Uber-Lobbyismus in Deutschland: FDPler, Ökonomen und ehemalige Verkehrsminister
Plattform-Ökonomie Die Uber-Files haben gezeigt, wie der Fahrtdienstleister seine Lobby-Kampagne orchestrierte. Auch in Deutschland ließen sich Politiker und Ökonomie-Professoren für Uber einspannen
Uber ging mit gehörigem Lobby-Einsatz gegen lokale Gesetze vor
Foto: John MacDougall/AFP via Getty Images
2009 in New York gegründet, stieg der digitale Anbieter von Fahrdiensten Uber zum weltgrößten Taxiunternehmen auf. Er warb mit dem fortschrittlichen Motto der share economy: Jeder Mensch, der irgendein Auto hat, soll Taxiunternehmer werden können. Gleichzeitig setzte Uber auf disruptive innovation: alle Regeln des bisherigen Taxigewerbes werden gebrochen, in jeder Stadt, in allen Staaten, weltweit. Transportregularien, Wettbewerbs- und Steuergesetze, Arbeits- und Sozialrechte – alles wird über den Haufen geworfen.
Das klappte erstmal, als Überraschungseffekt. Geldgierige Investoren finanzierten die Expansion, die noch keine Gewinne abwerfen musste – außer hohe Gehälter und Boni für die Manager. Nach New York und anderen Großst
k und anderen Großstädten errichtete Uber Filialen in Paris, London, Sydney, Singapur, Neu-Dehli, Peking, dann in Warschau, Kiew, dann Lagos/Nigeria. Dann noch Zürich, Wien, Berlin und München. Die Dachholding Uber Technologies hat ihren rechtlichen Steuersitz in der Finanzoase Delaware, die europäischen Filialen sind rechtlich vor allem in der Finanzoase Amsterdam angesiedelt. Jeder Autofahrer konnte als Solo-Selbständiger Aufträge kriegen, ohne jegliche Lizenz. Für das Auto und seine Reparaturen und Benzinkosten mussten die Autobesitzer selbst sorgen. Bei Uber war kein einziger Fahrer angestellt. Uber besaß kein einziges Taxi. Uber als Plattform-Firma kassierte hohe Vermittlungsgebühren, drückte die Preise und die Einkommen für die Schein-Selbständigen.Dann regte sich Widerstand. Regulierte Taxifahrer streikten. Stadtverwaltungen wollten eingreifen. Einzelne Uber-Fahrer klagten sich vor Gericht mit dem Status als abhängig Beschäftigte ein. Sie hätten also durch Uber angestellt, auch versichert werden müssen, Uber hätte für die Autos sorgen müssen.Lobbyisten aus Obama-Regierung und EU-KommissionGegen international zunehmende Proteste und drohende Regulierungen holte Uber ab etwa 2013 die große Lobby-Keule heraus. Das war gar nicht so schwierig. Denn zum Beispiel die US-Regierung von Barack Obama förderte die Plattform-Ökonomie von Amazon, Google, Uber & Co. und auch deren globale Expansion. Und auch die Europäische Kommission stand dem nicht nach.Uber-Chef Travis Kalanick hatte keine Mühe, Obamas Wahlkampfleiter David Plouffe direkt aus dem Weißen Haus abzuwerben. Plouffe leitete Ubers globale Strategiegruppe, wurde Ubers Chefberater und Mitglied im Vorstand. Obamas Verkehrsminister Raymond LaHood wurde ebenfalls Uber-Berater.Und Uber holte sich wichtige Leute, die weit mehr waren als nur „Lobbyisten“. So bekam LaHood genauso wie der Ex-Premier von Peru, Roberto Donino, Anteile an Uber, ebenso Prinzessin Reema bint Bandar Al Saud als Vertreterin des Saudi Public Investment Fund.Und auch die ehemalige EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes war offensichtlich nicht schwer zu überreden: Auch sie bekam Unternehmensanteile und sollte Regulierungen verhindern. Erst seit 2021 unternimmt die EU einen Versuch, eine Richtlinie gegen die Ausbeutung von Gig-Arbeiterinnen zu beschließen.Mit Oligarchen in Moskau: kein ErfolgRussland erschien dem Uber-Boss Kalanick als ein besonders aussichtsreiches Geschäftsfeld. 2013 fing Uber hier an. Mit David Plouffe wurde das Vorgehen vorbereitet. Die Duma sollte das passende Gesetz verabschieden, Uber sollte seine Plattform-Firma aufbauen. Ziel waren Fahrdienste in den 18 größten Städten des Landes.Plouffe arrangierte mit Ubers Kommunikationschefin Rachel Whetstone und Ubers Politikberater Mark MacGann (dem späteren Whistleblower für die Uber Files) im Moskauer Golfclub Treffen mit bekannten russischen Oligarchen. Man nahm an, dass diese Putins Regierung nahestehen, insbesondere Mikail Fridman und Petr Aven. Ihnen wurden Belohnungen von 50 Millionen Dollar angeboten, sie selbst erklärten sich bereit, in die russische Filiale 200 Millionen Dollar zu investieren. Für 650.000 Dollar wurde ein Lobbyist eingestellt. Auch der Chef der Sber-Bank wurde einbezogen.Aber es klappte nicht so wie geplant. Die Uber-Berater hatten den Einfluss der Oligarchen auf die Regierung Putin überschätzt. In der Duma regte sich Widerstand: Uber sollte nicht zugelassen werden. Das vorbereitete Gesetz kam 2014 nicht durch.Dann legten die Uber-Lobbyisten nochmal los. 2015 versuchten sie es mit dem Oligarchen Abramowitsch. Der hatte Bereitschaft erklärt zu investieren, zog dann aber zurück. 2016 versuchte es Uber-Chef Kalanick, kam eigens nach Moskau und dann zum Weltwirtschafts-Forum in Davos, wo er den Oligarchen Alexey Reznikovich traf. Es nutzte nichts. Zudem war Uber in diesem Jahr wegen unsozialer Praktiken aus der Volksrepublik China rausgeflogen. China zieht seitdem sein eigenes Modell auf – ebenso tut es Russland mit dem Taxidienst Yandex.FDP-Politiker Otto FrickeIn Deutschland stand zunächst vor allem Otto Fricke bereit. Der Anwalt war von 2002 bis 2013 FDP-Abgeordneter im Bundestag, schied aus und stieg als Miteigentümer bei der Münchener Lobbyagentur CNC Communications & Network Consulting ein. Er koordinierte mehrere PR-Agenturen und Lobbyisten, traf Staatssekretäre im Verkehrsministerium. Ziel: Das geltende Personenbeförderungs-Gesetz in Deutschland soll zugunsten von Uber geändert werden.Fricke musste seinen Auftrag geheim halten. Täglich und wöchentlich wurden Treffen, mediale Berichterstattung, nächste Schritte abgestimmt. Eine detaillierte Liste mit einschlägigen Politikern wurde erstellt, angefangen beim Verkehrsminister Dobrindt, seiner Staatssekretärin Dorothee Bär und Abgeordneten im Bundestag, in Landtagen und geneigte Bürgermeister und Landräte. So kam 2015 auch ein Besuch von Dobrindt und Bär bei der Uber-Zentrale im Silicon Valley zustande. Der ehemalige Verteidigungsminister Rupert Scholz wurde mit einem Gutachten beauftragt.Doch der massive Widerstand der bisherigen Taxi-Unternehmen war stärker. Uber gab auf und organisiert nun in Deutschland ein paar Taxi-Rufdienste. Fricke ist wieder im Bundestag und behauptet, er habe sein politisches und berufliches Leben immer klar getrennt, auch im Falle Uber.Und dann noch WissenschaftlerMit dem Wohlwollen der wichtigsten westlichen Regierungen, von US-Präsident Obama angefangen, auch der Ex-Banker Emmanuel Macron gehörte dazu, und mit der Untätigkeit der EU war es für Uber auch leicht, geneigte Wissenschaftler zu bekommen.Von renommierten US-Universitäten wie Princeton und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston gewann Uber bekannte Ökonomen wie Alan Krueger, der zudem ein paar Jahre lang gleichzeitig Obamas Chef-Ökonom war, Joshua Angrist und Robert Metcalfe. Die verfassten ganz geläufig mit Daten von Uber und mit Uber-Managern als Co-Autoren „wissenschaftliche“ Artikel in Fachzeitschriften. Die Ergebnisse waren ausnahmslos günstig für Uber. Hauptgrund: Die Arbeitsverhältnisse spielen für sie keine Rolle. Uber wie Amazon & Co setzen sowieso auf automatisiertes, roboterisiertes Fahren – lebendige Fahrer sind in dieser Perspektive eine verschwindende, schon jetzt unwichtige Größe.In Deutschland fanden Uber und der deutsche Wirtschaftsprofessor Justus Haucap geistesverwandt zueinander. 2014 nach einem Treffen in „angenehmer und produktiver Atmosphäre“ sandte der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf das Angebot für eine Auftragsstudie an Uber. Titel: „Vorteile für Verbraucher aus einer Liberalisierung des Taxi-Marktes in Deutschland“. Honorar: 44.000 Euro.Das Ergebnis fiel gut aus, gut für Uber: Unterschiedliche Verbraucherwünsche würden besser bedient als bisher, mehr Komfort, höhere Sicherheit... Zu Haucaps Angebot gehörte noch die Veröffentlichung eines Beitrags in einer renommierten Tageszeitung, für ein zusätzliches Honorar von 4.000 Euro. Als Zeitung wurde die Frankfurter Allgemeine Zeitung in Aussicht gestellt. Tatsächlich veröffentlichte die FAZ im Dezember 2014 Haucaps Artikel „Die Taxispreise freigeben“. Zeitgeistig versprach der Ökonom, dass die sharing economy zudem „die Umwelt schont“ und dass die bei Uber übliche Bewertung der Fahrer durch die Kunden „die Qualität des Services insgesamt verbessert.“Ob auch die FAZ den Artikel, wie es üblich ist, dem Autor honorierte, darüber wird geschwiegen. Aber der ohnehin gut bezahlte Auftragsschreiber stieg danach in das Kuratorium der FAZIT-Stiftung auf, die über die „redaktionelle Unabhängigkeit“ der FAZ wachen soll.Das doppelte Institut und der DoppelverdienerZur Wissenschaftlichkeit solchen Vorgehens ist noch folgendes aufschlussreich: Haucap ist Professor am Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE). Es ist Teil der Universität Düssdorf. Haucaps Ansehen kommt auch daher, dass er mehrere Jahre Vorsitzender der deutschen Monopol-Kommission war.Aber: Haucap machte sein Angebot an Uber nicht als Düsseldorfer Universitätsprofessor und DICE-Mitglied, sondern als Miteigentümer der DICE Consult GmbH. Dieses gleichzeitig bestehende, private Institut unterliegt nicht den Regularien der staatlichen Universität, aber Haucap kann übergangslos von der einen in die andere Rolle schlüpfen. Die Namensgleichheit mit dem staatlichen Institut zehrt vom Image der „unabhängigen“ staatlichen Universität, und gleichzeitig kann Haucap nebenbei als Privatmann neben dem staatlichen Beamteneinkommen noch ein weiteres Einkommen beziehen, für Konzerne wie Uber seine Dienste verkaufen und in der privaten FAZ noch was dazuverdienen und auch dort noch für seine privaten Auftraggeber werben.Das ist die ganze Misere: Die modernisierte Korruption der vorherrschenden ökonomischen Wissenschaft zeigt hier eine exemplarische, perverse Blüte. Sie stand und steht nicht nur für Uber bereit. Investigative Journalisten hätten eigentlich noch einiges zu tun – also?