Kitsch

Linksbündig Themenpark "Berliner Mauer"

Weil die Geschichte der deutschen Teilung nicht nur zwei Seiten (der Mauer), sondern zwei ursächlich gegeneinander gerichtete Perspektiven hat, ist sie als verbindende, gar verbindliche Erinnerung so schwer zu erzählen. Es liegt deshalb weniger an den Beteiligten als an der Sache selbst, dass Berlin sich mit Konzepten zum Mauergedenken schwer tut. Kurz vor Weihnachten hat der Senat es dennoch wieder versucht und einen Wettbewerb zur "Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße" entschieden. 28 Millionen Euro stehen für das Vorhaben bereit, knapp die Hälfte davon wird für den Rückkauf bereits restituierter Grundstücke gebraucht. Zum 40. Jahrestag des Mauerbaus 2011 soll alles fertig sein.

Es liegt nahe, die Bernauer Straße zum zentralen Ort des Mauer-Gedenkens zu wählen: Weil es hier zu besonders spektakulären Fluchtversuchen und nachfolgend zu flächenhaften Häuserabrissen kam, hat die Grenze deutlicher als anderswo ihre Spuren im einst dichten Stadtgewebe des Berliner Nordens hinterlassen. Bis heute lässt sich über einen Kilometer lang die Dimension der Sperranlagen eindrucksvoll ermessen. Die Gunst des Ortes hat schon zu verschiedensten Gedenkinitiativen verlockt, von der hartnäckigen Verteidigung des längsten noch erhaltenen Stücks Originalmauer bis zum Roggenfeld als Symbol für die "unbezwingbare Kraft der Natur". Ein Kirchgemeindehaus wurde zum Dokumentationszentrum mit Vortragsraum, Bücherstand und Aussichtsturm. Am Ort einer noch 1985 gesprengten Kirche steht heute eine "Versöhnungskapelle" aus Lehm und Holz. Zwischen wuchtigen Stahlwänden wurden 60 Meter Grenzstreifen detailgetreu als Sachzeugnis konserviert - dieses offizielle Mahnmal der Bundesrepublik stört aber eher als befremdliche Inszenierung, da der originale Geschichtsraum alle Faszination doch gerade aus seiner sturen Endlosigkeit zieht.

Unklar bleibt, ob jenem disparaten Gedenk-Ensemble mit dem jetzigen Wettbewerb ein bündiger Rahmen verpasst oder ob dessen Wirkung insgesamt korrigiert werden sollte. Auf alle Fälle offenbart das Ergebnis einen geschichtspolitischen Wandel: Die Ära, da Zeitzeugen individuelle Erinnerung an vorgefundene Orte und Objekte knüpfen konnten, ist offenbar passé. Eine neue Generation vermag sich dem bislang vor allem emotional besetzten Gelände nur noch als "Lernort" zu nähern. Der jetzt prämierte Entwurf will die gerade in ihrer Wuseligkeit authentische Grenzbrache zum abstrakten "Planum" bereinigen, auf welchem verschiedenste "Spuren" vermerkt und kommentiert werden. Wo immer Relikte fehlen, wird mit rostigem Stahl nachgeholfen, seien es Stangenreihen für fehlende Mauerelemente oder beschriftete Scheiben zur Bodenmarkierung. Schließlich stellen sich die Projektautoren vorab instruierte Touristen vor, die einzeln oder in Gruppen, mit "Feldbüchern" ausgestattet, durchs Gelände streifen und sich von archaischen Stahlstelen mit optischen Blickführungen und video-akustischen Auskünften durch einen Themenpark "Berliner Mauer" leiten lassen.

Geschichte nicht mehr als Teil einer Vita, sondern als gedanklicher Stoff: Das erinnert an Projektwochen im Schulunterricht. Und verführt beinahe zwangsläufig zum Historienkitsch. Müssen denn Touristen, diese allseits als bildungsschwach und oberflächlich gescholtene Zielgruppe, wirklich mit vorgefertigten Deutungen zugeschüttet werden? Oder soll der ganze Designaufwand nur davon ablenken, dass es wieder einmal nicht gelungen ist, wenigstens den ehemaligen Todesstreifen von neuer Bebauung gänzlich frei zu halten?

Berliner suchen ihr "Mauer-Erlebnis" übrigens woanders - im Mauerpark. Dort, hinterm Cantianstadion, ist die Grenzöffnung als einmaliges Raumgeschenk erfahrbar geworden. Grandiose Himmel wecken jeden Tag spontan Freiheitsgefühle und eine Ahnung davon, wie sehr im Ende der Teilung für die Stadt auch ein neuer Anfang steckte.

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