Hartz IV all’italiana

Druck Italien hat nun sein „Bürgereinkommen“: ein System staatlicher Repression nach gutem deutschen Vorbild
Ausgabe 13/2019
Gegen die Rahmenbedingungen des Kapitalismus zu protestieren, gilt dem Arbeitsamt nicht als sinnvolle Beschäftigung
Gegen die Rahmenbedingungen des Kapitalismus zu protestieren, gilt dem Arbeitsamt nicht als sinnvolle Beschäftigung

Foto: Paolo Manzo/Zuma/Imago

Nur ein Jahr ist es her, dass die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien einen überwältigenden Wahlsieg feierte: Mehr als 32 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für eine Partei, die versprach: „Wir schaffen die Armut ab!“ Vor allem im Süden des Landes, dem Mezzogiorno, wo mehr als ein Zehntel der Bevölkerung in absoluter und mehr als die Hälfte der Bevölkerung in relativer Armut leben, war die Zustimmung für Luigi di Maios Partei groß.

Ebendort war das im Wahlprogramm festgelegte „reddito di cittadinanza“, also Bürgereinkommen, wohl ausschlaggebend für den Erfolg der Bewegung. Es sollte ein Existenzminimum von 780 Euro im Monat zusichern und somit Arbeitslosen und Geringverdienern ein stabiles Einkommen gewährleisten. Dadurch, so die Logik der Fünf-Sterne-Bewegung, werde garantiert, dass verarmte Bürger „ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können“.

Die Maßnahme, die der Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung, der Komiker Beppe Grillo, ins Wahlprogramm eingeführt hatte, ließ viele Beobachter im In- und Ausland an ein bedingungsloses Grundeinkommen denken. Verfolgt man aber ihre Umsetzung, wird klar, dass sie damit wenig gemeinsam hat. In vielerlei Hinsicht strebt die italienische Regierung mit dem im Januar beschlossenen Gesetz zur Umsetzung des „reddito di cittadinanza“ sogar entgegengesetzte Ziele an. Deshalb, und weil seine Urheber ansonsten immer mehr vom Rechtsaußenkurs ihres Koalitionspartners, der Lega, an den Rand gedrückt werden, ist es unwahrscheinlich, dass die Fünf-Sterne-Bewegung politisch von der Einlösung ihres Wahlversprechens profitiert.

Denn während die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens darauf beruht, ein Existenzminimum durch regelmäßige Barauszahlungen ohne Bedürftigkeitsprüfung zu gewährleisten, zielt das italienische Modell darauf ab, Bürger durch eine Reihe von Maßnahmen und Sanktionen in Arbeit zu drängen. Eine Art „Hartz IV all’italiana“, wie Vize-Premier Luigi Di Maio sein Gesetz stolz präsentiert, dessen jährliche Kosten auf 8,1 Milliarden Euro geschätzt werden.

Wie sehr sich die neue Mindestsicherung, die seit 6. März beantragt werden kann und ab Mai ausbezahlt werden soll, am deutschen Beispiel orientiert, wird schon dadurch klar, dass ein deutsch-italienisches Team einberufen wurde, um die Maßnahme zu gestalten. Die deutschen Experten sollten Auskünfte über Hartz IV und die Funktion und Arbeitsweise der Jobcenter geben, die auch im italienischen Entwurf eine wichtige Rolle spielen.

Die Abschaffung der Armut

Empfänger des Bürgereinkommens müssen umgehend einen Arbeitsvertrag bei einem Jobcenter unterschreiben, der sie dazu verpflichtet, nicht mehr als zwei „kongruente“ Arbeitsangebote abzulehnen, wollen sie das Einkommen nicht wieder verlieren. Als kongruent werden jene Angebote eingestuft, die dem eigenen Lebenslauf entsprechen und in einem bestimmten Umkreis erlassen werden, je nach Umständen kann das Angebot auch aus ganz Italien kommen.

Die Arbeitsangebote müssen eine Anzahl von Bedingungen erfüllen, um als solche wahrgenommen zu werden. So muss das Angebot unbefristet sein oder eine Mindestdauer von drei Monaten aufweisen, die Wochenstunden einer Vollzeitbeschäftigung oder mindestens 80 Prozent der vorangehenden Arbeitszeit beinhalten und mindestens 858 Euro im Monat einbringen – also zehn Prozent mehr als das Bürgereinkommen. Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, führt eine Nichtwahrnehmung zu Sanktionen. Neben der Verpflichtung, sich im Arbeitsamt zu melden, werden auch acht Stunden Sozialarbeit pro Woche gefordert sowie die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen. Dadurch, verspricht Di Maio, hätten die Empfänger des Bürgereinkommens gar keine Zeit, sich anderweitig zu beschäftigen, etwa auf dem Schwarzmarkt, oder sich auf Kosten des Steuerzahlers auszuruhen. Sie wären nämlich von morgens bis abends damit beschäftigt, nicht aus dem Bürgereinkommen herauszufallen.

Zudem darf das Bürgereinkommen, das auf eine eigene Karte überwiesen wird, nur für bestimmte Ausgaben wie beispielsweise Grundnahrungsmittel oder Medikamente verwendet werden. Der Plan der Regierung, einzelne Ausgaben zu kontrollieren, um den Kauf von Rubbellosen oder Zigaretten mit dem Verlust des Bürgereinkommens zu bestrafen, wurde jedoch aus Datenschutzgründen vom Senat gestoppt.

Hier zeigt sich deutlich, wie sehr die Absichten der italienischen Regierung von den Zielen eines bedingungslosen Grundeinkommens abweichen. Die Befürworter von Letzterem argumentieren ja, dass die Empfänger dadurch Zeit und Muße haben sowie den kreativen Freiraum, sich individuell weiterzubilden. Die italienische Regierung setzt im Gegenzug darauf, genau diesen zeitlichen und kreativen Freiraum durch ständige Beschäftigung zu tilgen. Auch bezüglich des Begriffs der Würde, um die es sowohl Verfechtern eines bedingungslosen Grundeinkommens, aber auch der Fünf-Sterne-Bewegung vorgeblich geht, zeigen sich konträre Standpunkte: Das BGE befreit vom Zwang zur Erwerbsarbeit und von der Bedürftigkeit zugleich. Im italienischen Modell müssen Antragsteller ihre Bedürftigkeit nachweisen, und das persönlich in einem bürokratisch aufwendigen Antrag, der bei der Post abzugeben ist. Kritiker unterstellen, dass dadurch die eigene Bedürftigkeit offen zur Schau gestellt und immer wieder bekräftigt werden muss. Noch dazu stehen die Empfänger quasi unter Generalverdacht, ihr Einkommen zu missbrauchen, wonach sie als Kriminelle dargestellt würden. Die Würde, an die die italienische Regierung appelliert, beschränkt sich somit auf das Versprechen, schnell in die Arbeitswelt integriert zu werden.

Nur besser als gar nichts

Ebendiese Integration in die Arbeitswelt hängt im Süden des Landes jedoch zu einem Großteil nicht davon ab, ob Arbeitssuchende offene Stellenangebote annehmen. Vielmehr müssten durch private oder öffentliche Investitionen Arbeitsplätze erst geschaffen werden. Eine Kritik am Bürgereinkommen zielt deshalb auch darauf, dass es ökonomisch ineffizient sei, weil es Kosten verursache, ohne dass es sich positiv auf die Wirtschaftskraft auswirke. Vor allem durch die bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem Hartz-IV-System – das ja auch in Deutschland mittlerweile von vielen als Misserfolg oder gar als Armutsfalle gesehen wird – wird das italienische Bürgereinkommen die Hoffnungen vieler Italiener wahrscheinlich enttäuschen. Auch das Versprechen der Abschaffung von Armut wird es nicht halten. Trotzdem, und das zeigt ja, wie verzweifelt die Lage in Italien derzeit ist, ist die Maßnahme ein wichtiger Meilenstein der sozialen Absicherung. Bis dato waren Griechenland und Italien nämlich die einzigen EU-Länder, in denen es keine finanzielle Existenzsicherung für Arbeitslose gab.

Arbeitslosenunterstützung war in Italien bisher strikt an die vorangehende Tätigkeit gebunden und konnte nur für die Hälfte der vorangehenden Arbeitszeit, maximal aber für zwei Jahre, bezogen werden. Um für die Unterstützung überhaupt in Frage zu kommen, musste man zuvor mindestens ein Jahr gearbeitet haben, die finanzielle Zuwendung betrug maximal 30 Prozent des bezogenen Gehalts. Geeignet war eine derartige Arbeitslosenunterstützung also höchstens als Übergangslösung für einen Jobwechsel, konnte aber nicht als Mindestsicherung gewertet werden.

Trotzdem wird das Bürgereinkommen an den prekären Verhältnissen im Mezzogiorno und der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt wohl wenig ändern.

Valentina Gianera kommt aus Südtirol, hat in Amsterdam Politikwissenschaft studiert und hospitiert derzeit in der der-Freitag-Redaktion

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