Palast mit Kraft

Repräsentation Ob Wladimir Putin das Anwesen am Schwarzen Meer gehört, mag strittig sein – viel interessanter ist die Frage, welche Vorstellung von Macht seine Architektur symbolisiert
Ausgabe 04/2021
Ausschnitt aus dem Nawalny-Video: Was sagt uns ein Schloss mit Wasserdisco, Casino und Stripclub?
Ausschnitt aus dem Nawalny-Video: Was sagt uns ein Schloss mit Wasserdisco, Casino und Stripclub?

Screenshot: Alexei Nawalny/YouTube

Seit vergangener Woche ist bekannt, wie die – angebliche – neue Sommer-Residenz des Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin aussieht. An der Küste des Schwarzen Meeres, südlich von Gelendschik, steht ein 17.700 Quadratmeter großer Palast. Orangerien, Gewächshäuser, Siegesalleen mit Statuen und verschiedene Pavillons sowie ein Weingut, eine Kapelle, ein Amphitheater, eine 80 Meter lange Brücke und nicht zuletzt ein unterirdischer Eispalast umgeben den „Putin-Palast“ auf dem 68 Hektar großen Anwesen. Dass eine solche Anlage von Wohnhäusern für Bedienstete, einer Tankstelle, Hubschrauberlandeplätzen, Grotten und unterirdischen Gängen, die bis zum Strand führen, ergänzt wird, versteht sich von selbst.

Keiner hat wohl damit gerechnet, dass sich die Projektbeteiligten sofort demaskieren, wenn die Geheimhaltung des Anwesens auffliegt. Doch auch wenn der Kreml die Beteiligung an diesem ominösen Bauprojekt bisher abstreitet, scheinen die im Film zusammengestellten und von Alexej Nawalny vorgestellten Dokumente ziemlich eindeutig. Letztlich ist die Frage der Zugehörigkeit zweitrangig. Viel interessanter ist die Frage nach der architekturpolitischen Repräsentanz des Palastes und seiner symbolischen Wirkungskraft.

Dass Machtinhaber ihre Repräsentation an architektonische Bauwerke binden, ist nichts Neues. Im Blick auf Russland verbindet man etwa mit Peter dem Großen die Gründung von St. Petersburg samt der das Stadtbild prägenden Peter-und-Paul-Festung, und mit Ekaterina der Großen die Eremitage, ohne die die Stadt an der Newa nicht vorstellbar ist. In Moskau ist es neben dem Kreml-Areal wohl die berüchtigte Christ-Erlöser-Kathedrale, die schon Alexander I. nach dem Sieg über Napoleon errichten wollte, die jedoch nach langer Bauphase erst von Alexander III. eingeweiht wurde. Die im Sozialistischen Klassizismus erbauten sieben Hochhäuser in Moskau gehen auf Stalin zurück. Nach seiner Vorstellung sollten die „Sieben Schwestern“ von einem 300 Meter hohen Bruder mit einer 100 Meter hohen Lenin-Statue auf dem Dach, dem „Palast der Sowjets“, in Spannung gehalten werden, wofür die Christ-Erlöser-Kathedrale gesprengt wurde. Das ikonografische Einbrennen dieses Palastes in das Bewusstsein der Sowjets kann wohl als größte architekturpolitische Repräsentanz gedeutet werden, wurde der Bau doch nie fertiggestellt und aus der riesigen Baugrube ein Freibad gemacht.

So unterschiedlich diese Bauwerke und ihre politischen Initiatoren auch sein mögen, es verbindet sie eine nicht zu unterschätzende Wirkungskraft. Alle Bauten wurden ohne Geheimhaltung realisiert. Ganz im Gegenteil: Sie sollten für das Volk entstehen: die Kunstkammer und die Eremitage, um aufzuklären; die Christ-Erlöser-Kathedrale, um den Glauben zurückzugeben; der Palast der Sowjets, um zu vereinen. Welche Kraft von einem Palast ausgehen soll, in dem eine Wasserdisco, ein Casino, ein Stripclub und eine Kammer für Dreck vorgesehen sind, muss der Initiator des Bauvorhabens noch verdeutlichen.

Peppersteins Plan

Bereits im Jahr 2007 hat der zeitgenössische russische Künstler und Schriftsteller Pavel Pepperstein einen offenen Brief an die damalige Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina Matwijenko, den Oberbürgermeister von Moskau, Juri Luschkow, und nicht zuletzt den damaligen und nun wieder amtierenden Präsidenten Wladimir Putin gerichtet. Darin schlug er den Bau einer neuen Hauptstadt vor. Als Anlage fügte Pepperstein Zeichnungen von verschiedenen Bauten sowie urbanen Landschaften bei, deren ästhetische Formung die Machthaber inspirieren sollte: Gigantische Bauwerke wie einen Malewitsch-Turm und einen Kandinsky-Wolkenkratzer wollte Pepperstein unter den Rock einer noch viel kolossaleren, tanzenden russischen Matrone bringen, deren überdimensionierter Körper, ähnlich einem Palast der Sowjets, zum Symbol der neuen Hauptstadt Russlands werden sollte.

Pepperstein knüpfte damit unmittelbar an die zentralen Forderungen der Avantgarde an, deren Poesie der reinen Formen bereits das postrevolutionäre Russland dazu bringen sollte, das Leben neu zu erlernen und die Menschheit voranzubringen. Zwei Ikonen der Moderne bilden die symbolische Kraft dieser Bewegung: Kasimir Malewitschs Schwarzes Quadrat und Wladimir Tatlins fünf Meter großes Modell eines in sich verdrehten, konstruktivistischen Maschinen-Turms. Diese der Avantgarde anhaftende Tradition von ästhetischen Symbiosen, die in den 1930er Jahren vom durch Stalin geprägten und zum Teil bis heute wirkenden Sozialistischen Realismus abgelöst wurde, versuchte Pepperstein mit seinen architekturpolitischen Entwürfen wiederzubeleben. An Ideen zum Bau einer repräsentativen Anlage hat es also nicht gemangelt.

Wenn die Kamerafahrt im Video Ein Palast für Putin das schmiedeeiserne Tor, auf dem ein Doppeladler wacht, öffnet und ins Innere vordringt, werden beim Betrachter sofort Assoziationen mit St. Petersburg wach. Nicht nur bei denen, die schon mal vor der Eremitage standen, sondern auch bei denen, die sich an den kanonischen Film Oktober von Sergej Eisenstein erinnern, in dem man sieht, wie das symbolträchtige Tor mit dem Doppeladler beim „Sturm auf den Winterpalast“ überwunden wird und im Schatten verschwindet.

Auch die pompöse Einrichtung des Palastes, ja, die gesamte Anlage erinnert an die Geburtsstadt Putins. Und dies ist wohl keinem Geringeren als Gottfried Wilhelm Leibniz zuzuschreiben. Noch vor der Gründung von St. Petersburg nutzte der Allgemeingelehrte die Westeuropareise des Zaren, um ihm eine Denkschrift über die Verbesserung der Künste und Wissenschaften im Russischen Reich für Zar Peter I. zu übermitteln. Darin heißt es: „Das Theatrum Naturae et Artis begreift in sich etwas grösseres ...“ Neben Grotten, Gärten und Tiergärten, in denen Exempel und Arten ausgestellt werden, sind auch Attraktionen, Alleen mit Statuen, Kaskaden, Fontänen und andere Wasserspiele in Leibniz’ Denkschrift enthalten. Denn es geht Leibniz darum, die Kreativität des Volkes zu beflügeln; er will „ihnen die Augen öffnen, sie zu Erfindungen anregen, schöne Ansichten bieten und die Leute mit unendlich vielen sowohl nützlichen wie geistreichen Neuheiten bekannt machen“. Überzeugt von dem Anliegen, realisierte Peter der Große am Newa-Delta Leibniz’ Ideen. Während des kalten Petersburger Winters 1740 stand auch schon mal ein Eispalast in der Stadt, wenn auch nach dem Tod Peters des Großen. Mit dem Sommergarten, der Kunstkammer und den Wasserspielen in Petershof sind heute noch Anlagen zu besichtigen, mit denen das Volk aufgeklärt und inspiriert werden sollte. Deren Nachbildungen sind jetzt auf der Anlage am Schwarzen Meer zu finden. Dort dienen sie aber dem Vergnügen eines Einzigen und von dessen Gästen. Jedenfalls so lange, bis das Tor mit dem Doppeladler im Schatten verschwindet.

Wladimir Velminski ist Kunsthistoriker und Medienwissenschaftler mit Fokus auf Osteuropa sowie Leiter des Berliner Verlags ciconia ciconia

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