartei, ob freiwillig oder nicht, ein Stück sozialpolitischer Identitätssuche darstellt.
Immerhin haben SPD und Grüne mittlerweile beschlossen, in den anstehenden Großverhandlungen um die Hartz-IV-Reform im Bundesrat zusammenzuarbeiten und nicht mehr gegeneinander. Doch sind die Kabbeleien darum, ob die Grünen im „Jamaika“-regierten Saarland oder die Sozialdemokraten in einem der großkoalitionären Ost-Bundesländer sich ihre Zustimmung zu Arbeitsministerin Ursula von der Leyens Hartz-Gesetz abkaufen lassen, auch nur Ausdruck dafür, dass eigentlich kein Mensch Lust darauf hat
darauf hat, mit der Union im Bundesrat ein Ergebnis zu erzielen. Dann wird man womöglich mit haftbar gemacht, wenn der neue Regelsatz von 364 Euro vom Bundesverfassungsgericht wieder gekippt wird.Doch der Reihe nach. Die Hamburger Grünen hatten es wohl nicht bedacht, als sie die schwarz-grüne Koalition platzen ließen: dass der Bundesregierung dann nur noch eine einzige Stimme zur Mehrheit im Bundesrat fehlt, um die Erhöhung des Hartz-Regelsatzes um fünf Euro plus „Bildungspaket“ durchzubringen. Eine Stimme, von der die Ministerin hoffen könnte, sie im Saarland anzuwerben. Die dortige Jamaika-Koalition ist in jeglicher politischer Hinsicht ein Ausreißer. Grünen-Chef Hubert Ulrich bestreitet den Landesverband seit Jahrzehnten im Alleingang und ist selbst für seine eigene Partei schon für manche Überraschung gut gewesen.Saarland nicht käuflichAls Ulrich zu Protokoll gab, er werde jedes Angebot der Bundesregierung prüfen, sofern da etwas „im Interesse des Saarlandes“ herumkomme, gerieten jedoch nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Spitzengrünen in Berlin in Bewegung. Ganz oft musste Ulrich seither beteuern, dass das Saarland nicht käuflich sei, er auch nicht, und die Saar-Vertreter sich im Bundesrat am 17. Dezember enthalten würden.Die Grünen verwiesen im Gegenzug darauf, dass ja auch andere Bundesländer geneigt sein könnten, gegen kleine Geschenke aus Berlin die Hartz-Reform durch den Bundesrat zu schleusen. Hatte etwa Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering nicht verdächtig nachgiebig gewirkt, als er zur Presse sagte, an einer Erhöhung der Regelsätze sei er eigentlich gar nicht interessiert? Die Schweriner Staatskanzlei teilt jedoch auf Anfrage unverzüglich mit, dass Sellering unverbrüchlich an der Seite der Bundes-SPD stehe. Deren Haltung rief SPD-Chef Sigmar Gabriel anlässlich der Bundestagsentscheidung zum Hartz-Gesetz am vergangenen Freitag von der Leyen zu: „Wir können nicht in ihr Boot steigen, denn Sie schippern in die falsche Richtung.“SPD und Grüne haben die Anforderungen an eine Einigung öffentlich sehr hoch geschraubt: Ein Mindestlohn müsse her, um zu vermeiden, dass immer mehr Gehälter unter das Niveau der Sozialleistungen gedrückt würden. Dass dies mit der amtierenden Bundesregierung nicht zu machen sein wird, ist allen Beteiligten klar. Entlang welcher Linien aber die Verhandlungen laufen werden, wenn die Reform am 17. Dezember in den Vermittlungsausschuss überwiesen wird, darüber geben die Anträge der Opposition Aufschluss, die vergangenen Freitag im Bundestag niedergestimmt wurden.Die Änderungen, die man Schwarz-Gelb abhandeln will, verlassen schnell die Ebene der zitierfähigen Maximalposition „Mindestlohn“, und gehen statt dessen tief ins Detail der Lebenswirklichkeit. Die SPD warnt davor, die Kosten für Unterkunft und Heizung künftig zu pauschalieren und es den Kommunen zu überlassen, was sie für angemessen halten und bezahlen wollen: „sozialer Sprengstoff“. Die Grünen verlangen unter anderem, nicht bloß den Oberstufenschülern die Busfahrkarte zum Blockflötenkurs zu bezahlen, den sie dank „Bildungspaket“ künftig besuchen können. Statt dessen sollten Mobilitätskosten in größerem Umfang berücksichtigt werden. Weitere Stichworte dessen, was von der Leyen zuzubilligen im Stande sein könnte, nannte zu Wochenbeginn Grünen-Parteichef Cem Özdemir: „Schul-Mittagessen und Lernmittelfreiheit“, sprich Schulbücher. SPD wie Grüne aus den Ländern rufen außerdem nach weiteren Mitteln zum Ausbau der Ganztagsschulen.Klage erst mit fertigem GesetzBei SPD wie Grünen werden jetzt Arbeitsgruppen gebildet, die ab dem 17. Dezember untereinander ihre Wunschlisten abstimmen sollen. Im Januar werden sie in den Vermittlungsausschuss marschieren – mit eingeschränkter Motivation. Denn gemäß ihrer eigenen Kritik an der Neuberechnung der Regelsätze gehen sie davon aus, dass das Verfassungsgericht die Lebenszeit des neuen Gesetzes verkürzen könnte – so wie der Anlass für das nun vorliegende Gesetz ja erst ein Verfassungsgerichtsurteil vom 9. Februar dieses Jahres war. Urteil abwarten, dann verhandeln, das geht nicht: Eine Klage kann es erst geben, wenn das Gesetz komplett verabschiedet ist.Von der Leyens Position ist heikel, wird sie ja jedes Zugeständnis nur mit Mühe ihren eigenen Leuten vermitteln können. Eine Einladung zur Verhandlung, die von der Leyen am Wochenende formulierte, wurde von Unionsfraktionschef Volker Kauder so kommentiert: Es gebe „keine Notwendigkeit für einen Kompromiss“. Doch die Lage von SPD und Grünen ist kaum minder schwierig. Ein künftiger Hartz-Unterhändler sagt: „Wir wollen ja alle nicht mit auf dem Sünderbänkchen sitzen, sollte Karlsruhe den Regelsatz erneut für verfassungswidrig erklären.“