Müllers Meiler-Deal

ENDE DES AUSSTIEGS Die anvisierte Laufzeit von 35 Jahren regelt nichts anderes als die Bestandsgarantie für die AKW-Betreiber unter falschem Etikett

Steht Trittins Entlassung an? Wird er zurücktreten? Ganz offen werden diese Fragen gestellt, denn wieder einmal hat Gerhard Schröder seinen Bundes umweltminister öffentlich brüskiert. In der ZDF-Sendung »Berlin Direkt« meinte der Bundeskanzler zu Spannungen in der Regierungskoalition, er könne das Verhalten mancher Kollegen nicht weiter so laufen lassen. Gleich darauf lanciert das Nachrichtenmagazin Spiegel die Konturen eines Vertrages, mit dem der parteilose Bundeswirtschaftsminister und Ex-Atommanager Werner Müller meint, einen Konsens mit der Stromwirtschaft im Atomstreit finden zu können.

Die danach anberaumten Gespräche mit der Atomstromwirtschaft, die unter Beteiligung von Umweltminister Jürgen Trittin Anfang der Woche geführt wurden, haben so gut wie nichts gebracht. Der von Wirtschaftsminister Müller Düpierte durfte wieder ein bißchen mitspielen, ob man ihm zugehört hat oder die atomaren »Geschäfte« ohne auf ihn zu warten in die Reihe brachte, und ihn so noch ein Stückchen weiter demontierte, sparten die Nachrichten aus. Zwar brachte das Veto der Grünen noch einmal einen Aufschub, aber Rot-Grün steuert in einer gesellschaftlichen Kernfrage auf einen fragwürdigen »Kompromiß« zu.

Wichtigste Größe in diesem Zusammenhang ist die Regellaufzeit von 35 Reaktorjahren, so daß der erste Atomreaktor, das AKW Obrigheim, erst im Jahr 2003 stillgelegt würde. Die Reaktoren Stade und Biblis A, deren Stillegung ebenfalls für die laufende Legislaturperiode erwartet wurde, würden demnach erst 2007 beziehungsweise 2009 abgeschaltet, und Neckarwestheim 2 würde gar bis zum Jahr 2024 Strom produzieren. Kein Wunder, daß der Vertragsentwurf, der zwischen Bundeswirtschaftsministerium und den vier größten Stromkonzernen ausgehandelt wurde, bei den Anti-AKW-Initiativen auf geschlossene Ablehnung stößt.

Die spannende Frage ist, wieweit sich die Grünen verbiegen werden. Denn das von Rot-Grün selbst formulierte Ziel, den Atomausstieg im Laufe dieser Legislaturperiode »unumkehrbar« und »umfassend« gesetzlich zu regeln, wird so in jeder Hinsicht verfehlt. Die anvisierte Laufzeit von 35 Jahren regelt nichts anderes als die Bestandsgarantie für die AKW-Betreiber unter falschem Etikett. Der Reaktorpark wird in dieser Legislaturperiode nicht reduziert, der Atomausstieg aufgeschoben. Bleibt nur der Verzicht auf einen Neubau von Atomkraftwerken. Daran aber hatte schon aus ökonomischem Kalkül kein Konzern mehr Interesse. Auf einen gesetzlichen Rahmen, der den Ausstieg verbindlich festschreibt, verzichtet hingegen die Bundesregierung.

Das Reaktorrisiko spielt im Wirtschaftsministerium offensichtlich keine Rolle. Für die Bürgerinitiative in Lüchow-Dannenberg ist die Zustimmung Bonns zur Inbetriebnahme der Pilot-Konditionierungsanlage (PKA) Gorleben besonders gravierend. Der Gorleben-Widerstand sieht sich in Sachen PKA verschaukelt. Dort sollten ursprünglich hochradioaktive Abfälle endlagerfertig verpackt werden, mangels Bedarf soll nun die PKA anderen Zwecken dienen, zum Beispiel als Reparaturbetrieb für defekte Castorbehälter. Statt Stillegung von Atomanlagen nimmt eine weitere den Betrieb auf.

Auch das Atommüllproblem wird nur weiter auf die lange Bank geschoben und nicht umfassend geregelt. Ein »Einmotten« der Endlagervorhaben in Salzgitter oder Gorleben ist eben nicht gleichbedeutend mit deren Ende. Auch Jürgen Trittins ehrgeiziges Projekt, zumindest ein Verbot der Wiederaufarbeitung gesetzlich festzuschreiben, wird verfehlt, wenn für weitere fünf Jahre abgebrannte Brennelemente nach La Hague oder Sellafield rollen dürften. Zu befüchten ist, daß nun die Atomtransporte trotz aller Sicherheitsbedenken wieder aufgenommen werden, um den Entsorgungskollaps und damit längere Stillstände der AKWs zu vermeiden. Die Anti-AKW-Initiativen werden alles daran setzen, diesen Vertragsdeal durch Proteste und Blockaden bei Wiederaufnahme von Castortransporten zu durchkreuzen. Wer weiß, vielleicht wird Jürgen Trittin sich dem Protest auf der Straße doch wieder anschließen müssen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden