Böses Erwachen

Handel Die USA wollten China endlos als billige Werkbank nutzen. Jetzt hat China die Verhältnisse umgedreht
Ausgabe 22/2019
Trotz gemäßigtem Gesetz und Streikverbot wurde China zum streikfreudigsten Staat der Welt. Die Arbeitseinkommen stiegen um ein Mehrfaches, die Zahl der Sozialversicherten nimmt zu
Trotz gemäßigtem Gesetz und Streikverbot wurde China zum streikfreudigsten Staat der Welt. Die Arbeitseinkommen stiegen um ein Mehrfaches, die Zahl der Sozialversicherten nimmt zu

Foto: Kevin Frayer/Getty Images

Das Bild von US-Präsident Donald Trump als Totengräber der Globalisierung, als geopolitischer Rüpel und Erfinder des „America First“: Es könnte in Bezug auf China schiefer nicht sein, auch im Lichte seines jüngsten Erlasses zur Wahrung der „nationalen Sicherheit“ – den vollständigen Ausschluss chinesischer Technologie aus den USA und möglichst auch aus der EU, gerichter vor allem gegen den Technologiekonzern Huwaei.

Denn dass eine US-Regierung US-Konzernen den Verkauf von Technologie an China verbietet, ist keineswegs neu, es hat vielmehr eine lange Geschichte. Man findet sie gemeinhin unter „I“ wie „Imperialismus“. Schon 1949 verbot das von den USA geführte Coordinating Committee on Multilateral Export Controls (CoCom) mit Sitz in Paris die Lieferung Hunderter technologischer Güter an alle sozialistischen Staaten, auch an China, „um die nationale Sicherheit und die außenpolitischen Ziele der Vereinigten Staaten zu fördern“. Alle NATO-Staaten, Japan und Australien sowie sonstige Mitglieder unter US-Einfluss machten damals mit. Die schwarzen Listen wurden ständig erneuert, Export-Anträge aufwendig geprüft. Das CoCom hatte wie Trumps Anordnungen keinerlei völker- oder handelsrechtlichen Status, sondern war informelle Machtausübung einer selbsterklärten Supermacht. Trotzdem gab etwa die Adenauer-Regierung der CoCom-Liste im Außenhandelsgesetz gesetzliche Weihen.

Außerdem verweigerten die USA der Volksrepublik die diplomatische Anerkennung und verhinderten bis 1971 ihre Aufnahme in die UNO. Stattdessen finanzierten sie den nach Formosa/Taiwan geflüchteten Diktatoren-Clan des Mao-Gegners General Chiang Kai-shek.

Die CoCom-Praktiken funktionierten. Die sozialistischen Staaten wurden nicht nur militärisch bedroht und wirtschaftlich ausgegrenzt, sondern auch technologisch niedergehalten. Nach einigen Lockerungen unter Präsident Ronald Reagan wurde das CoCom in den 1980er Jahren wieder verschärft und erst 1994 beendet. Doch die Praxis wurde unter Barack Obama („Pivot to Asia“) gegen China wiederbelebt, Trump verschärft sie nun.

Jetzt aber stehen die „America First“-Instrumente gegen China unter veränderten Bedingungen. Das hat damit zu tun, dass die chinesische Führung Ende der 1970er erkannte, dass sie mit eigenen Mitteln nicht aus Unterentwicklung und Armut herauskommen würde. Zugleich nahmen die USA einen Strategiewechsel vor: Sie wollten sich die Feindschaft zwischen China und der Sowjetunion zunutze machen. 1979 erkannten die USA unter Jimmy Carter die Volksrepublik diplomatisch an. Hauptziel war die Schwächung des Hauptfeindes UdSSR. Dafür degradierten die USA sogar ihr geliebtes Taiwan zu einem halbstaatlichen Territorium, bis heute.

Standards schön tief, bitte

Die USA förderten die Ansiedlung von US-Konzernen in China. Von 1983 an kamen General Motors, Studebaker, dann auch VW aus Deutschland, es folgten Digitalkonzerne aus dem Silicon Valley und Tausende andere aus Westeuropa, dem verfeindeten Japan und Taiwan. Sie alle – auch Apple-Gründer Steve Jobs – nutzten die Niedrigstlöhne in China. Viele Millionen Wanderarbeiter aus bäuerlichen, feudal verarmten Gebieten fanden Arbeit und verbesserten ihre finanzielle Lage. Westliche Autos verpesteten die Umwelt, westliche Konzerne hielten in Sonderwirtschaftszonen menschenunwürdige Arbeitsverhältnisse aufrecht. Der größte Organisator kasernierter Niedriglöhnerei war Foxconn aus Taiwan.

2006 legte der Nationale Volkskongress den Entwurf eines neuen Arbeitsvertragsgesetzes vor. Er orientierte sich gemäßigt an Normen der International Labour Organization (ILO) der UNO. Dagegen liefen die US-amerikanische und die Europäische Handelskammer Sturm: Der Wettbewerbsvorteil Chinas gehe verloren, die westlichen Unternehmen würden das Land verlassen. Führende Protestierer waren Microsoft, Google, Dell, AT&T, Nike, Ford, General Electric und Intel. Auf europäischer Seite protestierten Siemens, Bayer, VW, BASF, Nokia und Veolia. Gleichzeitig setzten diese neoliberalen Vorkämpfer sich in Deutschland für die Hartz-Gesetze und gegen einen Mindestlohn ein.

Trotz gemäßigtem Gesetz und Streikverbot wurde China zum streikfreudigsten Staat der Welt. Die Arbeitseinkommen stiegen um ein Mehrfaches, die Zahl der Sozialversicherten nimmt zu. Chinesische Mindestlöhne übersteigen inzwischen die Mindestlöhne einiger EU-Staaten. Westliche Konzerne vergeben deshalb immer mehr Aufträge nicht mehr nach China, sondern in westlich orientierte, arme Entwicklungsstaaten wie Vietnam und Indien.

Eine ähnliche Umkehr der Logik gelang bei der Technologie: bei der Elektromobilität mit neuen Eisenbahnen und Elektrobussen (der Freitag 12/2019), bei der Plattform-Ökonomie mit Handelskonzernen wie Alibaba. Für die modernste digitale Netzwerktechnologie der vierten und fünften Generation (4G und 5G) steht vor allem Huawei: wohl nicht nur besser als die Konkurrenz von Nokia und Ericsson, sondern auch billiger. Aufgrund des riesigen Marktes mit 1,4 Milliarden Einwohnern, der wachsenden Kaufkraft aller sozialen Schichten und dem im Vergleich zum Westen ungleich höheren Einsatz von Mitteln für Forschung und Entwicklung konnte China eine Dynamik entwickeln, die der Westen es nicht schaffen kann. Seit 2012 ermitteln die USA gegen Huawei und den Netzwerkausrüster ZTE. Deshalb setzen chinesische Unternehmen verstärkt auf eigene Entwicklung für Betriebssysteme, für hochkomplexe Prozessoren und eigene Standards. Mit „Made in China 2025“ von 2015 hat die Staatsführung diese Entwicklung konzeptionell verstärkt.

Die in Gewinnen und Aktienwertsteigerungen schwimmenden US-Konzerne haben von den jahrzehntelangen Niedriglöhnen in China profitiert. Die Umkehr dieser Logik bekamen sie nicht mit. Huaweis 5G-Technologie und der Fortschritt der Neuen Seidenstraße haben die Oberen in Washington und Brüssel jetzt aus ihrem selbstgewissen Schlaf geholt. Wenn Trump nun chinesischer Technologie verbannen will, stößt sich dies an den Realitäten, die von den USA lange mit befördert wurden.

China ist nicht Iran

US-Konzerne verdienen an ausgelagerter Produktion und Verkäufen in China selbst – und durch den massenhaften Verkauf von Chips, Komponenten und Software an chinesische Firmen. Selbst das US-Militär kommt nicht ohne Komponenten aus der Volksrepublik aus. Der Vermögensverwalter Blackrock hat 2018 endlich eine Lizenz für die Volksrepublik bekommen. Auf der Gegenseite ist es ähnlich: Das Erfolgs-Smartphone Huaweis ist abhängig von Komponenten aus den USA und Südkorea, Japan, Taiwan oder auch Deutschland.

Für die modernsten Hightech-Komponenten in Smartphones, Computern, Autos und Rüstungsgütern sind Seltenerdmetalle nötig. Das sind 17 Elemente mit so schönen Namen wie Dysprosium, Promethium, Ytterbium und Yttrium, die derzeit zu 90 Prozent aus China kommen. So schnell können die USA die sonst auf der Welt lagernden seltenen Erden, etwa in den USA selbst, unter der Arktis und dem grönländischen Eis, gar nicht hervorholen. Eine Wertschöpfungskette neu aufzubauen dauert 15 Jahre, rechnete der US-Rechnungshof Government Accountability Office schon 2016 vor.

Trumps Strategie des Boykotts und der Zölle kommt die USA teuer: US-Konzernen wie Intel und Google drohen Verkaufseinbrüche. Die Verluste von Bauern müssen durch Staatssubventionen kompensiert werden. Verbraucher zahlen höhere Preise. Foxconn wandert wegen der steigenden Löhne aus China ab und hat Anfang 2019 in Wisconsin seine erste US-Niederlassung errichtet: Trump jubelte. Aber Foxconn konnte von seiner Regierung und vom Bundesstaat hohe Zuschüsse erpressen.

Das Widerspiel von wählerorientierter Trampelei und nachgereichtem Pragmatismus ist typisch für die erschütterte Weltmacht. Ganz ähnlich hatte Handelsminister Wilbur Ross Huawei erst auf die schwarze Liste gesetzt und dann gleich einen Aufschub um 90 Tage nachgereicht, bevor die Sperre greift. Doch die Reihen sind nicht mehr so dicht geschlossen. Klar: Die treuesten Vasallen Großbritannien, Kanada, Japan und Australien machen alles mit, auch gegen Huawei. Die EU ist bei der militärischen Aufrüstung dabei, bei der Wirtschaft zögert sie. Beim Ukraine- und Iranboykott hatte sie schließlich nachgezogen.Aber China ist ein anderes Kaliber. Huawei ist seit Jahren im Herzen des westlichen Kapitalismus präsent – in den ländlichen Regionen der USA, die von den großen US-Techkonzernen abgehängt werden, auch in Osteuropa. In Deutschland freuen sich Betriebsräte, wenn chinesische Investoren kommen, anstatt der US-Heuschrecken.

Werner Rügemer ist Publizist, Vorstandschef der aktion gegen arbeitsunrecht und gehört dem attac-Beirat an. 2018 veröffentlichte er das Buch Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure

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