Menschheitsdämmerung 4- Zarathustra-Ursprung der Apokalypse-Teil 1

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Begleitschreiben zum Offenen Seminar „Melancholie und Apokalypse“ und zum Heidegger-Han-Lektürekurs „Subjektkritik“ an der Humboldt-Universität zu Berlin.Kontakt: autonomes.seminar@t-online.de - Infotelefon: 030 – 42 85 70 90

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Berlin-Pankow, den 12. März 2012

Bericht vom dritten Treffen des Offenen Seminars „Melancholie und Apokalypse“ am Mi, 29.2.2012, 18:00 bis 20:00 Uhr

Der Zoroastrismus als Ursprung des apokalyptischen Denkens (1.500/1.200 v.u.Z.)

Anwesend waren 9 TeilnehmerInnen (1 Entschuldigung). In der „Blauen Spendendose“ lagen 7,50 Euro (für Plakate, Papier und Kopien)

Der Bericht wird in Frage/Antwort-Form gefasst, um die Apokalypse des Zarathustra mit der jüdisch-christlichen und den verweltlichten Apokalypsen vergleichen zu können. Durch diese Form sind gewisse inhaltliche Wiederholungen unvermeidbar.

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Die apokalyptische Weltsicht des Zoroastrismus

Wer offenbart den Sinn des Geschichtsverlaufs?

Der oberste Gott AHURA MAZDA (= „Herr der Weisheit“ bzw. „Allweiser Herr“) spricht zum Menschen Zarathustra und offenbart ihm den Sinn des Geschichtsverlaufs.

Wem wird der Sinn des Geschichtsverlaufs offenbart?

Der Mensch Zarathustra vernimmt die Offenbarung und fühlt such von nun an als Prophet des Gottes AHURA MAZDA.

Anmerkung: „Prophet“ kommt von griechisch pro-phetes: „Fürsprecher”, „Sendbote” und bezeichnet einen Menschen, der im Auftrag Gottes dessen Botschaft verkündet.

Der Unterschied zum apóstolos = Apostel = Gesandter besteht darin, dass letzterer vom lebenden Messias (Jesus) oder von einem göttlichen Wirkprinzip (Heiliger Geist) direkt beauftragt wird, in die Welt zu gehen, um rundherum die frohe Botschaft (das Evangelium) zu verkünden.

Welche Auffassung von Zeit wird offenbart?

Die alte Zeitauffassung besagte: Die Zeit ist endlos und statisch, ohne Anfang und Ende. Sie zeitigt sich als periodische Erneuerung und ewiger Kampf zwischen den Ordnungs- und Chaosmächten. Alles bleibt so, wie es immer war und immer sein wird.

AHURA MAZDA offenbart seinem Propheten Zarathustra, dass sich die Welt in einer doppelten Zeit zeitigt:

- einerseits in der „begrenzten Zeit“ als einer „Zeit der Mischung“. In dieser Zeit zeitigt sich die Schöpfung und Gegenschöpfung und der heftige und blutige Kampf zwischen den Ordnungs- und Chaosmächten (AHURA MAZDA/ASCHA und ANGRA MAINYU/DRUG), der im „Endsieg“ der Ordnungsmächte über die Chaosmächte gipfeln wird. Danach beginnt die Ewigkeit voller Glückseligkeit.

- andererseits in der unbegrenzten Zeit (Ewigkeit), in der AHURA MAZDA/ das ASCHA gänzlich und überall herrschen und ANGRA MAINYU/ das DRUG vernichtet sein wird.

Die neue Zeitauffassung besagt, dass in der Zeit die Umsetzung eines göttlichen Plans geschieht, der auf die herrliche Vollendung der Welt und auf die Vollkommenheit der Dinge zielt. Die Zeit kommt nunmehr in Bewegung und bewegt sich vorwärts. Die neue, große Botschaft lautet: Der Kampf wird ein Ende haben.

In wessen Namen spricht der Prophet Zarathustra?

Er spricht in Vollmacht und als Bevollmächtigtes des obersten Gottes.

Wer war und woher kommt der Prophet Zarathustra

Der Prophet Zarathustra entstammt vermutlich einem Volk von ViehzüchterInnen, die als WandernomadInnen aus den kasachischen Steppen in den Ostiran einwandern. Er kommt aus armen Verhältnissen und war –wie seine StammesgenossInnen auch- schutzlos und machtlos den Überfällen und Anfeindungen kriegerischer und räuberischer Stämme ausgesetzt. Später gewann er den Beistand von Mächtigen, heiratete er in eine bedeutende Familie ein und kam zu Ansehen und Wohlstand.

Die auslösende Inspiration war wohl das Leiden der nomadisierenden ViehzüchterInnen, „das aus der Vernichtung einer althergebrachten Lebensweise mit ihren vertrauten Sicherheiten und Schutzmechanismen erwächst.“ (153) Zarathustra predigte in einer Umbruchzeit (Wendezeit) und kündigte die völlige Verwandlung des Daseins an.

Zu wem spricht der Prophet?

Neu: Zarathustra spricht nicht, wie damals üblich, ausschließlich zu den Mächtigen und Privilegierten, sondern zu allen, die ihm zuhören wollen: Zu Frauen und Männer, zu Armen und Reichen, zu Unwissenden und Gebildeten. Als Prophet, der in göttlicher Vollmacht den endgültigen Sieg des Guten über das Böse und ewige Fülle und Glückseligkeit für alle ankündigt, findet er Gehör bei den Opfern der Verhältnisse, also bei den Unterdrückten und Ausgebeuteten und Ausgeraubten. Die Mächtigen, Reichen, Privilegierten und Krieger hingegen fühlen sich eher bedroht und verfolgen ihn und seine AnhängerInnen. Hinzukommt, dass er sich als bevollmächtigter Gesandter des obersten Gottes über den weltlichen Herrschern und Königen positioniert, was damals unvorstellbar war. Dennoch wird Zarathustra von einzelnen Herrschern und Kriegern unterstützt, weshalb er samt seiner Gemeinde überleben kann.

Welche Motive treiben Zarathustra?

Zarathustra ging es um eine Reform seiner althergebrachten, vedischen Religion. Seine grundstürzende Erneuerung bedroht aber die Vorrangstellung und Privilegien der traditionellen Priesterschaft, weshalb sie ihn bekämpfen und verfolgen. Ihre Feindschaft zwingt Zarathustra, sein zoroastrische Religion zu begründen.

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Der erste Anfang - Ursprung und Schöpfung

Was war vor dem ersten Anfang?

Das vedische Rigveda X, 129, Verse 1-2 beschreibt das, was vor dem Erscheinen der Götter und vor dem Akt der Schöpfung war als „Ursprünglichkeit“, von der wohl niemand berichten kann, auch nicht der oberste Gott:

„Damals war nicht das Nichtsein noch das Sein.

Kein Luftraum war, kein Himmel drüber her. -

Wer hielt in Hut die Welt, wer schloss sie ein?

Wo war der tiefe Abgrund, wo das Meer?

Nicht Tod war damals noch Unsterblichkeit,

Nicht war die Nacht, der Tag nicht offenbar. -

Es hauchte windlos die Ursprünglichkeit

Das Eine, außer dem kein andres war.“

(siehe auch Merkblatt „Rigveda“)

Die Ursprünglichkeit wird als „Zustand“ beschrieben, der ein undenkbares Drittes „war“, nämlich ein Weder-Sein-noch-Nichtsein. Jedenfalls gerät diese Ursprünglichkeit eines Nicht-Sein und Nicht-Nichts zum Ermöglichungsgrund für Schöpfungen.

Im Zoroastrismus fehlt dieses „Davor“. Im Anfang war AHURA MAZDA und davor war NICHTS. AHURA MAZDA war die erste Ursache (prima causa), der die Dynamik der Schöpfung in Gang brachte. Wenn also am Ende der begrenzten Zeit die ewige Zeit beginnen wird, wird das Zeitalter der Vollendung beginnen und nicht das, was weder Sein noch Nichtsein ist. Es wird dann kein zweiter „Hauch der Ursprünglichkeit“ wehen. Der Endsieg des Guten bedarf eines Anfangs, vor dem ein NICHTS war, um in einem anderen Anfang ewig dauern zu können.

Welche Kräfte oder Mächte bewirkten die Schöpfung des ersten Anfangs?

Herkömmlich wurde gedacht, dass im Anfang jede Pflanze, jedes Tier und auch der Mensch einzig war. Aus je-einem Exemplar entwickelten sich viele. Zarathustra erweiterte diese uranfängliche Einzigkeit auf das Göttliche. Der uranfängliche einzige Gott war AHURA MAZDA als der ganz und gar Weise, Gerechte und Gute. Selbst unerschaffen, wurde AHURA MAZDA die erste Ursache von allem, von ASCHA und von allem, was mit ASCHA übereinstimmt, d.h. die erste Ursache des göttlichen und menschlichen Guten, ob belebt oder unbelebt, ob abstrakt oder konkret. Die Religion der Zoroastrier heisst auch „MAZDA-Verehrung“ (Zitat Gatha, S. 131)

Diese prima cause trat als Zwillingsgeist auf: Einerseits als AHURA MAZDA, anderseits als ANGRA MAINYU.

„Nach Zarathustras Auffassung verkörperten die Zwillingsgeister die Kräfte, die den Kosmos aufrechterhielten, und die Kräfte, die ihn zu zersetzen suchten.“ (Cohn, 132). Der erstere war wesensmäßig eher „gut“ (aber auch „böse“), der letztere war eher „böse“, aber auch „gut“. Die beiden Geister reräsentierten sozusagen ein gewichtetes Kontinuum zwischen Gut und Böse, Ordnung und Chaos.

Das Schöpferisch-aufbauende, Konstruktive, Gute, Gerechte, Richtige, Soziale, die universale Ordnung wurde durch das ASCHA repräsentiert. Das DRUG repräsentierte hingegen die Kräfte der Zerrüttung, der Destruktion, der Falschheit, Entstellung, Lüge, Willkür. Das DRUG war die radikale Negation des ASCHA.

Neu: Beide Zwillingsgeister mussten zwischen ASCHA und DRUG wählen, und sie entschieden sich gemäß ihrer sittlichen Natur oder ihrer sittlichen Verkommenheit: AHURA MAZDA entschied sich dafür, den ASCHA zu verkörpern. ANGRA MAINYU entschied sich für die Verkörperung des DRUG. Beide Geister hatten sich somit von ihrer jeweiligen Negation gereinigt: Der eine war rein gut-konstruktiv, der andere rein böse-destruktiv.

Aus dieser Grundstellung heraus war der Kampf unvermeidlich. Das Gute-Konstruktive begann gemäß seines Wesens, das Seiende und dessen Ordnung zu erschaffen. Das Böse-Destruktive begann seinem Wesen entsprechend, das Erschaffene und dessen Ordnung zu zerstören.

Neu: Der gute und konstruktive Gott hatte einen Plan, um für immer das Böse zu vernichten. Der Kampf begann im Augenblick der Schöpfung. Zwar wurde die Welt zum Schlachtfeld, aber der Kampf sollte ein Ende haben.

Welcher Schöpfer oder welches schöpferische Prinzip war am Werk? (als Person?, als Prinzip?, als Kraft? als Macht?)

Die Zwillingsgeister waren Verkörperung von Wirkkräften – einerseits der schöpferisch-aufbauenden, in Obhut nehmenden moralisch-ethisch guten Kräfte (ASCHA) – andererseits der zerstörenden, ausbeuterischen, raubenden, vergewaltigenden, tötenden, bösen Kräfte (DRUG).

Welche Qualität hatte der Schöpfer?

Die Zwillingsgeister AHURA MAZDA und ANGRA MAINYU sind der Anfang und somit die ungeschaffene erste Wirkursache (prima causa). Beide Zwillinge waren somit der erste Ermöglichungsgrund von Werden oder Zerstören und damit erste Ursache von Schöpfung und Gegenschöpfung.

Wie kam das Destruktive, Zerstörerische, Unvollkommene, Schlechte, Böse, Hässliche, Falsche, Ungerechte, wie kam Lug und Trug, Bosheit, Neid in die Welt?

Das Böse war im Anfang als DRUG da, aber noch nicht eindeutig verkörpert. Es hing sozusagen zwischen zwei Verkörperungen, einerseits als AHURA MAZDA, anderseits als ANGRA MAINYU, wobei das DRUG überwiegend im ANGRA MAINYU anwesend war. Die Entscheidung des ANGRA MAINYU für das DRUG bereinigte und vereindeutigte lediglich die Zuordnung: Ab sofort verkörperte sich das DRUG exklusiv in ANGRA MAINYU.

Wie kam die Ordnung des großen Ganzen, das Aufbauende, Konstruktive, Vollkommene, Gute, Schöne, Gerechte, Richtige, Edle, Soziale usw. in die Welt?

Analog dazu war das Gute im Anfang als ASCHA da, aber ebenfalls noch nicht eindeutig verkörpert, wobei das ASCHA überwiegend im AHURA MAZDA anwesend war. Nach der Entscheidung des AHURA MAZDA für das ASCHA verkörperte sich das Gute exklusiv im AHURA MAZDA.

Warum ereignete sich die Schöpfung? Hatte die Schöpfung einen Sinn?

Die alten Religionen der ewigen Wiederkehr konnten die Frage, warum überhaupt die Welt entstand, nicht beantworten. Warum erhob sich der Urhügel aus dem Ur-Chaos-Ozean? Warum fügte sich die zerstreute Potenzialität des Demiurgischen zum Demiurg zusammen, der dann die Gestalt des Sonnengottes RE annahm? Warum schuf der DEMIURG als RE den Kosmos? Antwort: All dies ereignete sich, weil es sich ereignete. Der Hügel wölbte sich auf, weil er sich aufwölbte! Der Demiurg betrat die Insel und erschuf die Welt, weil er sie erschuf. Alles geschah um seiner und ihrer selbst willen. Punktum.

Neu war die Offenbarung, dass die Schöpfung der geordneten Welt einzig einem sittlichen Zweck diente, nämlich der Niederwerfung ANGRA MAINYUS. Die Schöpfung hatte somit einen Sinn und war Teil eines strategischen göttlichen Plans. Die Schöpfung geschah somit nicht um ihrer selbst willen, sondern um Willen der endgültigen Vernichtung des Bösen. Die Schöpfung war eine „Falle“ (Cohn), in die das Böse zwangsläufig tappen und in der es umkommen würde.

Warum wurden Götter erschaffen und worin zeigte sich das Besondere der Götter?

Beide Zwillingsgeister benötigten für ihren Kampf gegeneinander Verbündete. Deshalb, um der Erschaffung der Verbündeten willen, begann Schöpfung und Gegenschöpfung.

AHURA MAZDA bediente sich hierfür eines Wesens namens SPENTA MAINYU (Heiliger Geist), und zwar als einer Wirkkraft, die mit ihm eins war.

Zuerst erschuf er sechs mächtige göttliche Wesen, die in ihrer Gesamtheit „Heilige Unsterbliche“ oder „Mildtätige Unsterbliche“ heißen. Die nachfolgenden sechs Götter waren ihm untergeben und handelten nur nach seinem Willen. Sie heißen:

- „ASCHA“

- „Guter Sinn“

- „Rechtmäßig ausgeübte Herrschaft“

- „Frömmigkeit“

- „Heilheit“

- „Unsterblichkeit“

Das Besondere der Götter war ihre Wirkkraft. Alle zusammen bewirkten, dass die universale Ordnung als das Ganze von Himmel, Erde und Unterwelt funktioniert; sie wirkten durch die arbeitsteilige Inobhutnahme dessen, was ihnen im Schöpfungsakt von AHURA MAZDA anvertraut wurde.

So brachten AHURAMAZDA und „seine“ sechs großen Götter die geordnete Welt hervor und schufen auch einen großen Götter-Pantheon aus großen und kleinen Göttern, die allesamt –je-für-sich- das ASCHA bewahren und schützen sollten.

Viele kleine Götter verkörpern Begriffe, z.B. die Gastlichkeit, die man einem Gast schuldet; oder den Wohlstand, der von einem Heiratsvertrag ausgeht. Es gibt einen Gott der Seelen aller nützlichen Tiere, der Heilkunst, des Mondes, der Sonne uswusf..

Diese Inobhutnahme geschah nicht um ihrer selbst willen, sondern zweckbestimmt. Götter (große und kleine), Menschen und Tiere sollten AHURA MAZDA bei der endgültigen Vernichtung der Chaosmächte helfen.

Worin zeigte sich das Besondere des Menschen?

Die Erschaffung des Menschen geschah, ebenso wie die von Pflanze und Tier, unter dem Gesichtspunkt des Kampfes gegen die Chaosmächte. Die besondere Verantwortung des Menschen liegt in der freien Wahl zwischen dem konstruktiven und destruktiven Prinzip: Jeder Mensch kann AHURA MAZDA und das ASCHA wählen oder ANGRA MAINYU und das DRUG. Der Mensch wiederholt die Ur-Wahl der Zwillingsgeister.

Der Grund für diese „Wahlpflicht“ erschließt sich aus der Zielstellung der Schöpfung des Menschen: AHURA MAZDA braucht Bündnispartner für den Endsieg und diese können nur erfolgreich wirken, wenn sie sich vom Einfluss der Chaosmächte gereinigt haben. Dieser Reinigungsvorgang geschieht in der Wahl. Danach werden sie Verbündete oder Feinde des AHURA MAZDA und des ASCHA sein.

Die Welt wird also durch einen „kollektiven Heiland“, d.h. durch die Zusammenarbeit zwischen Gott und Mensch, erlöst. Wer das ASCHA gewählt hat, muß danach alles tun, um das Wohlergehen der Welt und seine eigenes Wohlergehen zu bewirken, und zwar durch die Erfüllung religiöser und weltlicher Pflichten (siehe Buch der Ratschläge, Cohn S.141). Der Mensch, der das Gute wählt wird zum Diener des Guten.

Der Gerechte, der das ASCHA gewählt hat, muss somit als der gute Hirte, der die gute Schöpfung hegt, pflegt und bewahrt – geduldig, gefasst, mutig. Das Viehhüten wird zum Vorbild für sittliches Verhalten.

Mit welchem Geschlecht wurde der Mensch geschaffen? (als geschlechtsloser Mensch, als Mann, als Frau, als drittes Geschlecht?)

AHURA MAZDA erschuf den Menschen als riesigen, gigantischen Mann.

Welche Art (welcher Typus/Habitus) von Mensch wurde geschaffen und zu welchem Zweck?

Der Mensch wurde als potenziell verbündeter Hege-Hirte des Seienden geschaffen, der sich aber entscheiden konnte, zum Feind, zum Unheger zu werden.

Warum wurde das Tierische und Pflanzliche geschaffen?

Auch die Tierheit zerfiel in Tiere des AHURA MAZDA und Tiere des ANGRA MAINYU. Allerdings entfiel bei Tieren die Wahl. Die Funktion von Pflanzen bleibt unklar.

Wie ereignete sich die Schöpfung des ersten Anfangs?

AHURA MAZDA erschuf die Welt zuerst in einem geistigen, körperlosen Zustand, den er dann in die stoffliche, sichtbare, greifbare Welt umwandelte. Im Bundahischn wird Zarathustras Kosmogonie, d.h. „Weltzeugung“ als Erklärungsmodell der Entstehung der Welt bzw. des Universums als siebenstufiger Prozess erläutert (wobei dieser Mythos aus der Zeit vor Zarathustra stammt):

(1) Schöpfung des Himmels als rundes Gehäuse aus Stein;

(2) Schöpfung des Wassers, das zur Hälfte das Gehäuse ausfüllt;

(3) Schöpfung der Erde als flacher Teller, der auf dem Wasser schwamm;

(4) Schöpfung –jeweils im Mittelpunkt der Erde- einer einzelnen Pflanze, feucht und milchig, ohne Zweige oder Rinde;

(5) eines einzelnen Tiers (des riesige „Alleingeschaffenen Stiers“) und

(6) eines einzelnen riesigen Mannes, so breit, hoch und hell wie der Mond (mit

Namen „Pahlavi Gayomart“ = „sterbliches Leben“),

(7) Schöpfung des Feuers in zweierlei Form: als sichtbares Feuer und

als unsichtbare, alle beseelten „Schöpfungen“ durchdringende Lebenskraft.

Im Anfang war das Universum stillgestellt. Die Sonne stand im Zenit, auf Mittag.

Dann opferten die Götter den Stier und den Mann, und aus ihren Samen entsprang die Vielfalt der Tiere und Menschen. Dann zerstießen die Götter die Urpflanze; aus dem Saft entstanden alle Pflanzen.

Diese göttlichen Opferungen schoben den Kreislauf des Lebens an. Die geordnete Welt war entstanden.

Zarathustra übernahm aus diesem alten Mythos den Vorgang der Schöpfung, richtete aber sein Augenmerk auf den Zweck der Schöpfung. Und zwar dadurch, dass er jede Schöpfung unter die Obhut eines der Heiligen Unsterblichen stellte:

Der Himmel kam in die Obhut der „Herrschaft“;

Das Wasser kam in die Obhut der „Heilheit“;

Die Erde kam in die Obhut der „Frömmigkeit“;

Die Pflanzen kamen in die Obhut der „Unsterblichkeit“;

Die Tiere kamen in die Obhut des „Guten Sinns“.

Der Mensch kam in die Obhut des AHURA MAZDA bzw. dessen Heiligen Geistes;

Das Feuer (als die allen Lebewesen innewohnende Lebenskraft) kam in die Obhut des „ASCHA“.

Die zoroastrischen Rituale gruppieren sich um das Feuer: Im Tempel brennt das heilige ewige Feuer; man betet in der Familie am Herdfeuer; man betet als Einzelner vor Sonne und Mond.

In Obhut nehmen bedeutete, dass die Götter in das Inobhutgenommene einwohnen und es gegen die Chaosmächte schützen. Das Göttlich-Geistige verband sich so mit dem Stofflichen. Umgekehrt schützten die Menschen und Tiere auch die Götter.

Die Verwandlung des Unkörperlichen ins Körperliche war die Vollendung und Erfüllung der Schöpfung. Im Schöpfungsakt verflocht sich das Geistige mit dem Stofflichen. Insofern war die gute und heile natürliche Welt gesättigt mit sittlicher Bedeutung und geistigem Streben: Der Heilige Geist wohnte in jedem rechtschaffenen Menschen. Das Prinzip der Ordnung, Gerechtigkeit und Wahrheit war und wird in jedem Feuer anwesend sein.

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Fortsetzung in Menschheitsdämmerung 4, Teil 2

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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