Es ist die Geschichte mit der Torte, die man gerne äße, aber doch auch gerne noch behielte. Oder vielleicht ist es auch nur Krümelkuchen. Jedenfalls kann sich Umweltminister Norbert Röttgen nicht durchringen, sein Regierungsamt in Berlin notfalls gegen die harte Oppositionsbank in der rheinischen Provinz zu tauschen. Hasenfuß wird der CDU-Landeschef deshalb bereits geziehen, und selbst die FDP macht sich über den „Feigling“ lustig.
So scheint sich im Fall des zaudernden CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen – nach der gerade durchlittenen Wulff-Affäre – schon wieder die Vollkaskomentalität der deutschen Politik zu dokumentieren: lavierend, risikoscheu, ehrenbesoldet. Eine glattgeschmirgelte, konturlose Generation gecoachter Karrieristen, die sich über ihr Taktieren zum eigenen Vorteil in eine Entscheidungslähmung manövriert haben. Empörung ist ihnen sicher.
Die Frage ist nur: Ist das relevant? Oder ist diese leicht entflammbare Debatte über unsere angeblich so fade, so fadenscheinige, so fehlbare politische Klasse nicht ein Nebenkriegsschauplatz, ein Ablenkungsmanöver in der eigentlich fälligen inhaltlichen Auseinandersetzung?
Kompetenz ist nicht so wichtig
Immer öfter überdeckt die Personalisierung in der politischen Berichterstattung, die sich durchaus als Teil der Unterhaltungsindustrie verstehen darf, die kleinteiligen und mühsamen Inhalte zwischen dem Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich. „Vertrauen“ und „Authentizität“ seien inzwischen für einen Politiker wichtigere Kategorien als „Kompetenz“, konstatierte der Emnid-Forscher Klaus-Peter Schöppner schon 2009. Das Wahlvolk sehnt sich offenbar nach einem, der die Sache regelt, einer, der man die eigenen politischen Pflichten bedenkenlos anvertrauen kann, brillant und integer, unparteiisch und sachorientiert, aber bitte mit Pfiff – Angela Merkel haben wir ja schon.
Für geraume Zeit besetzte diese Rolle ausgerechnet der elitäre Adelsspross Karl-Theodor zu Guttenberg, der die richtige Mischung zu haben schien aus Eros, Ego und Ehrlichkeit und dem im Wirtschafts- wie im Verteidigungsministerium der Ruf von Sachkompetenz vorauseilte – selbst wenn die sich in seiner Arbeit nur schemenhaft spiegelte. Nachdem der Freiherr vor einem Jahr beim Copy und Paste versehentlich den eigenen Mythos gelöscht hat, stößt nun ein ganz anderer in die Lücke: Ein Pastor aus Rostock soll an der Spitze des Staates die unbändige Sehnsucht nach Glaubwürdigkeit stillen.
„Demokratie braucht Vertrauen“, mahnte denn auch Bundestagspräsident Norbert Lammert in der Bundesversammlung. „Sie gründet auch und vor allem auf dem Vertrauen in ihre Repräsentanten.“ Gauck selbst nahm dies auf und bekräftigte die „Hoffnung auf eine Annäherung zwischen den Regierenden und der Bevölkerung, an der ich nach meinen Möglichkeiten unbedingt mitwirken werde“.
Es bleibt nur die Scheidung
Dieses Bemühen ist sicher nicht schlecht. Auch wenn die Schaumkronen auf den Wogen der Empörung bisweilen reichlich künstlich wirken, die Polemik gegen Politik billig, die Erwartungen übersteigert – die Entfremdung zwischen Bürgern und ihren gewählten Repräsentanten ist tatsächlich erschreckend tief. Handelte es sich um ein Paar, bliebe wohl nur die Scheidung.
Und doch geht die gesamte Debatte am Kern des politischen Geschehens vorbei. Es geht bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eben nicht darum, ob Norbert Röttgen sich ein Karriere-Hintertürchen offen halten will und noch überlegt, wie er sich als Kronprinz der Kanzlerin optimal positioniert – und ob er deshalb vielleicht ein Schlappschwanz ist. Es geht nicht um den heroischen Einsatz von Christian Lindner für seine Zwei-Prozent-Liberalen, den der junge Ex-General scheinbar ohne Rücksicht auf das eigene Fortkommen angenommen hat. Am Ende werden beide, wenn man sie lässt, ihre politischen Ziele durchsetzen – ganz unabhängig davon, ob man die beiden nett findet oder nicht.
Politik ist nicht unterschiedlos
Es geht bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen um eine politische Alternative. Es geht darum, ob sich eine FDP in den nächsten fünf Jahren für den Erhalt eines elitären Gymnasiums verkämpft – oder ob die Konstrukteurinnen des Schulfriedens weiter an einem realistischen Bildungskonzept arbeiten. Es geht darum, ob nun fünf Jahre lang das Mantra der Schuldenbremse und des bösen Staats gesungen wird – oder ob die Landesregierung zumindest um kleine Spielräume staatlichen Handelns ringt. Es geht nicht zuletzt um Richtungsentscheidungen im Bundesrat für eine gerechtere Besteuerung und eine sinnvolle Gestaltung der Energie- und Sozialsysteme. Und um ein Signal, dass andere politische Konzepte auch im Bund nach der Wahl 2013 eine Chance haben.
Es ist falsch anzunehmen, die Politiker machten es schon richtig, solange sie nur authentisch sind. Genauso falsch ist es zu suggerieren, Politik sei unterschiedlos – in ihren Inhalten wie in ihrem angeblich korrumpierbaren Personal. Aufgabe der Parteien ist es, die Konsenssoße abzukratzen, damit sich die Konturen wieder abzeichnen. An den Wählern ist es, sich wieder auf Politik als Entscheidungsprozess einzulassen und sich nicht zu verschanzen hinter aufgeblähten, immer aufs Neue enttäuschten Heilserwartungen.
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