Mit Wiedererkennungseffekt: Dino Pešuts Generationenroman „Daddy Issues“
Europa Die junge kroatische Literatur wartet noch darauf, entdeckt zu werden. Dino Pešuts Roman „Daddy Issues“ erzählt zärtlich und wütend von einem Vater-Sohn-Konflikt
Protagonist Luka hat es in Berlin versucht, aber jetzt ist er wieder hier in der Stadt, in der ihn eine kleine öffentliche Zärtlichkeit das Schlüsselbein kosten kann
Foto: Ludwig Wallendorff/Rea/Laif
Der Sommer wird auch dieses Jahr wieder viele Touristen nach Kroatien ziehen, zumal das Land nunmehr zur Währungsunion gehört. Damit hat die vormalige Teilrepublik Jugoslawiens ihre EU-Integration formal abgeschlossen und andere osteuropäische Staaten überholt, die sich noch auf einem ähnlichen Weg befinden. Umgekehrt wartet die junge Landesliteratur allerdings noch darauf, entdeckt zu werden. Deren Vertreterinnen und Vertreter sind in Deutschland wenig bekannt, obwohl sich ihre Sujets keineswegs auf Lokales beschränken und ihre Prosa angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklungen der vergangenen drei Jahrzehnte besonders interessant ist.
Diejenigen, die als letzte Kinder Jugoslawiens oder bereits als kroatische Staatsbürger zur Welt kamen, waren zu
, waren zu jung, um den Bürgerkrieg und die nationalistische Stimmung jener Dekade zu begreifen. Als sich das Kosovo 2008 von Serbien abspaltete, waren sie Jugendliche. Heute sind sie Anfang 30 und zeichnen sich in der Regel durch ähnliche Werte, Vorlieben und Wünsche aus, wie sie Gleichaltrige in Deutschland, Großbritannien oder den USA hegen – mit dem Unterschied, dass ihre Chancen unter postsozialistischen Gegebenheiten noch immer nicht dieselben sind. Interessanterweise zeigen sie sich bisweilen jedoch genauso ermattet von den Möglichkeiten, die ihnen nun offenstehen.Ein Nebenstrang widmet sich der komplizierten Affäre des Sohnes mit einem fast doppelt so alten LiebhaberZu dieser Generation zählt auch der 1990 in Sisak geborene Dramaturg Dino Pešut, der diese Überforderung zum Thema seines zweiten Romans gemacht hat – glücklicherweise ohne daraus eine autobiografische Jammerkiste zu schustern. Im Original trägt das Buch den Titel Tatin sin, was „Sohnemann“ und „Papas Liebling“ in einem bedeutet, während für die nun auf Deutsch vorliegende Fassung Daddy Issues gewählt wurde. Das ist nicht verkehrt, denn um solche „Angelegenheiten“ geht es hier gleich zweifach. Primär umkreist die Handlung eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung, ein Nebenstrang widmet sich der komplizierten Affäre des Sohnes mit einem fast doppelt so alten Liebhaber, dessen Wohlstand und distinguiertes Kulturverständnis erotisiert werden.Luka ist der Name des Protagonisten, der zunächst den Traum hat, nach Berlin zu gehen und mit seiner Lyrik etwas zu werden, das größer ist als er selbst. Dort angekommen, muss der Dichter allerdings feststellen, dass sein Traum mit denen zahlloser anderer Individuen konkurriert. Die Selbstverwirklichung scheitert, Luka kehrt verbittert nach Kroatien zurück, wo ihn „ein kleiner Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit das Schlüsselbein kosten kann, die Schädeldecke oder das Leben“.Die ökonomische Lage zwingt ihn zunächst hinter die Rezeption eines Hotels, wo die „unambitionierte, erfolglose und zynische Schwuchtel“ über vertane Gelegenheiten und die eigene Mediokrität sinniert. Die Mitmenschen bekommen derweil einiges an Häme ab, Luka, der nach wie vor auf eine spektakuläre Poeten-Laufbahn hofft, steht sich auch selbst im Weg.Geteilte Erfahrungen: Über die „Kinder der Rezession“ heißt es, sie seien dazu verurteilt, erwachsen zu werden. „Deshalb beschäftigen wir uns so viel mit uns selbst, mit der Psychotherapie, mit unseren Horoskopen, unserer Ernährung, Workouts, Projekten, unserer Selbständigkeit, Umzügen, Instagram und unseren Ängsten.“Der wenig ältere Chef ist Mitglied der Zagreber Jugend, die Kokain mit grünes Smoothies runterspültKlassenscham durchzieht die Handlung, was dem Roman gekonnt Nuancen verleiht, weil sie die geschilderten Probleme sozial verkompliziert. So ist Luka mit seinem ebenfalls homosexuellen, indes bessergestellten Chef konfrontiert, der jünger als er selbst ist und zudem „power bottom, Mitglied der neuen Zagreber Jugend, die Kokain mit grünen Smoothies runterspült und die Kriegs- und Wirtschaftsverbrechen der Väter im Fitnessstudio verdrängt, oder bei häufigen Ausstellungsbesuchen im Ausland“. Luka hingegen muss bei einer Samenspende feststellen, dass sein Sperma „auf dem Markt einen besseren Preis“ erzielt als seine „intellektuelle Arbeit“.Besonders attraktiv an Daddy Issues ist die rasche Abfolge von Schnitten, die der Narration etwas Szenisches gibt – man merkt, dass Pešut aus seiner Bühnenarbeit schöpfen kann, denn der Roman besticht gerade durch die Verdichtung aufs Wesentliche, die jedem Kapitel eine bildhafte Intensität verleiht und die Interaktion der Figuren oder Lukas Introspektion zum Ereignis macht. Alida Bremer hat den Roman auf sehr angenehm zu lesende Weise ins Deutsche übertragen, das derbe kroatische Idiom allerdings den hiesigen Redegewohnheiten angepasst. Das ist schade, weil der Konflikt zwischen der kulturkonservativen Rhetorik des Vaters und der hippen Diktion seines Nachwuchses gerade sprachlich verbunden scheint: Was dem Älteren nur in Form wüster Tiraden möglich ist, ist dem Jüngeren der Zynismus. Beide zehren derweil von dem Irrtum, es jeweils besser zu wissen als der andere.Daddy Issues ist ein eindrucksstarkes Sittenbild des frühen 21. Jahrhunderts, dessen Personal mit Individualismus gesegnet, ökonomisch eingeschränkt und sexuell wie sozial überfordert ist. Die Geschichte dieses Vater-Sohn-Konflikts, die trotz allem von der Liebe zwischen einem Vater und dessen Sohn zeugt, liest sich damit umso wirkungsvoller. Anlass genug, Dino Pešuts Debüt Poderana koljena (2018) ebenfalls ins Deutsche zu übersetzen.Placeholder infobox-1