Das Paradox der optimistischen Dystopie: „Adam und Ada“ von Christian Kellermann.

Hirnkost Christian Kellermann ist mit dem Roman „Adam und Ada” eine gleichermaßen zeitgemäße wie aufrüttelnde fiktionale Reflexion zu zwei der großen Megathemen des 21. Jahrhunderts gelungen: Biotechnologie sowie zur KI bzw. Informationstechnologie.

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Christian Kellermann ist mit dem Roman „Adam und Ada” eine gleichermaßen zeitgemäße wie aufrüttelnde fiktionale Reflexion zu zwei der großen Megathemen des 21. Jahrhunderts gelungen: der Parallelität und Interaktion des disruptiven Fortschritts in den wissenschaftlichen Feldern der Biotechnologie sowie der KI- bzw. Informationstechnologie.

Der Autor, KI-Experte und im Hauptberuf Ökonomie-Professor in Berlin und Frankfurt, verfügt in beiden Themenbereichen erkennbar über eine breite wissenschaftliche Expertise. Was den Roman aus einer gesellschaftstheoretischen Perspektive interessant macht, ist seine kombinierte Analyse dreier eng aneinander gekoppelter Systeme, deren komplexe Eigenlogik und kommunikative Interaktion für unser menschliches Zusammenleben maßgeblich ist. Der Autor denkt viele aktuelle Entwicklungen weiter und zeigt vor dem Hintergrund eines (offenbar weiterhin neoliberalen) gesellschaftlichen Panoramas, deren Risiken, aber auch deren mögliche Potenziale für die Menschheit auf.

  • Das menschliche Bewusstsein und seine in der Protagonistin Ada MacAdam fast pathologisch ausgeprägte Tendenz zur Selbstoptimierung. Die Charakterisierung der Protagonistin bleibt in der gesamten Geschichte seltsam flach, so dass sie beim Leser oder der Leserin kaum an Sympathie gewinnt. Das ist vermutlich bewusst so angelegt: zwar verkörpert Ada nur wenig Menschliches, aber sie unterliegt gleichzeitig dem ur-menschlichen Wunsch nach ewiger Jugend, Selbstverbesserung und Unsterblichkeit.
  • Das System der Technik bzw. der Wissenschaft wird über eine realitätsnah weiterentwickelte Form künstlicher Intelligenz sowie der zur Marktreife gelangten Zukunftstechnologie des „Quantum Computing“ in die Geschichte eingespeist. Anfangs scheint es so, als hätte Ada eine intimere Beziehung zu ihrem KI-Assistenten Adam als zu den übrigen Charakteren der Geschichte, inklusive ihrer Tochter Iris. Zudem baut der Autor an einigen Stellen Anspielungen zu unserer heutigen Konsensrealität und hegemonialen Wissenschaftsgeschichte ein (z.B. mit der beiläufigen Erwähnung des Klon-Schafs „Molly“ sowie Anspielungen auf die in der Volksrepublik China der nahen Zukunft offenbar immer noch anhaltende Corona-Pandemie).
  • Die Systemebene der Organisation wird über die Funktionsrolle der Protagonistin abgedeckt, die als operative Führungskraft eines global führenden Biotech-Konglomerats hart am Wind des Fortschritts segelt und sich dabei mit allerhand moralischen Fragen und ethischen Folgeproblemen ihrer Arbeit herumplagen muss.

Da es sich bei „Adam und Ada“ eher um einen Beitrag zum paradoxerweise häufig grundoptimistischen Zukunftsgenre der Dystopie handelt (siehe z. B. Sybille Berg, Juan S. Guse), hebt sich der Roman wohltuend von den meisten Vertreter:innen des sog. „Transhumanismus“ (z.B. Yuval Noah Harai, David J. Chalmers) ab, die heute weniger als autoritative Stimmen der Wissenschaft, denn als popkulturelle Phänomene interessant sind.

Die vorwiegend männlichen Vertreter dieser sog. „Philosophie“ singen das modernisierungstheoretische Lied des Silicon Valley und gehen dabei (wie z. B. Adrian Daub in „Was das Valley denken nennt“ luzide herausarbeitet) teilweise weit über die Grenzen zum Esoterischen hinaus. Diese Weltsicht findet sich im Roman am ehesten in der etwas klischeehaften Figur des Antagonisten Henri Soederberg wieder, der (wie heute z.B. Harari) davon auszugehen scheint, dass das Bewusstsein und die Biologie des Menschen nicht mehr seien als ein komplexer Algorithmus, der nach Belieben durch den Menschen entschlüsselt und manipuliert werden kann bzw. sollte. Anstatt derart merkwürdigen Normalisierungen auf den Leim zu gehen, lässt sich der Roman eher als Denk- und Diskussionsangebot lesen, neu über das Verhältnis und die Grenzen zwischen Mensch und Maschine sowie zwischen Realität und Simulation, nachzudenken.

Der Roman ist inspiriert von dem Werk "Der Tunnel" von Bernhard Kellermann, dem Urgroßonkel des Autors, der bereits im Jahr 1913 einen visionären Roman über den Bau eines transatlantischen Tunnels veröffentlichte. Christian Kellermann knüpft an diese Geschichte an und bietet eine neue Interpretation und Fortschreibung für das 21. Jahrhundert an. Sprachlich ist der Roman recht anspruchsvoll, dabei aber trotzdem ansprechend und spannend geschrieben. Kellermann wechselt immer wieder zwischen verschiedenen Zeitebenen sowie Erzählperspektiven, -strängen und -formen.

Es handelt sich nicht nur um einen Wissenschaftsroman, sondern auch um einen Thriller, der die Spannung bis zum Ende aufrechterhält. Kellermann stellt die Frage nach der Identität, der Moral und der Verantwortung von Ada, die sich zwischen ihrem beruflichen Ehrgeiz, dem familiären Konflikt mit ihrem Ex-Mann und ihrer Tochter Iris sowie ihrer eigenen Gesundheit bzw. ihres Wohlbefindens entscheiden muss.

Etwas negativ fallen stellenweise die vielen Fachbegriffe auf, deren Einsatz teilweise zulasten von Erzählfluss und Spannung gehen. Außerdem mangelt es dem psychopathischen Antagonisten, der in guter Bondbösewicht-Manier erst gegen Ende der Erzählung persönlich in Erscheinung tritt, etwas an Tiefgang, aber das ist nur meine persönliche Meinung 😉. Sowohl er als auch Ada taugen zwar als „Watschnmann“ und/oder „Watschnfrau“ zur zweifellos berechtigten Kritik an unserem szientizistischen und technokratischen Zeitgeist, hätten aber über eine etwas menschlichere Charakterisierung den konfliktiven interaktionalen Konnex zwischen Menschen und Maschinen vielleicht noch etwas lebensnäher entwickeln und beleuchten können.

Christian Kellermann ist ein thematisch wie philosophisch vielschichtiger, spannender und überaus lesenswerter Roman gelungen, der sowohl als reichhaltige „Hirnkost“ als auch als unterhaltsamer Thriller funktioniert. Wer „GRM“ von Sybille Berg und „Gefährliche Menschen“ von Frank Rieger und Christiane Hütter mochte, die oder der wird auch an „Adam und Ada“ seine Freude haben.

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