Wie bei einem Kamineffekt werden die schon länger ansteigenden Grünen-Beliebtheitswerte derzeit vom schwarz-gelben Problemregieren noch in die Höhe gezogen. Die Grünen sind jedoch entschlossen, sich jedes Triumphgeheul zu verkneifen: Bloß kein Größenwahn, heißt die Parole auch bei über 20 Prozent in der Forsa-Umfrage. Sie befürchten, dass dies die zugeschriebenen Kompetenzen in Sachen Nachhaltigkeit und Glaubwürdigkeit gefährden würde. Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, Hüterin aller Parteistatistik, beteuert: „Ich habe noch keinen getroffen, der besoffen ist“ – jedenfalls von Umfragewerten.
„Die Zustimmung hat auch viel mit verlorenen Schlachten der Vergangenheit zu tun“, erläutert gemessen der Mannheimer Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick: Selbst baden-württembergische Parlamentarier tun, als backten sie kleine Brötchen. Dabei könnte es ihr Landesverband sein, der im März der Bundesrepublik einen kleinen Umsturz beschert: Wenn die Grünen bei den Landtagswahlen im Südwesten auch nur in der Nähe ihrer aktuellen Prozente landen und die SPD noch ein wenig hinzugewinnt, könnte es erstmals für eine rot-grüne Regierung in Stuttgart reichen. Für Schwarz-Gelb in Berlin wäre dies ein Hieb mit dem Vorschlaghammer.
Zuletzt gab ein Drittel der Befragten in Baden-Württemberg an, das Bahnprojekt Stuttgart 21 sei für sie wahlentscheidend. Von einem eher kommunalen Aufruhr um ein eher hässliches Bauwerk ist der Kampf um Bahnhofsumbau und Trassenausbau längst zu einer Frage von Demokratie und Identität aufgestiegen, ja zum Fanal der eigentlich regelmäßig beschworenen Entfremdung zwischen Politik und Bevölkerung. Die Logik dabei: Wenn mit Edzard Reuter ein Ex-Daimler-Benz-Chef sich gegen die Landesregierung stellt, muss wirklich etwas dran sein.
Doch ist Stuttgart 21 für ein denkbares rot-grünes Bündnis in Baden-Württemberg mindestens das, was die Laufzeitverlängerung für Rot-Grün im Bund ist: ein Geschenk. Ein Komplex aus schwarz-gelber Fehlentscheidung samt Kostenexplosion, nicht beherrschbaren Risiken für die Umwelt, Mauschelei mit Großunternehmen und petzenden internen Kritikern. Ein Umsonst-Ticket mithin zur Gunst des Wahlvolks, man muss beim Einsteigen nur nicht noch das Trittbrett verfehlen.
CDU unerwartet verkommen
Das wäre der baden-württembergischen Grünen-Landesvorsitzenden Silke Krebs beinahe gelungen, als sie zugab, dass es nicht sicher sei, ob das Bahnprojekt nach einer Regierungsübernahme 2011 gestoppt werden kann: „Das können und das werden wir auch nicht versprechen“, sagte sie. Die Grünen haben Sorge, dass Vertragsstrafen bei einem Baustopp sogar die befürchteten Projektkosten übersteigen könnten. Dann startete Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann auch noch unter viel zu großen Zugeständnissen an Bahn und Regierung einen Vermittlungsversuch. Prompt behaupteten SPD und Linkspartei, die Grünen wollten lieber mit den Schwarzen regieren und auch Stuttgart 21 gar nicht wirklich verhindern.
Flugs fanden die Grünen für ihre Stuttgart-21-Politik eine weniger verfängliche Sprachregelung: „Wir schätzen das nicht so ein, dass der Punkt schon erreicht ist, wo nichts mehr rückgängig zu machen ist“, sagt Schick. Und Kretschmann ist nun zwar ein Spitzenkandidat, der stets deutlicher als irgendjemand aus der ersten Grünen-Reihe seine Nähe zur CDU herausgekehrt hat. Doch ist fraglich, was er angesichts der Dynamik in Stuttgart davon politisch noch einbringen kann. Beleidigt erklärte er zuletzt, für weitere Mediationen nicht mehr zur Verfügung zu stehen.
Schwarz-Grün ist bei den Grünen schlicht nicht mehr die Kombination der Saison. Hamburg und das Saarland, wo auch die FDP noch mitregiert, taugen nach gescheiterten Bildungsreform-Anläufen nur mehr als abschreckende Beispiele. Selbst erklärte Schwarz-Grün-Anhänger wie Alexander Bonde sagen, diese Farbkombination sei unzeitgemäß: „Da bin ich Realo genug“ zu erkennen, „dass die CDU der Hauptgegner ist“, so der schwäbische Haushaltsexperte. Zwar wisse er, dass die CDU nicht erst seit gestern für Atomkraft stehe. Doch der neue Atomdeal „offenbart jetzt ein Maß an moralischer Verkommenheit, das ich auch nicht erwartet hätte.“
Ein kleiner Triumph
Auch die monatelang verbreitete These, dass nur die Öffnung „nach allen Seiten“ hin die Grünen auf ihr Umfragehoch befördert habe, lässt sich nur mehr schwer aufrecht halten. Sofern etwa der Schleswig-Holsteiner Robert Habeck seinem Landesverband Auftrieb verschafft hat, so wird dies mittlerweile nicht mehr seinen offenherzigen, vielfarbigen Koalitionserwägungen zugeschrieben, sondern seinem insgesamt unkonventionellen Politikstil.
Doch selbst wenn die Wahlen am 27. März 2011 in Baden-Württemberg nicht Rot-Grün, sondern zum Beispiel Schwarz-Rot ausgehen: Ein jedenfalls parteihistorisch wichtiger Schritt dürfte sich in Rheinland-Pfalz am selben Tag vollziehen. Dort erwarten die Grünen, seit je der blasseste westdeutsche Landesverband, den Wiedereinzug ins Landesparlament. In dieser Woche noch soll die allererste Pressekonferenz von SPD-Umweltministerin und Grünen-Vorsitzenden zum Thema Atom stattfinden: Ein Zeichen, heißt es. Nachdem die SPD Rheinland-Pfalz in der Vergangenheit wenn, dann eher mit der FDP regiert hat, klingt dies nun doch nach einem kleinen Triumph.
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