Einsegnung für den Ausstieg

ATOMGESPRÄCHE Rot-Grün hat im Konsens-Rausch jedes Dissens-Ziel aus den Augen verloren

Der Atomausstieg beginnt sofort. Als erstes wird ein Reaktor stillgelegt, der bereits stillgelegt ist: das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich. Das ist das bahnbrechende Ergebnis, das in monatelangen Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Energiewirtschaft erzielt wurde. Wieder einmal versäumt Umweltminister Trittin, für den der Atomausstieg ein Essential grüner Politik war, diesen Erfolg gebührend herauszuheben. Der Atomausstieg findet statt, nur keiner merkt es.

Die Grundzüge der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der Stromwirtschaft waren schon vorher im Internet abrufbar, alle Veränderungen müssen marginal bleiben: Laufzeiten werden flexibel gestaltet mit großzügigen Zugeständnissen an zu produzierende Stromkontingente. Das macht möglich, dass Kraftwerke, deren sicherheitstechnische Nachrüstungen sehr teuer würden wie im Falle Biblis A, bald vom Netz gehen. Ein Vierteljahrhundert noch dürfte das Atomzeitalter andauern, und das mit dem Segen der Grünen. Der Satz im Konsenspapier, der einer Unterwerfung unter die Interessen der Kraftwerksbetreiber gleichkommt, lautet, "unter Beibehaltung eines hohen Sicherheitsniveaus" werde die Exekutive dafür sorgen, dass "für die verbleibende Nutzungsdauer der ungestörte Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung gewährleistet werden".

Der sarkastische Hinweis auf Mülheim-Kärlich, diesen Reaktor, der nur wenige Monate am Netz war, weil er auf einer Erdbebenspalte steht, ist durchaus so gemeint. RWE-Chef Dietmar Kuhnt traf sich Pfingsten persönlich mit dem Bundeskanzler, um noch einmal Stromkontingente für Mülheim-Kärlich zu reklamieren Kuhnt drohte, eine erneute Genehmigung für den Reaktorbetrieb zu stellen, und bekam die Kontingente.

Bleibt Biblis A. Kurz vor Ende der Legislaturperiode 2002 stünde dessen Stillegung an, aber selbst das ist eher unwahrscheinlich. Für die anderen Uraltmeiler Obrigheim und Stade wurde bereits vereinbart, dass - Laufzeit hin, Stromkontingente her - die Stilllegung erst nach den Neuwahlen erfolgt.

Warum soll ich mehr als 30 Jahre Laufzeit in den Verhandlungen akzeptieren, wenn ich die 30 Jahre auch im Dissens entschädigungsfrei hinkriege. - So lautete bislang das Kernargument Trittins, wenn er auf die Frage der Laufzeiten angesprochen wurde. Man darf gespannt sein, wie ab sofort argumentiert wird. Verfassungsrechtlich unbedenklich sei die Befristung des Reaktorbetriebs auf 25 Jahre, ließen sich die Grünen vor den Bundestagswahlen bescheinigen. Über zwei Legislaturperioden sei die Atomkraft abwickelbar. Was versäumt, vielleicht gar nicht verhandelt wurde: Das Risikopotenzial Atomkraft wurde nicht in ökonomische Kategorien überführt. Jetzt soll der grüne Juniorpartner die Anti-Atom-Bewegung befrieden, indem er Unverantwortbares verantwortet.

Ob und wieweit sich die Grünen der Übereinkunft von Schröder und Energiewirtschaft unterwerfen, den Vertrag zur ihrer Sache machen oder nicht, ist mit Blick auf Wahlen von Interesse. Das Interesse der Bürgerinitiativen und Umweltverbände ist eher darauf gerichtet, die Verwirrung aufzulösen, die entsteht, wenn der Atomausstieg angekündigt, aber das Gegenteil festgezurrt wird.

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