Norbert Röttgen stimmt gerade sein „meine Schuld, meine große Schuld“ an im Atrium des Konrad-Adenauer-Hauses, da verziehen sich ihre Mundwinkel zur Karikatur. Ja tatsächlich, Angela Merkel schneidet eine Grimasse für die Fotografen, für einen Moment grient sie komplizenhaft und keck, als wäre dies alles hier ein großer Spaß. Dann dringen Röttgens Worte wieder zu ihr durch, „flächendeckende, klare Niederlage“, und die CDU-Chefin findet zurück in die Pose der Versteinerten, senkt den Blick, demütig und ein klein wenig gelangweilt.
Es ist der Tag nach dem Desaster an Rhein und Ruhr, 26 magere Prozent für die CDU, ein Keulenschlag, wie es Merkels Adlatus Peter Altmaier genannt hat. Ein Triumph für Rot
#252;r Rot-Grün mit nun satter eigener Mehrheit. Ein Triumph vor allem für die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die über Nacht nicht nur zur Retterin der deutschen Sozialdemokratie avanciert ist, sondern auch zur „zweitmächtigsten Politikerin Deutschlands“. Plötzlich ist sie die wichtigste Gegenspielerin der Kanzlerin und auch eine Art Gegenmodell: westdeutsch, bodenständig, volksnah, links. Und womöglich bald SPD-Kanzlerkandidatin. Doch Merkel gibt sich ungerührt. Stoisch stellt sie sich diesem Pflichttermin zum Abhaken des Unabänderlichen, entrückt irgendwie – so wie neulich beim politischen Aschermittwoch, als ihr ein tapsiger Kellner fünf Bier in den Kragen kippte und Merkel sich noch nicht einmal umdrehte zu ihm. War was? Ach ja.Zurück zur TagesordnungIm Jahr sieben ihrer Kanzlerschaft scheint Angela Merkel alleine zu thronen in luftiger Höhe, wie eine Königin auf einem schmelzenden Eiszapfen. Abgehoben von ihrer Partei, die in Umfragen so viel schlechter abschneidet als die Bundesvorsitzende und sich, wie in Nordrhein-Westfalen, bisweilen selbst ganz klein macht. Unbeschwert ist sie nun von aller Programmatik – die neoliberalen Leipziger Beschlüsse sind ein knappes Jahrzehnt später fast vergessen. Bar auch aller Widersacher und Kronprinzen in der CDU. Friedrich Merz, Günther Oettinger, Roland Koch, Christian Wulff, Ursula von der Leyen und nun Nobert Röttgen, der Wahlverlierer von Nordrhein-Westfalen. Alle weg oder angeschlagen.Verpflichtet scheint Merkel nur noch der Verwaltung der Sachzwänge, wie sie sie sieht – in Deutschland, in Europa. Und so versucht sie auch nach dieser krachenden Wahlniederlage die rasche Rückkehr zur Tagesordnung. Ein „bitterer Tag“ sei das. Und: „Traurig sind wir alle.“ Aber nun genug davon. Es gehe um die „Aufgaben, die vor uns liegen“. Die Energiewende – die „Kontinuität der Aufgabenerfüllung“ mache es notwendig, dass Röttgen als Bundesumweltminister im Amt bleibe. Das sagt sie an diesem Montag wirklich. Kaum 48 Stunden später sieht das ganz anders aus. Da feuert sie Röttgen dann doch aus seinem Ministeramt. Aber eben auch irgendwie im Vorübergehen, verkündet in einem einminütigen Statement vor der blauen Wand im Kanzleramt. Sie habe mit dem Herrn Bundespräsidenten gesprochen und den Herrn Röttgen entlassen lassen. Fertig. Und jetzt geht mit einem Neuen, eben Peter Altmaier, alles weiter wie bisher.Übermäßige Anbiederung an ihre Partei oder ans Volk kann man Merkel kaum vorwerfen – auch wenn sie nun gerne in ihren guten Umfragewerten schwelgt und im NRW-Wahlkampf begeistert Hände schüttelte. Vielmehr wird die CDU-Chefin in ihrer Isolation von Freund und Feind zum Symbol einer von der Wirklichkeit entbundenen Politik. Bundespräsident Gauck? Nie und nimmer! Möglicher Wahlsieg des Sozialisten François Hollande in Frankreich? Ignoriert bis zum Beweis des Gegenteils. Rasant schrumpfende Wirtschaft in Griechenland? Muss man halt mehr sparen! 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien? Nur kein Wachstum auf Pump!Und das alles von einer Regierungschefin, die 2008 und 2009 in Deutschland mehr als 60 Milliarden Euro in Konjunkturprogramme kippte. Damals schien sie erschüttert von der Wucht und der sozialen Sprengkraft der Krise, die ihre Regierung hätte in Gefahr bringen können. Heute wirkt die 57-Jährige unerschütterlich in ihrem Dauerkampf zwischen Euro-Krisengipfeln und Grundsatzdebatten, zwischen Koalitionsscharmützeln und den elf für Schwarz-Gelb verlorenen Landtagswahlen.Leben vom KompetenzbonusDas alles fiele weniger auf in der Merkel-Republik – die sich in erstaunlicher Weise angefreundet hat mit dieser ostdeutschen Protestantin, die deren Nüchternheit schätzt in der Nachfolge eines aufgeplusterten Gernegroß und Basta-Kanzlers –, wenn nicht plötzlich dieser krasse Kontrast sichtbar würde zur Gewinnerin dieser Tage: Hannelore Kraft. Oft werden ja Parallelen skizziert zwischen den beiden, die ähnlich spät, mit über 30, quer in die Politik einstiegen und die beide politisch von einem Kompetenzbonus leben (die Physikerin! die Wirtschaftswissenschaftlerin!). Wenn die kühle Merkel aus unerfindlichen Gründen das Etikett „Mutti“ mit sich schleppt, hat Kraft mit der selbstgewählten Rolle als „Kümmerin“ erst recht etwas Landesmütterliches. Beide verbindet auch etwas Präsidiales, Überparteiliches. Und doch trennt die beiden weit mehr als sieben Jahre in der großen Politik.Während sich Merkel und Röttgen am Montag noch in der CDU-Zentrale abmühen, grinst Kraft zwei Kilometer weiter östlich in einem ZDF-Studio in die Kamera. Diesmal hat die 50-Jährige einen grauschwarzen Blazer gewählt, das Outfit hat wieder diese leicht großmütterliche Note, doch gibt sie sich kampfeslustig und entspannt. Wieder wird sie gefragt, wie das denn noch werden solle mit ihrer Politik des ungebremsten Schuldenmachens in Nordrhein-Westfalen. Kraft hält dagegen. Eine Milliarde Euro Einsparungen habe Rot-Grün vorgeschlagen, bevor der Landeshaushalt scheiterte und Neuwahlen ausgerufen wurden. „Dass ein strikter Sparkurs gefahren werden muss, ist klar.“ Das sagt sie auch gemünzt auf Europa. Nur müsse eben gleichzeitig investiert werden, vor allem in Bildung, um später die Reparaturkosten zu vermeiden. Vorbeugende Politik nennt Kraft das – im scharfen Gegensatz zu reiner Austerität.Tiefer noch ist die Kluft zwischen ihr und Merkel beim Politikverständnis. Zwar haben Wahlkampffloskeln und Gemeinplätze – breiter Rücken! klare Kante! – auch Krafts Rhetorik gekapert, und sie spielt durchaus machtbewusst mit ihrer Rolle als SPD-Bundesvize, in der sie Ende letzten Jahres mit phänomenalen 97 Prozent bestätigt wurde. Aber bei den Grundsätzen gibt sich Kraft naiv – jedenfalls völlig anders als Merkel: „Ich möchte eigentlich immer noch die Welt verändern“, sagte die Ministerpräsidentin vor einem Jahr in einem Fernsehinterview. Politik verstecke sich gern dahinter, angeblich nichts gegen Sachzwänge – und die Finanzmärkte – tun zu können. „Ich sehe, dass man etwas verändern kann.“ Genau aus diesem Grund wolle sie in Nordrhein-Westfalen bleiben und eben nicht nächstes Jahr Kanzlerkandidatin der Sozialdemokraten werden.Eine fiese kleine SpitzeOb sie das durchhält, wird sich zeigen. Fürs erste sind die drei Möchtegern-Anwärter Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück offenkundig erleichtert über die Absage dieser leibhaftigen Wahlsiegerin aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland, die sie mit einem Fast-40-Prozent-Ergebnis deklassiert. Und erleichtert scheint auch die Kanzlerin, die sich selbst Mut zuspricht, das Wahlergebnis in NRW habe ganz klar mit der Spitzenkandidatin zu tun und im Bund sei nächstes Jahr alles anders.Kraft allerdings lässt diese Deutung nicht durchgehen, weder den eigenen Jungs noch ihrer Gegenspielerin. In Nordrhein-Westfalen sei es, so betont die Wahlsiegerin nun immer wieder, um Inhalte gegangen. Neue Inhalte, die sie in ihrem nach der Schröder-Politik und dem Wahldebakel 2005 schwer verunsicherten Landesverband durchgesetzt hat. Korrekturen an der Agenda 2010, eine Rückbesinnung auf klassische sozialdemokratische Politik. Dieselbe Neupositionierung habe jetzt die SPD im Bund vor sich, und dann klappe das auch wieder mit den Mehrheiten. „Es geht jetzt um Inhalte“ – was für eine fiese kleine Spitze gegen die drei Unentschlossenen in ihrem 26-Prozent-Keller.
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