Atomkraftwerke sind wunderbar. Durch sie werden weniger fossile Brennstoffe benötigt, was die CO₂-Emissionen deutlich reduziert, sie produzieren im Gegensatz zu vom Wetter abhängigen Windkraftwerken zuverlässig und konstant Strom, zudem bedeuten Atomkraftwerke im eigenen Land mehr Autonomie, was in Zeiten von Handelskriegen nicht unwichtig ist. Auch könnte die Kernenergie dafür sorgen, dass die E-Mobilität bald flächendeckend Realität wird.
Interessanterweise plädiert aber keine Partei, nicht einmal mehr FDP oder CSU, für den Neubau von Atomkraftwerken. Spätestens seit dem Super-GAU in Fukushima am 11. März 2011 haben alle ihre Lektion gelernt. Denn die Vorteile sind nichts gegen den einen Nachteil: eine mögliche Nuklearkatastrophe. Zuvor mussten sich Ökoaktivisten jahrzehntelang als naive Fortschrittsfeinde beschimpfen lassen.
Warum aber ist diese Rhetorik in den Digitalisierungsdebatten zurückgekehrt? Wer auch nur, wie der Grünen-Politiker Robert Habeck, sein Twitter-Profil löscht, der wird als Ewiggestriger verunglimpft. Wer gar die Fortschrittsideologie, derzufolge alles immer besser wird, als solche in Frage stellt, gilt als Reaktionär oder Schlimmeres.
Es war die Erfahrung des Atombombenabwurfs auf Hiroshima 1945, die kluge Köpfe wie Günther Anders von der „Antiquiertheit des Menschen“ sprechen ließ. Der technische Fortschritt sei dabei, sich des Menschen zu entledigen – nicht nur durch einen Super-GAU. Auch, weil es nicht mehr um die Bedürfnisse des Menschen, sondern nur noch um die der Produktionstechnik gehe. Die dritte industrielle Revolution verlange, dass „das Mögliche durchweg als das Verbindliche, das Gekonnte durchweg als das Gesollte akzeptiert“ wird.
Eine fatale Entwicklung, die zu dem führt, was Francis Fukuyama 2002 Das Ende des Menschen nannte. Die Geschichte, glaubte der Politologe, sei mit dem Mauerfall zu Ende gegangen, doch die technischen, besonders die gentechnischen Entwicklungen könnten einen radikalen Umbruch bedeuten.
Was, wenn der nächste Super-GAU ein schleichender, ein posthumaner ist? Oder anders gefragt: Haben wir den Knall nur noch nicht gehört? Zwar ruft es mitunter Belustigung hervor, wenn Trans- und Posthumanisten wie Ray Kurzweil oder Nick Bostrom der Überwindung des Menschen das Wort reden, doch längst wird daran aktiv geforscht und gearbeitet.
Es kursieren mehrere Zukunftsszenarien: 1. Der Mensch verwandelt sich durch Prothesen (zum Beispiel Kameras als Augen) und Speicherkarten im Hirn in einen Cyborg. 2. Künstliche Intelligenzen verselbstständigen sich, sodass der Mensch sich ihnen unterwerfen muss. 3. Superintelligente Designerbabys werden die neuen Herrenmenschen. 4. Der Mensch passt sich der binären Logik der Computer an und gibt so das Menschsein auf. 5. Eine Mischung aus allen vier Punkten.
Das Sozialkredit-System (Social Scoring) in China ist ein großer Schritt in diese Richtung: Jeder wird erfasst, alle Daten werden vernetzt, alles wird überwacht. Wer seine Schulden nicht begleichen kann oder sich in den Augen der (formal) kommunistischen Partei unmoralisch – das heißt: nicht regierungskonform – verhält, bekommt Punktabzug und wird an den digitalen Pranger gestellt.
Wachstum überwinden
In mehreren Städten Chinas wird das System bereits erprobt, werdende chinesische Eltern könnten in Zukunft viel Geld ausgeben wollen, sollte es durch die Genschere CRISPR möglich sein, Embryonen zum Beispiel gegen unmoralisches Verhalten, etwa Drogenkonsum, zu immunisieren. Und es gibt bereits Apps, die den Bürgern helfen, sich regelkonform zu verhalten, oder mit anderen Worten: roboterhaft zu werden.
Aber kehren wir, die wir den Verkehr immer stärker überwachen, Alterstests bei Flüchtlingen durchführen, Fitness-Armbänder auf der Jagd nach einem Versicherungsbonus tragen, den Intelligenzquotienten mit Bildung verwechseln und die Schufa haben, doch besser vor unserer eigenen Haustür. Zwar gibt es Ethikkommissionen, Datenschützer und einige intellektuelle Digitalisierungskritiker, doch in Gesellschaft und Politik lautet das Mantra: Technischer Fortschritt ist gut, man muss ihn nur ein bisschen regulieren. Das humane Zeitalter, es könnte bald passé sein.
Dass der Mensch zum „Homo Deus“ (Yuval Noah Harari) wird und dabei ist, sich abzuschaffen, treibt selbst Linke kaum um. Häufig wird von links, aus Angst, als konservativ verschrien zu sein, der Fortschritt gefeiert oder sogar angeprangert, dass er noch nicht fortschrittlich genug sei. So sagte die Starfeministin Laurie Penny 2016 der Süddeutschen Zeitung: „Es ist eine Schande, dass Frauen sich immer noch zwischen Mutterschaft und allem anderen entscheiden müssen. Außerdem bin ich überhaupt nicht wild auf eine Schwangerschaft. Dafür sollte es technische Alternativen geben. Warum sollten Babys nicht im Labor entstehen?“ Ja, möchte man sarkastisch hinzufügen, und dann diese lästigen ersten 18 Jahre – Windeln, Elternabende, Pubertät, Diskussionen über Tattoos. Warum kann man das Kind nicht bis zur Volljährigkeit von Robotern großziehen lassen?
In Pennys Aussage sind die zwei Dilemmas der Debatte um unsere Zukunft vereint. Jede Einschränkung des eigenen Lebens wird als Zumutung empfunden, und jedes Problem soll technisch gelöst werden. Mit der Schwierigkeit, Mutterschaft und Beruf miteinander zu vereinen, spricht Penny ein politisches Problem an, doch die Schlussfolgerung erinnert an die Kernenergiedebatten, bieten doch Atomkraftwerke ebenfalls eine technische Lösung für eine eigentlich politische Misere: grenzenlose Energie für eine auf grenzenlosem Wachstum beruhende Wirtschaft.
Bemerkenswerterweise wurde beim Atomausstieg nicht einmal von den Grünen darauf verwiesen, dass eine Absage an die Wachstumsideologie, Verzicht also, Energie sparen und damit Atomkraftwerke überflüssig machen könnte. Das Modewort der Nachhaltigkeit verspricht letztlich nur noch mehr Effizienz (und ein wenig Moral), es hinterfragt weder die auf steigende Börsenkurse setzende Ökonomie noch den grenzenlosen Individualismus.
Man bleibt dem „Solutionismus“ (Evgeny Morozov) treu, wonach die Technik Lösungen finden soll, damit in der Politik alles beim Alten bleiben kann. Anstatt zu fragen, wie eine Gesellschaft politisch umgestaltet werden müsste, damit Frauen nicht derart hin- und hergerissen sind, delegiert Penny das Problem an die Technik. Bereits 1932 sah der rechte Staatsrechtler Carl Schmitt in seiner Schrift Der Begriff des Politischen eine in der Aufklärung ihren Ausgang nehmende Entpolitisierung durch den Technizismus voraus.
Technik ist nie neutral
Schmitt definiert das Politische als Unterscheidung zwischen Freund und Feind, ebendie wird durch die vermeintliche Neutralität der Technik unsichtbar gemacht. Doch Technik ist nicht neutral. Eine Gesichtserkennungssoftware, mit der sich das Innere einer Person analysieren lässt, ist nie gut, weil sie den Menschen zu einem ausgelieferten Wesen degradiert.
Wenn sich Linke technische Lösungen für politische Probleme wünschen, erinnert das an die Positionen derer, die, um sich vor einer Umverteilung zu drücken, behaupten, es sei eben derzeit nicht genug für alle da. Die digitale Variante davon lautet: Bildung für alle – das geht nur, wenn wir Apple-Klassen haben. Menschenwürdige Bedingungen in der Pflege – ja, deshalb brauchen wir Pflegeroboter. Am Ende dieser Argumentationskette steht die Annahme, man müsse den Menschen, der unvernünftig, ambivalent und gefährlich sein kann, um des Menschen willen abschaffen.
Zu stoppen ist diese Logik nur durch eine Wiederkehr des Politischen. Konkret bedeutet das: Keine Frau wird mehr gezwungen, Kinder zu gebären. Frauen, die sich Kinder wünschen, müssen die damit verbundenen Anstrengungen akzeptieren. Zugleich wäre dafür zu sorgen, dass Frauen mit Kindern nicht benachteiligt und dass Männer stärker in die Pflicht genommen werden. Outsourcing in neofordistische Babyfabriken ist keine Lösung.
Stets muss es um politische Veränderung bei Akzeptanz von Grenzen gehen: eine aufgeklärte Gesellschaft und keine datenhungrige Regierung. Umverteilung zur Beseitigung des Hungers und keine Landwirtschaft auf der Rückseite des Mondes. Ressourcenschonung und keine Kolonisierung des Mars. Alles andere wäre fatal, denn was für Religionen das Jenseits ist, ist für die Technikgläubigen die Zukunft. Im Hier und Jetzt, predigen beide, kann nichts verändert werden, warten wir deshalb lieber auf die messianische Technik. Was wir mehr denn je brauchen, ist also eine gehörige Portion Blasphemie.
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