Wen lieben Politiker? Können sie das? Haben sie Zeit dafür? Die deutschen Medien sind im Umgang mit der Privatsphäre von Politikerinnen und Politikern verhältnismäßig zurückhaltend. Welches Begehren diese umtreibt, das nicht mit Macht zu tun hat, wie sie es ausleben, dazu ist der realitätsgespeiste Bilder- und Zitatenschatz im Vergleich etwa zu Großbritannien recht begrenzt. Doch auch die Literaten hat die Vorstellung vom Sexualleben der Politiker offenbar über lange Zeit nicht besonders inspiriert. Bis plötzlich von 2006 bis 2008 gleich mehrere Romane über Politiker und Liebe erschienen: Michael Kumpfmüllers Nachricht an alle, Dirk Kurbjuweits Nicht die ganze Wahrheit, Achim Kratzerts Hundertmark. Auf den ersten Blick war de
. Auf den ersten Blick war der Zeitpunkt eine Überraschung. Denn eine langweiligere politische Zeit als zur großen Koalition hatte nach dem Dafürhalten vieler Beobachter die Welt noch nicht erlebt: Warum sollte sie ausgerechnet die Schriftsteller an Tastatur und Monitor getrieben haben?Doch siehe da, die Bücher handelten ausnahmslos von rot-grünen Tagen und vom Personal, das 2005 die Regierungsmacht abgeben musste. Nicht in 1:1-Umsetzung – Kumpfmüllers Innenminister Selden ist natürlich nicht Otto Schily. Doch ähnelt sich das Setting stark, in dem Selden seine junge Magazin-Reporterin kennenlernt, in dem die Knutschminuten des Volkspartei-Vorsitzenden Schilf mit der kleinen rebellischen Abgeordneten stattfinden, in dem die neue Abgeordnete Hundertmark sich versucht zurechtzufinden. Im diffusen Zentrum der stets nur hingetupften politischen Szenerie steht ein Kanzler, die einmal Fred heißt, einmal Nick, sein Name so einsilbig wie Gerd, denn so ließ sich Gerhard Schröder von seinen Genossen ja nennen.Ob über das Drama, wie sich die schwarz-gelbe Anhängerschaft seit 2009 von ihrer ersehnten Traumkombination brüskieren lassen musste, bald auch Romane geschrieben werden? Es ist schwer vorstellbar. Der SPD-Regierungstruppe bis 2005 (für Grüne gelten andere Regeln) ist jedenfalls dies gelungen: Sie hat nicht nur ihre eigenen Wähler und die komplette politische Linke für viele, viele Jahre politisch enttäuscht. Sie hat auch Gefühle verletzt, die mit anderen Dingen zu tun hatten als mit Interessenvertretung. Es gab da einen unpolitischen Affekt, eine Liebe insbesondere natürlich zu den Kabinetts-Machos.Der süße SchreckDiese außerpolitisch gespeiste Zuneigung mag ein Grund gewesen sein, warum es dem Arbeitgeberlager und den angeschlossenen Medien gelang, die Stimmung derart anzuheizen, dass Schröder schließlich hinwarf. Sie muss ein Grund gewesen sein, warum gleich mehrere Autoren sich den Geschlechterverhältnissen in Berlin-Mitte zuwandten – darunter mit Kurbjuweit ein relativ wichtiger Akteur auf der Polit-Medien-Rampe. Er war damals schon im Spiegel-Hauptstadtbüro und ist inzwischen dessen Chef.Was aber Kumpfmüllers und Kurbjuweits Protagonisten (Kratzert hat eine Protagonistin) selbst fühlen, da sie so starke Emotionen auszulösen imstande sind, wird in den Romanen relativ strukturähnlich beantwortet. Es sind in allen drei Büchern die Frauen, die für das Gefühlehaben und -äußern zuständig sind. Je nun, wen sollte das überraschen. Fast bizarr dagegen ist, dass die Affären Seldens wie Schilfs mit beinahe demselben Satz beginnen beziehungsweise Fahrt aufnehmen. Bei Kurbjuweit steht: „Es war Leo Schilf, der das Spiel begonnen hat. ‚Habe ich dich erschreckt?‘ Das ist der erste Satz, so beginnt ein Betrug. ‚Habe ich dich erschreckt, liebe Genossin?‘“ Bei Kumpfmüller heißt es: „Noch während sie ihn abstöpselten, las er ihre neueste Nachricht“, sie lautet: „Habe ich Sie erschreckt?“Einmal vorausgesetzt, Kurbjuweit und Kumpfmüller haben sich nicht verabredet, so sind sie auf die gleiche Idee gekommen: Das Motiv des Erschreckens soll den Charakter der Affäre prägen, sie erst möglich machen. Habe ich Sie erschreckt, das heißt: Sehe ich das richtig, dass ich für einen Augenblick Macht über Sie ausgeübt habe, Sie sich dagegen in demselben Augenblick nicht im Griff hatten? Sehe ich das richtig, dass dieser Augenblick des Kontrollverlusts für Sie aber nicht so unangenehm war, dass ich es jetzt nicht wagen dürfte, damit zu kokettieren, dass ich Sie kurz in der Hand hatte? Wollen wir dieses Machtspielchen fortsetzen?Nun mag jeder beliebige Kneipengast die Wirtin auf diese Weise kennenlernen, jede Partygängerin ihren nächsten Liebhaber. Der süße Schreck ist als Motiv des Liebesromans mindestens so alt wie sein Kontrapunkt, das sehnsuchtsvolle Warten. Doch darf dies vorläufig als Antwort der Literatur auf die Frage gelten, wie sich Politiker verlieben, ein ganz kleines bisschen verlieben: zu den Bedingungen der Machtpolitik. Und: Nein, Zeit für Liebe haben sie eigentlich keine.