Der Kampf um die Erinnerung an Matiullah J. und die Aufklärung seines Todes geht weiter!

Tödlicher Polizeieinsatz Am 13.4.2018 starb der junge Matiullah J. durch Polizeischüsse in Fulda. Bis heute ist die Aufklärung unzureichend. Welche Rolle spielt institutioneller Rassismus bei der mangelnden Aufklärung und dem Verlauf des tödlichen Polizeieinsatzes?

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Am frühen Morgen des 13.04.2018 wurde der junge Matiullah J. von einem Polizisten in Fulda erschossen. Vier Jahre später sind immer noch viele Fragen offen: Warum war es 5 Polizist:innen nicht möglich, den jungen Mann ohne Schusswaffengebrauch zu überwältigen? Wieso wurde Matiullah hunderte Meter weiter weg vom ersten Begegnungsort mit den Polizist:innen erschossen? Und welche Rolle spielte Rassismus bei dem Verlauf des Polizeieinsatzes und bei der späteren Aufarbeitung?

Jedes Jahr gehen in Fulda mehrere Dutzend Menschen auf die Straße, um Matiullah zu gedenken und um Antworten sowie Gerechtigkeit zu fordern. Dabei kommen Menschen aus der afghanischen Community in Fulda zusammen, die Matiullah selbst kannten, Bürger:innen aus verschiedenen politischen Spektren und Aktivist:innen. Sie alle beklagen, dass die lokal Politik die längst nichts mehr von dem Tod des jungen Mannes hören will, einzig von einem Generalverdacht gegen die Polizei spricht oder sich in rassistischen Ressentiments jeder Auseinandersetzung über den Fall verwehrt.

So echauffierten sich lokale Politiker:innen und Journalist:innen nach dem Gedenken am 13.4.2019 in rassistischer Manier über den angeblichen Mob integrationsunwilliger „Ausländer“, die dort auf die Straße gegangen seien. Die heraufbeschworenen rassistischen Bilder zielen vor allem darauf die Beteiligten zu delegitimierten und ihnen ihr Recht auf öffentliche Zusammenkunft abzusprechen.

Beispielsweise wurden, statt über den Fall Matiullah, institutionellen Rassismus und die Nähe von AfD- und CDU-Positionen in Fulda zu diskutieren, nach einer Demonstration 6 Personen u.a. wegen Verleumdung und übler Nachrede von der Polizei angezeigt. Es kam zu einer Hausdurchsuchung in Redaktionsräumen aufgrund eines geteilten Artikels via Facebook und zu einer Reihe von Verfahren. Solche Verfahren sind nicht nur zermürbend für alle Beteiligten, die nur eine Aufklärung wollen, sondern verschieben auch den Diskurs um den Fall Matiullah.

Jede Kritik an dem Vorgehen der Polizist:innen, an den anschließenden Ermittlungen oder an den rassistischen Tönen der Diskussionen um den Fall in Fulda, soll ausbleiben. Stimmen aus Fulda berichten von einem einschüchternden Klima in der Stadt. Nach dem Tod von Matiullah wurde der Vorsitzende des Ausländerbeirats, Abdulkerim Demir von dem Oberbürgermeister Heiko Wingenfeld (CDU) und Bernd Woide (CDU) für seine öffentlichen Äußerungen zu dem Fall kritisiert. Unterstützung bekamen sie dabei aus dem Lager der rechtsextremen AfD und identitären Bewegung.

Mittlerweile sind die Ermittlungen gegen den Polizisten endgültig eingestellt. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt der Beschwerde der Familie von Matiullah gegen eine vorherige Einstellung der Ermittlungen im Frühjahr 2019 stattgegeben hatte, musste die Staatsanwaltschaft in Fulda noch einmal nachermitteln. Offensichtlich hatten die Ermittlungen bis dato nicht rechtstaatliche Erfordernisse entsprochen.

Offiziell sind die Ermittlungen in dem Fall beendet. Für uns ist die Aufarbeitung damit aber noch lange nicht abgeschlossen und Gerechtigkeit in keiner Weise verwirklicht. Die Aussagen der an dem Einsatz beteiligten Polizist:innen stimmten zum Teil nicht mit dem überein, was Augenzeug:innen mit der Handykamera gefilmt hatten. In dem Video ist zu sehen, dass Matiullah weitaus weniger aggressiv gewesen ist als von der Polizei später behauptet wurde. Auch weitere Widersprüche konnten nicht geklärt werden, beispielsweise dass der Einsatzwagen nach der Ankunft noch einmal bewegt worden sein musste, jedoch widerspricht das der Aussage der Beamt:innen das Auto nicht bewegt zu haben.

Besonders schwer wiegt, dass die Laufwege der Polizist:innen bis heute nicht widerspruchsfrei rekonstruiert wurden. Unklar bleibt, warum der Todesschütze den fliehenden Matiullah allein nachsetzte. Wieso hat er nicht auf Verstärkung gewartet und gemeinsam mit seinen Kolleg:innen Matiullah aus sicherer Entfernung verfolgt, anstatt ihn alleine zu stellen?

Die Ermittlungen in dem Fall wurden zudem schlampig durchgeführt. Der Tatort wurde nicht ausreichend gegen den damals einsetzenden Regen geschützt, Schmauchspurengutachten verschleppt und die beteiligten Polizist:innen nicht direkt nach dem Einsatz vernommen.

Vor dem Hintergrund des in Deutschland verbreitete institutionelle Rassismus bei der Polizei wiegen die offenen Fragen besonders schmerzhaft. Welche Rolle hat er bei dem Tod Matiullahs und der mangelnden Aufklärung gespielt? Wir können nicht in den Kopf des Todesschützen oder der am Einsatz betroffenen Polizist:innen schauen, aber rassistische Stereotype können auch Wirkung entfalten, wenn Personen nicht offen rassistsich oder gar rechtsextrem sind. Beschreibungen der Beamt:innen, dass Matiullah wie ein wildes Tier gewirkt habe, erscheinen jedenfalls stark durch rassistische Stereotype geprägt. In einem Text der ZEIT wurde zudem bekannt, dass der Todesschütze auf Facebook die AfD Fulda geliked hat. Das dies aus Versehen geschehen sei, wirkt wenig überzeugend.

Im Angesicht der offenen Fragen, der rassistischen Diskussionen in Fulda, dem institutionellen Rassismus in der Polizei und dem Netz an rechtsextremen Einzelfällen in der hessischen Polizei rufen wir erneut dazu auf für Gerechtigkeit und Aufklärung am 13.4.2022 um 18 Uhr in Fulda auf dem Universitätsplatz auf die Straße zu gehen. Unsere Solidarität gilt auch den Betroffenen der Repression nach den Demonstrationen der letzten Jahre.

Unsere Arbeit zur Aufklärung ist nicht abgeschlossen.

Initiative in Gedenken an Matiullah J.

Link zur Facebook-Veranstaltung der diesjährigen Gedenkveranstaltung in Fulda am 13.04.2022: https://www.facebook.com/events/532636638472343

Link zu Infos zu dem Fall und dem Kampf um erinnerung und Aufklärung: https://migrant-support.com/initiative-matiullah/

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