Grüne Die Hamburger GAL musste sich oft häuten, um Kandidatinnen wie Anja Hajduk hervor zu bringen. Mit dieser Partei wird Rot-Grün eine reine Technokraten-Gemeinschaft
Eigentlich war Christa Goetsch ein Ausreißer, ein Sonderling. Die Spitzenkandidatin der Hamburger Grünen zur Bürgerschaftswahl Anfang 2008 war eine Frau mit Mission. Deutlich erkennbar wurde Goetsch von der Idee eines gerechteren Schulsystems geleitet, nicht von machtpolitischem oder strategischem Geschick. Die Grünen brauchten 2008 offenbar eine Person wie Goetsch, um den historischen ersten Schritt in eine schwarz-grüne Landesregierung zu machen. Goetsch bürgte für das idealistische Element in dieser so offensiv als Nicht-Projekt verkauften Koalition, die natürlich eben dadurch sehr wohl ein Projekt war – das Projekt: „Die Grünen werden Scharnierpartei“.
No-nonsense Realpolitikerin
Goetschs Schulreform muss allerdings als vorl&
llerdings als vorläufig gescheitert bezeichnet werden – ebenso wie das schwarz-grüne Nicht-Projekt, das jedenfalls bis zur Bundestagswahl 2013 in keinem Bundesland mehr viele Freunde finden wird.Doch nicht nur deshalb ist die Spitzenkandidatin der Grünen zur nun anstehenden Bürgerschaftswahl am 20. Februar Anja Hajduk, und nicht Goetsch. Hajduk, 47 Jahre alt, trägt in jeder politischen Pore die Essenz dessen, wozu Hamburgs Grüne in den vergangenen zwanzig Jahren geworden sind. Sie ist eine no-nonsense Realpolitikerin, sie ist Haushälterin, sie ist sachkundig, pragmatisch, klug, beharrlich. Sie ist effizient wie Stahl. Die Hamburger Grünen brauchen 2011 offenbar eine Person wie Hajduk, um in die nächste rot-grüne Phase einzutreten – wenn das Wahlergebnis eine rot-grüne Koalition unter Olaf Scholz zulässt und nicht etwa eine SPD-Alleinregierung ermöglicht.Die jüngsten Umfragen der Sozialdemokraten verursachen bei den grünen Regierungsmitgliedern großes Unwohlsein: Sollte man die CDU-Koalition etwa dafür aufgegeben haben, um in der Opposition zu schmoren und der SPD bei einer traditionalistischen Politik à la „Hafen und Handelskammer pur“ zuzusehen, wie Hajduk Scholz’ Programm bezeichnet?Fahrradständer und PostenBei manchem grünen Basismitglied ist es jedoch noch mehr die eigene Regierungstruppe, die Unwohlsein hervorruft. Auch nach der Niederlage beim Schul-Volksentscheid sind grüne Forderungen übrig, die es in einer rot-grünen Koalition durchzusetzen gälte, finden Grüne. Klar: bessere Mülltrennung und so. Und doch: Nach den letzten Parteitagen „bleibt der Eindruck, dass wir für nichts mehr stehen als Fahrradständer und Postenerhalt“, sagt eine Eimsbütteler Akademikerin traurig, die für die Schulreform Plakate geklebt und sich in Fußgängerzonen gestritten hat. Es sei nicht leicht, das richtige Wort dafür zu finden, aber es fehle ihr doch das Gefühl von Beseeltheit. Eine Partei, das heiße doch, Widersprüche austragen und aushalten, oder?Die Hamburger Grünen, immer noch heißen sie GAL, Grün-Alternative Liste, haben sich mehrere Male häuten müssen, um zu einer so professionell arbeitenden Politikmaschine zu werden, wie sie es heute sind. Kein Landesverband hat sich über die Jahre so hingebungsvoll immer neu gespalten, hat dadurch eine Dynamik entwickelt, aus der mehrere Spitzenpolitikerinnen für den Bund hervorgingen sowie ein Bild von der grünen Partei, das ein Bild der Zukunft sein könnte: komplett auf das im Augenblick Machbare konzentriert. Nicht aber charismatisch, eitel oder auch aufgebläht wie die Realos alter Schule, wie Joschka Fischer. Sondern nur: rational.1990, zu Beginn der großen Krise der Grünen, waren es die prominenten Hamburger Ökosozialisten Rainer Trampert und Thomas Ebermann, die mit lautem Getöse die Grünen verließen, während sich gleichzeitig eine Realo-Truppe namens Grünes Forum sowie eine Frauen-Fraktion in der Bürgerschaft bildeten, zunächst aber von linken GALiern beiseite gedrängt wurden.Vernunftgekühlter SoundDie Turbulenzen, die folgten, ließen vor allem eine Siegerin übrig: die Strategin und Reala Krista Sager, die über Jahre hinweg die GAL lenkte. Sager schlug den vernunftgekühlten Ton erstmals an, den auch Hajduk nun hat, und wurde 1997 zweite Bürgermeisterin. Doch dauerte es noch bis 1999, dann hatten die Hamburger Realas und Realos die Bürgerschaftsfraktion endlich weitgehend für sich: Die Teilnahme am Kosovo-Krieg führte zur Abspaltung eines Gutteils des linken Flügels, der sich „Regenbogen“ nannte, bei den 2001er Wahlen aber unterging. Regenbogen-Protagonisten bereicherten später die Hamburger Linkspartei, die sich zuvor, noch als PDS, als eine Art Lektürezirkel ohne besonderes Interesse an Landespolitik ausschließlich mit Selbstfindung beschäftigt hatte.Heute verursachen weder die schwarz-grüne Koalition noch deren Bruch, weder der Bau eines Kohlekraftwerks noch das drohende Aus für die Stadtbahn Verzweiflung, Empörung, Wutausbrüche in Hamburger Grünen-Reihen. Kein hektischer Austausch von Spitzenpersonal wie soeben im zerklüfteten Berlin, kein nervenzersägender Kampf mit schier übermächtigen Gegnern bei Bahn und Co. wie in Baden-Württemberg. Der Motor schnurrt gleichmäßig, geölt auch mit immer noch guten Umfragewerten.Ist das Ergebnis der Wahl eine rot-grüne Koalition, trifft die Effizienz-Politikerin Hajduk auf den Effizienz-Politiker Olaf Scholz, in dem manche nun auch schon den SPD-Spitzenvertreter des kommenden Typs sehen wollen. Rot-Grün ab 2011, es wäre eine Technokraten-Gemeinschaft, der Nicht-Überhöhung des Politischen gewidmet, ein weiteres Nicht-Projekt als Projekt: Pragmatismus pur.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.