Sie sagte: No, No, No

Amy Winehouse Ein Tod, der keine Überraschung war: Zu oft hatte man den Eindruck, Amy Winehouse bei ihrem Abschied zuzuschauen. Verena Reygers erinnert sich an eine große Sängerin

Am Samstagnachmittag blättere ich durch eine aktuelle Musikzeitschrift. Ein doppelseitiges Foto zeigt Amy Winehouse bei ihrem Konzert vor wenigen Wochen in Belgrad. Die knochigen Arme hängen kraftlos runter, ihr Kopf und ihr Oberkörper sind leicht nach vorn geneigt, ein Backgroundsänger hält die Musikerin an den Hüften und vermeidet, dass sie komplett zusammenbricht. Im Hintergrund beobachte der Gitarrist mit angespanntem Gesichtsausdruck die Szene.

Fünf Minuten später sitze ich am Computer und lese online: Amy Winehouse ist tot.

Vielleicht ist es dieser merkwürdige Zufall, der mich erschaudern lässt, vielleicht auch der Gedanke, dass der merkwürdige Mythos des Club 27 nun um ein weiteres Opfer genährt wird. Und es ist die Erinnerung, wie ich Winehouse 2003 das erste Mal im Kulturteil der Brigitte sah. Auf einem Foto, das sie in einer Art Tüllrock auf dem Bordstein hockend zeigte. Fast ein bisschen zu mädchenhaft wirkte sie auf mich, aber was der Kollege über ihr Debütalbum Frank schrieb, klang spannend.

Ich besorgte mir das Album und merkte schon beim Betrachten des CD-Booklets, dass Winehouse nicht bloß ein Tüllrock-Mädchen war. Der fingernagelgroße Aufdruck „Parental Advisory“ auf der Vorderseite warnte vor expliziten Inhalten. Die Bilder im Booklet zeigten abgesplitterten Nagellack, CD-Türme und Familienfotos vor orangfarben gestrichenen Wänden, eine vor dem Spiegel kniende Amy, die sich Lidschatten über die Augen malt. Fotos eines Teenagers, deren inszenierte Häuslichkeit und Familienzusammenhalt nicht über ihren unangepassten Charme hinwegtäuschen wollen. Dazu Songs, die zwischen Jazz, Pop und Soul pendelten. Und diese Stimme – als habe Winehouse sämtliche in Korsagen gezwängte Sehnsüchte der vergangenen Jahrzehnte besungen.

Drei Jahre später erschien Back to Black. Eine Freundin, die zu dem Zeitpunkt nicht mehr als ein Dutzend CDs besaß, die sie auf einem schiefen Turm in der Küchenzeile stapelte, liebte diese Platte. Ich war beeindruckt von der ersten Single „Rehab“: Ein Song verschwitzt wie eine schwüle Sommernacht, matt und kraftstrotzend zugleich. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass Winehouse Drogenprobleme hatte.

Back to Black machte die Engländerin weltweit berühmt. Wir hörten es damals den ganzen Sommer. Auch wenn Rehab die Hymne dieser Platte war, kroch mir doch vor allem der Titeltrack in Haar- und Fußspitzen:

Der körperliche Verfall ist bereits sichtbar und das hier ist einer der wenigen frühen Auftritte zum Album, bei denen Winehouse nicht torkelt oder lallt. Auf jeden Fall ist aber genau das, was sie die nächsten Jahre unaufhörlich in die Schlagzeilen bringt – und was ihre Musik allein wohl kaum vermocht hätte. Winehouse dominiert mit ihren Exzessen die Nachrichten 2007, also in der Zeit vor Lady Gaga, die heute allein durch Kostümierung und Popkultur-Recycling die Medien-Dauerbeachtung am Laufen hält.

Aber irgendwie geht es noch gut. Ihr Produzent Mark Ronson, der sich mit Back to Black in die Total-angesagt-Liga katapultiert hat, bringt einen Solo-Song mit Amy als Sängerin heraus und kassiert im Jahr drauf bei den Grammy Awards die Trophäe als Produzent des Jahres.

Ronsons schleppender, mit den Knien schlackernder Retro-Soul wird zum Trend, dessen sich auch Sängerinnen wie Duffy oder Lily Allen bedienen, bis der One-Woman-Elektro-Glitter von Florence and the Machine, La Roux oder Little Boots kurze Zeit später übernimmt. Amy Winehouse genehmigt sich derweil noch einen.

Es wird immer mehr zum Glückspiel, ob sie einen Auftritt durchhält oder nicht. Natürlich gibt es Entziehungskuren, eine Scheidung, gute Vorsätze und eben diesen viel belächelten Comeback-Versuch Ende Juni. Und natürlich: Amy Winehouses Tod ist keine Überraschung. Wahrscheinlich lagen die Nachrufe schon lange in den Schubladen der Redaktionen, direkt neben denen von Pete Doherty.

Aber während einige männliche Musiker in den vergangenen Jahren an einer Überdosis starben, haben wir viele Musikerinnen wie Ari Up, Poly Styrene oder Lhasa durch Krankheiten verloren. Nun also eine, die auch krank war, aber auf andere Art – und die es nicht geschafft hat. Amy Winehouse leistet dort oben (oder unten) Janis Joplin Gesellschaft. Ich glaube, ihre Rockröhre und Amys nasal-quengelnd verrauchtes Raunen werden sich gut verstehen: "They Tried to make me go to rehab, I said 'no, no, no'."

Verena Reygers schreibt in ihrer zweiwöchentlichen . Diese erscheint immer montags im Wechsel mit der von Kathrin Rönicke.Kolumne über Frauen und MusikGender- und Bildungskolumne

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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