Kann aus der tiefsten Not, aus Tod, Zerstörung und Weltuntergang das Rettende wachsen? Und wie sollte das möglich sein? Eine Antwort gibt nicht nur das zugespitzte christliche Gerade-eben-und-nur-Daraus, auch das weltlich-aufklärerische Von-der-Nacht-zum-Licht steht im Zusammenhang dieser Frage, und die Insassen aller Katakomben und KZs der Weltgeschichte haben sich ihr gestellt. Und wenn die Apokalypse des Johannes die Weisung enthält, die Erde nicht zu beschädigen, so fallen uns die immer wieder geleugneten und immer wieder bestätigten Geschichten der ökologischen Katastrophe ein.
Max Beckmann verließ Deutschland einen Tag nach der Eröffnung der Ausstellung Entartete Kunst im Juli 1937, in der etliche seiner Werke angeprangert wurden. Er blieb mit seiner Frau in Amsterdam hängen, die auf dem berühmten Selbstbildnis Der Befreite (1937) angekündigte Flucht nach Amerika gelang zunächst nicht. In einer Zeit stark eingeschränkter Arbeitsmöglichkeiten und – seit der deutschen Besatzung der Niederlande im Jahr 1940 – anhaltender Bedrohung sowie wachsender gesundheitlicher Probleme erhielt Beckmann von dem Frankfurter Unternehmer Hartmann den Auftrag, eine illustrierte Ausgabe der Apokalypse des Johannes zu gestalten, die in einer geringen Auflage einem engen Freundeskreis Trost und Anregung in schwerer Zeit spenden sollte.
Beckmann erledigte den Auftrag innerhalb eines halben Jahres und dies überschäumend: Statt der verabredeten 6 Blätter lieferte er 27 Lithografien, die er teils eigenhändig kolorierte. Der Auftraggeber überließ Beckmann, dem Spezialisten des deutschen Expressionismus für Mythologie, die Auswahl der Texte und Themen, die überaus eigen und charakteristisch geriet. Eine extra geschaffene Schrift und die Illustrationen Beckmanns ließen in der Schriftgießerei Hartmanns eine kongeniale Ausdeutung der Apokalypse in der Zeit von Faschismus und Krieg entstehen.
Vergleich mit Dürer und Cranach
Diese Bildfolge ist nun im Schlossmuseum Murnau zu sehen, ein Ausstellungsort, der für Überraschungen immer gut ist. Die Direktorin Brigitte Salmen und Ko-Kurator Gosbert Schüßler stellen sie in den Kontext christlicher und weltlicher Bearbeitungen des Themas – von den Darstellungen der Apokalypse aus der Bibel Ludwig des Heiligen (Paris, um 1230) über Dürer und Cranach bis zu Corinth, Kokoschka, de Chirico und Karl Rössings grafischer Abrechnung mit dem „Tausendjährigen Reich“. Die Ausstellung erlaubt eine Fülle von Eindrücken und Assoziationen auf engstem Raum. Die frühneuzeitlichen Bibel-Illustrationen im Anschluss an den Beckmann-Raum machen sinnfällig, wie deutlich der Künstler an die Tradition der Buchmalerei anknüpft. Aber auch, wie sehr er in der Farbgebung mit ihr bricht.
Ein Vergleich mit Dürers oder Cranachs Holzschnitten zeigt die Besonderheit der Auswahl, die Beckmann traf. Da gibt es keine Engel, welche die Winde aufhalten, keinen Johannes, das Buch verzehrend. Dafür gibt der Künstler der Prophezeihung, „dass hinfort keine Zeit mehr sein soll“, ein beklemmendes Bild zweier wolkenumhüllter Himmelsgestalten, die den Uhrzeiger bei zwölf anhalten. Kaum ein anderer hat dem überwältigenden Angebot, Gott werde, wenn er die Tränen des Jahrhunderts schon nicht verhindere, sie doch allen abwischen, bildnerische Gestalt gegeben. Bei Beckmann taucht diese Vision, unter ausdrücklichem Bezug auf seine Person, gleich zweimal auf. „Und das Obst ... ist von Dir gewichen“ – wer hätte dem Satz eine Vignette gewidmet? Beckmann setzt Brot und Erdenfrüchte, unerreichbar für den Gefangenen, hinter Gitter. Es gelingt ihm, die vier apokalyptischen Reiter, die so im Gedächtnis sind von Dürer als eine die normal Sterblichen überrollende Reiterschar, in Distanz zu sich zu bringen: Sie reiten hinterm schützenden Fenster vorbei, vor dem ein rundes Tischlein steht mit der Beckmann‘schen brennenden Kerze darauf und einem Büchlein – auf dessen Deckel ein Hexagramm oder eben Davidstern.
Bei allen Rätseln, welche der verwirrende und hochkomplexe Text der Johannes-Apokalypse bis heute aufgibt, drängt sich eine Frage auf: Könnte ein, wenn auch schwacher Trost schon darin liegen, dass das Unheil nicht von einem einzigen und übermächtigen Ungeheuer droht, sondern von deren vielerlei Gestalten, die jede für sich eine Bearbeitung, und sei es die symbolisch-bildnerische, erfordern? So wäre der Untergang lesbar wie ein aufgeschlagenes Buch mit vielen Bildern und Seiten. Und das berührt ein anderen Aspekt: Das Unheil ist zuallererst ein Erkenntnisproblem. Nicht nur die Verheißung einer neuen Welt, auch die Offenbarung des Schlimmsten ist ein Buch mit sieben Siegeln und bedarf des Sehers. Denn zum Zeitpunkt der Katastrophe will sie niemand wahrhaben. Der sie aufzeichnet, macht sich einsam.
Seltene Zusammenschau
Beckmann hat einen Text illustriert. Das wirft für Ausstellungsmacher das Problem der Lektüremasse auf. Die Besucherinnen müssen sich zu den biblischen Texten neigen, die unter den dicht gehängten, großformatigen Arbeiten Beckmanns angebracht sind. Hier könnte ein zusätzlich zum Katalog, der weit über die Ausstellung hinaus Einblicke ins Themenfeld gibt, gereichtes Blättchen mit den Texten helfen. In Murnau wird die Offenbarungs- und Verheißungsseite der Apokalypse hervorgehoben, die Beckmanns Version zweifellos stützt. Am Ende der Ausstellung noch einmal mit einem Beweis aufzuwarten, dass es nach 1945 weiterging, noch dazu mit recht unverbundenen Beispielen für die geplante städtebauliche Tilgung der Spuren der Nazi-Herrschaft in München, wirkt etwas gewollt. Das tut dem Verdienst, wieder einmal zusammengeholt zu haben, was sonst zusammen nicht zu sehen ist, keinen Abbruch. Manche der Exponate sind so besonders und schützenswert, dass sie nur portionsweise gezeigt werden können: von der außerordentlich farbkräftigen Blockbuch-Apokalypse (Niederlande, 15. Jh.) werden die Besucher ab dem 20. September die Blätter 7 bis 12 statt der bis dahin gezeigten Blätter 1 bis 6 betrachten können.
Max BeckmannApokalypse. Visionen der Endzeit in Überlieferung und Moderne. Schlossmuseum Murnau, bis 7. 11. Katalog: 20
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