„Raus mit euren Mittelfingern“

Porträt Frittenbude schreien gegen Nazis und erreichen damit Massen. Sie entscheiden alles im Konsens und kommen zur Party mit Nudelsalat
Ausgabe 09/2020
Frittenbude tragen seit 14 Jahren den Punk übers Land, Haltung und Polit-Ansagen inklusive. Sie finden: Jeder, dem heute zugehört wird, sollte das System kritisieren
Frittenbude tragen seit 14 Jahren den Punk übers Land, Haltung und Polit-Ansagen inklusive. Sie finden: Jeder, dem heute zugehört wird, sollte das System kritisieren

Foto: Yasmina Haddad für der Freitag

Es sitzen verkackte Nazis in unserem Parlament“, schreit Johannes Rögner, als er auf die Bühne kommt. Er ist in schwarz gekleidet, hält in der einen Hand das Mikrofon, die andere streckt er zur Faust geballt in die Luft. „Nichts hat sich geändert“, ruft er. Zustimmendes Grölen aus dem Publikum.

Etwa 1.000 Menschen, die meisten Ende 20, sind an diesem Februarabend in die Arena gekommen, Wiens alternatives Kulturzentrum. Sie blicken zur Bühne, das einzige, was da leuchtet, ist das Abbild einer roten Sonne. „History repeats itself“, ruft Rögner. Die Scheinwerferlichter gehen an und er beginnt zu rappen: „Immer wieder (immer wieder) Wiederholung (Wiederholung)“.

Johannes Rögner, Jakob Häglsperger und Martin Steer sind „Frittenbude“. Der Name sei zufällig entstanden, so ungewöhnlich wie ihr Stil. Rögner singt, Steer spielt Gitarre und Häglsperger macht die Beats.

Ein Teil des Systems

Seit 14 Jahren füllen die drei Konzerthallen, vor allen Dingen im deutschsprachigen Raum. Einige ihrer Lieder sind Hymnen geworden, sie werden auf Demonstrationen gegen rechten Hass und Hetze gespielt. Sie versuchen mit ihrer Musik und auf Konzerten die Waage zu halten, wollen politische Inhalte vermitteln und gleichzeitig ein Vakuum schaffen, man soll der Welt für einen Abend auch einfach mal entfliehen können.

Vor einem ihrer Gigs auf ihrer Tour zum neuesten Album Rote Sonne sitzen die drei im Backstage-Bereich der Arena. Im Kühlschrank Limo, Bier und Kokosnuss-Wasser. „Wie erstaunt alle waren, dass in Thüringen ein FDP-Politiker sich zum Ministerpräsidenten mit der Unterstützung der AfD hat wählen lassen“, antwortet Rögner, wenn man ihn zum Aufstieg der Rechten in Deutschland fragt. „Ey, das ist nicht verwunderlich, sondern das ist die Realität. Und zwar schon länger.“ Er schüttelt ungläubig den Kopf. Die Augen vor der Gesellschaft und der Politik zu verschließen findet er naiv, falsch und fast unmöglich.

Sie würden aber eigentlich nicht Musik machen, um politisch zu sein oder so zu agieren, sagen sie. Dass sie sich positionieren, ihre Wertvorstellungen in die Texte einfließen lassen, sehen sie als vollkommen normal an. Es liege in ihrer Verantwortung als Band, die in der Öffentlichkeit steht. Frittenbude wollen andere darin bestärken, laut zu sein. Laut gegen Ungerechtigkeit, laut gegen rechts – wie auf einer Demo. Jeder, der in seinem Beruf mit Leuten in Kontakt steht, solle das tun – Lehrende oder Bäckereifachverkäufer*innen. „Jeder, der eine große Reichweite hat, sollte seinen Mund aufmachen“, erklärt Frontmann Rögner. „Wir haben das Glück, dass uns ein paar mehr Leute zuhören.“

In ihrem neuen Album geht es aber nicht um Revolte. Sondern um Liebe. Die sei ja auch politisch. Nicht jeden, den man liebt, könne man auch öffentlich lieben, sagen sie, und denken dabei zum Beispiel an Homosexuelle auf dem Land.

Ein Satz, dem jeder zustimmen würde. Während des Konzerts erstrahlt der Saal in tiefrotem Licht. „Raus mit dem ganzen Hass! Raus mit euren Mittelfingern!“ ruft Rögner. Ein Meer aus Mittelfingern bewegt sich ekstatisch im Takt mit dem Beat. „Gegen so Arschlöcher, wie HC Strache. Fick HC Strache. Die Dunkelheit darf niemals siegen“, schreit Häglsperger am Drum-Pad.Es mag unterkomplex klingen, aber es reicht ihnen, auf der Bühne zu stehen und ein Statement abzugeben.

Johannes Rögner stammt, genau wie sein Bandkollege Martin Steer, aus dem kleinen, bayrischen Geisenhausen, ganz in der Nähe von Landshut. Sie haben sich beim Skaten kennengelernt, es war sonst wenig los. Auf einer Fahrt zu einem kleinen Festival, gemeinsam mit Jakob Häglsperger, merkten sie, dass sie musikalisch auf einer Wellenlinie lagen. Häglsperger habe ein paar Beats, an denen er damals herumprobierte, ausgepackt. In der kleinen Karre auf dem Weg zum Festival habe es sich gut angefühlt, dann sagten sie: „Hey, lass uns ’ne Band gründen.“

In einem Luftschutzbunker unter der Turnhalle in Geisenhausen fingen sie mit dem Proben an. Kein leichtes Unterfangen, an diesen Raum heranzukommen. Die ländliche Vernetzung musste stimmen, ein Verwandter in irgendeinem wichtigen Verein aktiv sein, damit man einen der Räume zugesichert bekam. Vetternwirtschaft, die „bis heute nervt, aber uns damals auch kurzzeitig zu Gute kam“.

Den ersten Auftritt als Frittenbude hatten sie in der alten Kaserne in Landshut als Vorband des Electropunk-Musikerduos Mediengruppe Telekommander, das war 2006. Etwa 500 Leute seien da gewesen. „Wir dachten, dass sie uns ausbuhen würden“, sagt Rögner.

Ein Shirt von Audiolith – ein Statement

Die Exilbayern wollten der unpolitischen Feierkultur seit jeher etwas entgegensetzen. Spaß machen soll es, aber auch das Politische soll normal sein, ganz selbstverständlich. 2006 gegründet, reihten sich Frittenbude damals in eine Handvoll Gruppen ein, die Ähnliches verfolgten. Ihr Stil, eine Mischung aus elektronischer Tanzmusik und Punk, war vergleichbar. Und alle verstanden sich als links, zuweilen linksradikal. Heimat dieser Bands, zu deren prominentesten Vertretern etwa die noch immer aktiven Egotronic zählen, wurde das Hamburger Label Audiolith, gegründet im Jahr 2003 vom Erzieher und Anlagenmechatroniker Lars Lewerenz. Er erkannte das Potenzial des teils sehr rauen, aber immer tanzbaren Sounds der Bands dieser Ära. „Electropunk“ war Mitte der 00er-Jahre eine regelrechte Welle, Audiolith wurde schnell zur Marke.

Wie stilprägend das Label war, lässt sich aus einem der bekanntesten Frittenbude-Songs herauslesen: „Du kaufst der Frau, die du liebst, ein Shirt von Audiolith, das sie auch laufend anzieht, weil es da draußen nichts gibt.“ Fans wissen bis heute, welches Shirt „mit den schönen großen Buchstaben“ gemeint ist, und tatsächlich konnte man dieses Textil eine Zeit lang in so manchem alternativen Jugendzentrum sehen. Mittlerweile sind die Audiolith-Bands stilistisch weniger homogen, dafür aber politsch immer auf einer Linie. Die bekanntesten Namen sind Kraftklub und Feine Sahne Fischfilet. Lewerenz bleibt sich treu, er wollte immer Musik für „Jugendliche, die mit der Gesellschaft nicht klar kommen“, veröffentlichen. Dass es bei alldem auch was zu feiern geben muss, war und ist selbstverständlich.

Sie spielen ihr Stück Die Dunkelheit darf niemals siegen – es geht gegen Antisemitismus, die identitäre Bewegung und was sonst noch so von rechts kommt. Das Lied ist Teil des Albums, ist aber bereits vor der Veröffentlichung 2019 erschienen. Sie hätten den Release des Songs einfach nicht mehr zurückhalten können, nachdem in Chemnitz im August 2018 ein rechter Mob durch die Straßen marschierte, Menschen angriff und verletzte. Das Lied sehen sie auch als Protest gegen den stillen Protest, das Schweigen. „Es musste einfach raus“, sagt Rögner. Es gibt kein aufwendig produziertes Musikvideo, keine Promotion. Nur Text, der wie bei Karaoke in dicken Lettern auf dem Bildschirm erscheint: „Sie sagen, dass sie uns wieder jagen, dabei haben sie niemals damit aufgehört, Rechtspopulisten, identitäre Faschos“.

Für ihn sei es einfach selbstverständlich, Antifaschist zu sein, sagt Rögner. Aber es gehe nicht nur um rechte Hetze. Es soll eine Zustandsbeschreibung der Gesellschaft sein. Eine, in der sie anprangern, die „aufgeklärte Welt“ würde sich mit Bio-Gemüse und Spenden an NGOs ein reines Gewissen erkaufen wollen. Das System bleibe das gleiche. „Man rettet die Welt nicht, wenn man mal kurz in den Bio-Laden einkaufen geht“, sagt Martin Steer, der Gitarrist, vor dem Konzert. „Es wird doch mittlerweile auch für die breite Masse immer eindeutiger, dass eine kapitalistische Lebensweise an ihre moralischen Grenzen stoßen muss.“ Aber sie wollen niemanden von oben herab verurteilen, sagen sie, nehmen sich selbst nicht aus. Sie gehen auch zu Bio-Company, spenden an NGOs und sind Teil des Systems „und somit Teil des Problems“. Sie seien sich dessen bewusst. Und das reicht ihnen. Dann spielen sie das Lied, mit dem ihre Karriere richtig losging.

Mindestens in 1.000 Jahren brachte 2008 den Durchbruch. Auch meine Freund*innen und mich zog es vor etwa zehn Jahren zum ersten Frittenbude-Konzert, genauer auf das Wurm-Festival, in eine heruntergekommene Lederfabrik in Oberösterreich.

Alle strömten aus den umliegenden Dörfern dahin, es ging um Spaß, mal wieder richtig saufen und feiern. „Das Ambiente war ähnlich dem einer Zeltdisco“, sagt Steer heute. „Bisschen chaotisch, aber gut.“

Bis heute ist Mindestens in 1.000 Jahren ihr erfolgreichstes Lied. Kurz nach der Veröffentlichung gründete sich die antinationale Jugendzeitung Straßen aus Zucker – inspiriert von einer Textzeile. Die Zeitung zumindest erscheint jetzt halbjährlich mit einer Auflage von 180.000 Stück in Spanisch, Deutsch und Englisch – und präsentiert zusammen mit Sea-Watch die Rote-Sonne-Tour von Frittenbude. Straßen aus Zucker?

Band befiehl, wir machen das dann

Foto: ZweiKameraden/Imago Images

Rögner singt von einer Straße, die zum Horizont führt und die nicht steinig ist. Von einer absoluten Utopie, die es niemals geben wird. Vom schönen Leben.

„Wir woll’n die Freiheit der Welt und Straßen aus Zucker ... Schneien soll’s Geld und ab und zu Futter.“ Jeder könne sich da seinen eigenen Reim drauf machen.

„Seht ihr die Fahne da hinten?“, ruft Steer später auf der Bühne und zeigt mit dem Finger in eine dunkle Ecke. Da wird eine weiße Fahne mit blauer Schrift geschwenkt. Jeder, der möchte, solle seinen Plastikbecher den Aktivist*innen von Viva con Agua geben. So könne das Pfand an die NGO gespendet werden. Außerdem hat eine regionale Gruppe von Fridays for Future einen Infostand aufgebaut. Die Bewegung hätte die Band einfach gefragt. Für Frittenbude ging das klar. Fridays for Future unterstützen, für Klimaschutz sein – und gegen rechts – das ist auch die Haltung der Fans, und damit kann man heute Platten verkaufen, Geld verdienen und Arenen füllen.

Frittenbude ist bei dem Hamburger Independent-Musiklabel Audiolith unter Vertrag, sie haben ihrem Label sogar ein Liebeslied geschrieben, Bilder mit Katze. Immer wieder hätte man versucht, ihren Musikstil in Schubladen zu packen. Eher Techno-Punk, Electronica oder Pop? „Wir haben uns auf keinen Stil festgelegt, passen nirgends hin und haben somit Platz, uns auszuleben“, sagt Steer. Etikette würden nur einschränken.

Mit dem Begriff „Punk“ können sie sich identifizieren, sagen sie, weniger mit der Musik als mit dem Prinzip, sich von keinem etwas vorschreiben zu lassen. Sie entscheiden selbst, was sie machen und wie sie es tun. Einen Manager gibt es nicht, die Zusammenarbeit mit denen, die sie bisher hatten, habe nicht funktioniert. „Wir sind einfach überhaupt nicht autoritätshörig“, sagt Steer und lacht. Das gilt auch in der Band, sie entscheiden alles im Konsens.

Wenn sich einer nicht mit einem Lied identifizieren kann, dann wird es auch nicht veröffentlicht. Vielleicht ein Grund dafür, dass sie noch zusammen sind. Sie produzieren die Inhalte für Facebook, Instagram und Twitter im Alleingang, und positionieren sich dort zu politischen Entwicklungen. Nach der Wahl in Thüringen posteten sie auf Facebook und Instagram das Foto des Blumenstraußes, das die Thüringer Linken-Politikerin dem Ministerpräsidenten Kemmerich kurz nach der Wahl vor die Füße geworfen hatte, dazu der Hashtag #alwaysantifacists. So wie die meisten Follower. Wenn er manchmal die Kommentare in sozialen Netzwerken liest, lässt sich Rögner zur Debatte mit rechten Hetzern verleiten. „Man will denen nicht die Genugtuung geben, dass man Angst hat“, sagt er, aber die Botschaften findet er beängstigend.

Die drei Musiker sind mittlerweile Mitte/Ende Dreißig, sie sind mit ihren Zuhörern älter geworden, gehen nicht mehr so viel feiern wie früher und bringen den Nudelsalat in der Tupperdose mit auf die Hausparty. Dem konservativen Kleinbürgertum, in dem sie in Niederbayern aufgewachsen sind, entsagen sie noch immer, dahin könnten nicht zurückzugehen, auch nicht in der Rente, wenn sie je eine bekommen.

Am Ende des Konzertes rufen sie: „So, und jetzt umarmen wir uns alle.“ Manche Zuschauer sind irritiert, dass es jetzt keine „Wall of Death“ gibt, sondern eine „Wall of Hugs“. Frittenbude will keinen Hass, eher Wellnessurlaub und Demo in einem.

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