Bitte bedeckt halten

Feminismus Männer sollten im Sommer nicht oben ohne herumlaufen. Das ist eine Frage der Solidarität
Ausgabe 32/2019

Jeden Sommer tauchte sie in den vergangenen Jahren so zuverlässig auf wie Temperaturen über 30 Grad – die „No shirt, no service“-Debatte. Dahinter steckt die vor allem für linksalternative Veranstaltungen und Festivals geltende Ansage: Wer kein T-Shirt trägt, wird auch nicht bedient. Auf dem Fusion Festival sind derartige Schilder schon seit Jahren zu sehen. In vielen linken Jugendzentren sind ebenfalls entsprechende Hinweise angebracht. Oft geht die Regel über die angekündigte Intention („no service“) hinaus und kann auch schon mal rigoros durchgesetzt werden: Im Bielefelder ArbeiterInnen- und Jugendzentrum wurde 2013 ein Konzert der Band Feine Sahne Fischfilet unterbrochen, weil der Schlagzeuger auf der Bühne sein Shirt auszog. Nach kurzer Unterbrechung zeigte die Band Einsicht. Die Regel gibt es seither an mehr und mehr Orten – und sie führt zur heißen Jahreszeit jedes Mal zu den gleichen Diskussionen.

„No shirt, no service“ betrifft vor allem Männer, die sich ja gerne mal ihres Shirts entledigen – wegen der Hitze oder einfach, weil sie zu geil für diese Welt sind. Durch „No shirt, no service“ werden sie zur Solidarität denjenigen gegenüber verpflichtet, die sich eben nicht so locker obenrum frei machen können – Frauen.

Denn machen wir uns nichts vor: Männliche Nacktheit wird toleriert, weibliche nicht. Selbst im sexualisierten Kontext von Titelmädchen, Busenstars oder Werbemaskottchen für Bohrmaschinen sind weibliche Nippel verboten. Ist die Brust mal nicht Mittel zum sexy Zweck, wird es noch unangenehmer: Seit Jahren müssen sich Frauen mit Internetrichtlinien auseinandersetzen, in denen ihre Brüste zensiert werden, wenn sie beim Stillen zu sehen sind, weil das T-Shirt verrutscht oder Nacktbaden am See angesagt ist. Gepolsterte BHs dienen nicht nur dazu, die weibliche Brust optisch zu runden, sie verhindern auch, dass sich die Nippel unter dem T-Shirt abzeichnen. Denn das wäre ja erotisch viel zu sehr aufgeladen.

Wer glaubt, die Nippelphobie höre beim Sonnenbaden auf, irrt. Auch an Badeseen, Flussufern oder im Park werden Frauen immer wieder aufgefordert, doch bitte ihren Busen zu bedecken, während der Mann auf dem Handtuch nebenan seine Brust ungestraft der Sonne entgegenräkelt. Und nicht nur dort, auch an den meisten anderen Orten können sich Männer ihrer Oberbekleidung entledigen, ohne dafür dumm angemacht zu werden, im Sportstudio, beim Feiern, beim Grillen, in Fußgängerzonen oder zum Trikottausch nach einem Fußballmatch. Den wiederum gab es nicht, als diesen Sommer die Frauenfußball-WM stattfand. Da haben die Spielerinnen ihre Trikots selbstredend anbehalten, obwohl darunter auch bloß ein Sport-BH zu sehen gewesen wäre. Genau das aber scheint in diesem Zusammenhang für viele die Lösung zu sein: Statt mit einem Slogan wie „No shirt, no service“ Männer zu bevormunden, sollten Frauen einfach viel selbstbewusster ihren Körper und ihre Brüste zeigen. Das ist nicht mal mit lüsternem Zwinkern verbunden, sondern ein ernst gemeinter Vorschlag, um eine liberalere Welt zu etablieren, in der sich doch bitte alle Geschlechter nackig machen sollen, wie es ihnen beliebt.

Abgesehen von der Fragwürdigkeit eines Slogans, mit dem in den USA die Rassentrennung aufrechterhalten wurde – damals sollte der Spruch „No shoes, no service“ implizit verhindern, dass Afroamerikaner, die sich oft kein Schuhwerk leisten konnten, Läden betreten durften –, stellt sich die Frage, ob Verbote dem Emanzipationsgedanken nicht zuwiderlaufen; besonders in einer Szene, die sich Werte wie Freiheit und Toleranz besonders groß auf die gesellschaftskritischen Fahnen schreibt. Zweifellos, Verbote sind Spaßverderber. Aber in diesem Fall die richtige Ansage.

Nichts zu befürchten

Denn der gut gemeinte Ratschlag, Frauen sollten einfach selbstbewusst blankziehen, ist ein Zeichen männlicher Ignoranz gegenüber dem, was es heißt, als Frau zu leben. Männer müssen sich einfach weniger Gedanken um ihr Sein in der Welt machen: Es gibt niemanden, der sich in der vollen S-Bahn an ihrem Arsch reibt, sie nachts auf dem Weg nach Hause erst blöd anmacht und dann wütend beschimpft, niemanden, der ihnen ständig einreden will, sie hätten keine Ahnung. Im Gegenteil: Wenn Männer ihren nackten Oberkörper zeigen, ist das nicht selten eine Demonstration von Macht und Männlichkeit, eine sexuell selbstbewusste Geste. Abschätzige Blicke oder übergriffige Kommentare haben sie nicht zu befürchten. Frauen dagegen schon. Frauenkörper werden anders bewertet und kommentiert. Da hilft auch weibliches Selbstbewusstsein nicht. Mehr noch kann Nacktheit Frauen doppelt negativ betreffen: die eigene als falsch verstandene Aufforderung zum Übergriff und die der Männer als offensiv und bedrängend. Dem männlichen Blick setzt sich der weibliche noch immer nicht ebenbürtig entgegen.

So zeugt es von einer typisch antifeministischen Haltung, Frauen die Verantwortung dafür zu übertragen, Freiräume zu schaffen, die von Männern besetzt sind. Wie frei bitte ist eine Feierkultur, wenn es doch nur um die Freiheit der Männer geht? Wird diese beschnitten, ist das Geschrei groß. Gilt die Einschränkung bloß für Frauen, kräht kein nackter Hahn danach. Es reicht eben nicht, ständig patriarchale Privilegien zu genießen und den Frauen zu raten, sie sollten sich nicht so haben und es einfach genauso wie die Männer machen, dann läuft’s schon. Das klappt nicht beim nächtlichen Gang durch den Park, nicht beim Gender Pay Gap, nicht bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eben auch nicht beim Nippelzeigen.

Was macht Männer zu Feministen? Wenn sie als Vater zwei Monate Elternzeit nehmen? Wenn sie ungebeten den Müll runterbringen oder wenn sie Kampagnen wie #aufschrei oder #MeToo unterstützen? Der Schauspieler Benedict Cumberbatch lehnt Angebote für Filme ab, bei denen die weibliche Hauptrolle nicht die gleiche Gage bekommt wie er. Das ist ein Feminist: ein Mann, der aktiv etwas dafür tut, dass Frauen gleichgestellt sind, auch wenn er dabei Einbußen in Kauf nehmen muss. Bei „No shirt, no service“ geht es nicht einmal um Geld, es geht um ein Stück Stoff. Wenn Männer es nicht schaffen, aus Solidarität ihr T-Shirt anzulassen, wie können Frauen darauf vertrauen, dass sie gleichberechtigte Bezahlung mittragen wollen? Wie soll Gleichberechtigung funktionieren, wenn Männer nicht einmal bei einem Thema wie diesem sagen können: „Das seh ich ein, da bin ich dabei“?

Dass ausgerechnet Protagonisten der vermeintlich reflektierten linken Szene sich bei diesem Thema so echauffieren, macht den „No shirt, no service“-Ansatz umso wichtiger. Es geht um Solidarität, darum, sich gemeinzumachen mit einer Sache, von der man überzeugt ist, auch wenn es unbequem ist, sie umzusetzen.

Trotzdem kann „No shirt, no service“ nur ein Anfang sein. Viel wichtiger ist es, tatsächlich Räume zu schaffen, in denen Frauen genauso frei Nacktheit praktizieren dürfen, ohne Ressentiments oder Belästigungen zu erfahren. Festivals und andere Veranstaltungen können hier ein Zeichen setzen – wenn nicht im großen Rahmen, dann mit gezielt geschaffenen Zonen. Zonen, in denen jede Form von Nacktheit akzeptiert und wertgeschätzt wird, nicht nur jene, die dem Schönheitsideal entspricht.

Emanzipation ist kein Urlaub

Im Internet gilt es weiterhin, weibliche Nacktheit zu legitimieren. Die Aktivist*innen von der feministischen Kampagne „Free The Nipple“ rufen zum Blankziehen oder zum Tragen von T-Shirts mit aufgedruckten Brüsten auf. Zuletzt wurden sie laut, als Kapitänin Carola Rackete dafür kritisiert wurde, dass sie vor Gericht ohne BH erschienen war. Es geht um Aufwertung und Sichtbarkeit jenseits eines sexualisierten Kontextes, in dem Frauen selbstbewusst ihre Brüste zeigen können. Was online gelingt, hat auch offline Chancen, sich zu etablieren. Und natürlich dürfen Fußballerinnen nach dem Match mit den Gegnerinnen ihre Trikots tauschen – als Zeichen von Fairness und Respekt, nicht zum gaffenden Amüsement männlicher Zuschauer.

An allen Orten, an denen Frauen diese Form von Nacktheit nicht möglich ist, auf den Partymeilen der Welt, in Fußgängerzonen und Beachclubs, in Fitnessstudios und beim Grillabend mit Freunden, sollten Männer einfach mal das Shirt anbehalten. Dass sie dabei ins Schwitzen kommen, nun gut – Emanzipation ist kein Strandurlaub.

Verena Reygers ist freie Journalistin und Historikerin und schreibt unter anderem für die Neue Osnabrücker Zeitung und das Missy Magazine

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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