Abwehr und Aufbruch

CDU Die Laschet-Union tut nichts, will nichts – und trifft damit den Nerv einer genervten Bevölkerung. Was heißt das für die anderen?
Ausgabe 23/2021
Ein Erfolg für die Union? Das blaue Wunder ist in Sachsen-Anhalt ausgeblieben. Zweitstärkste Kraft wurde die AfD trotzdem
Ein Erfolg für die Union? Das blaue Wunder ist in Sachsen-Anhalt ausgeblieben. Zweitstärkste Kraft wurde die AfD trotzdem

Foto: Odd Andersen/Pool/AFP/Getty Images

Die Pandemie, hieß es noch vor einem Jahr, werde uns allen die Dringlichkeit eines radikalen Gesellschaftswandels vor Augen führen. Corona müsse der Auftakt zum großen Umbruch sein. Wissenschaftlich betrachtet und rein rational gedacht stimmt das. Doch die Menschen sind durch Corona eher ängstlicher und irrationaler geworden. Eine Long-Covid-Folge, die wenig thematisiert wird.

Vor allem ängstlicher! In sämtlichen Landtagswahlen seit Beginn der Pandemie haben sich die Bürger – trotz des abschreckenden Bund-Länder-Durcheinanders – an die regierenden Amtsinhaber geklammert, in Hamburg, in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und vergangenen Sonntag in Sachsen-Anhalt. Die jeweils führende Partei (egal ob Grüne, SPD oder CDU) baute ihren Vorsprung aus und landete weit über 30 Prozent. Flankiert wird der neue Konservativismus von einem monarchisch inspirierten Politjournalismus, der sich den „beliebten“ Landesmüttern und Landesvätern hingebungsvoll an den Hals wirft. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen wird das Merkel’sche „Sie kennen mich“-Konzept funktionieren.

Was aber bedeutet das für die Bundestagswahl? Gar nichts, sagen viele, weil anders als bei den genannten Landtagswahlen keine Amtsinhaberin zur Wahl steht? Die Königin tritt ab. Das verändere die Lage. Im Bund sei alles offen.

Doch damit lügen sie sich in die Tasche. Der Trend der bisherigen „Coronawahlen“ ist eindeutig. Nach fast eineinhalb Jahren mehr oder weniger erduldeter Maßnahmen, nach einem endlosen Winter, in dem sich der Staat nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, wollen die Bürger vor allem eines: in Ruhe gelassen werden. Sie brauchen Erholung, Entlastung, Staatsferne. Sie haben die staatliche Einmischung in ihr Leben satt, ein Grund übrigens für die guten Umfragewerte der FDP.

Aber was bedeutet diese Abwehrstimmung für die ökologische Transformation, für Modernisierungsschub, Aufholjagd und Runderneuerung, die uns landauf, landab gebetsmühlenhaft gepredigt werden? Wie wollen Grüne, SPD, Linke und FDP die herrschende Lasst-uns-in-Ruhe-Stimmung durchbrechen? Wie wollen sie Aufbruchsgeist erzeugen, wenn die Gesellschaft keine Lust und keine Kraft mehr hat?

Nun könnte man sagen: Das ist irrationales Ausweichen vor anstehenden Aufgaben. Doch so dumm sind die Menschen nicht, sie machen ja ihre Erfahrungen. Aus Erfahrung wissen sie, dass Erneuerungs-, Modernisierungs- und Transformationsvorhaben stets mit enormen Belastungen verbunden sind. Und in der Coronakrise haben sie soeben die bittere Erfahrung gemacht, dass sie durch miserables Polit-Management fast eineinhalb Jahre lang ausgebremst wurden, nur damit die Wirtschaft (bis auf wenige Branchen) uneingeschränkt weiterlaufen konnte. Der Dax kletterte in dieser Zeit auf immer neue Rekordwerte. Gab es zu Beginn der ersten Coronawelle, im März 2020, noch einen kurzen Index-Absturz von mehr als 5.000 Punkten, schrumpfte der Einschnitt zu Beginn der zweiten Welle auf 1.500 Punkte und war am Anfang der dritten Welle kaum noch wahrnehmbar. Das heißt, die Bürger haben für den reibungslosen Durchlauf dieser marktkonformen Pandemie auf vieles verzichtet, während die Milliardäre reicher wurden und das staatliche Helikoptergeld den großen Unternehmen half. Die Bürger nahmen es als alternativlos hin.

Und nach Corona? Worum ging es bei der ersten heftigen Politikdebatte im beginnenden Wahlkampf? Um die Forderung der Grünen, Benzin und Heizöl aus Klimaschutzgründen schneller zu verteuern als Ende 2019 beschlossen. Statt nach 15 Monaten zermürbender Vorsichtsmaßnahmen über dringend erforderliche Entlastungen der Bürger zu reden, etwa über Strompreissenkungen, wird sofort wieder draufgesattelt. Es mag nur um wenige Cent gehen, aber psychologisch war der Einstieg in die Nachcoronazeit verheerend.

Dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl müssen sich die Parteien diesseits von CDU/CSU die Frage gefallen lassen, wie sie mit einer Teflon-Union weiter umgehen wollen, an der kein Bereicherungs-Skandal, kein Maßnahmen-Durcheinander und kein Beschaffungsmurks haften zu bleiben scheint. Welchen Kurs fahren sie gegen eine Laschet-Partei, die stur einfach nichts tut, die nichts umbauen, verändern oder anders machen will und so paradoxerweise den Nerv der genervten Bevölkerung trifft?

Vielleicht liegt das Problem ja am fehlenden Wahlkampf der Parteien untereinander. Während die Union so clever ist, die erschöpfte Gesellschaft in Ruhe zu lassen und deren Ruhebedürfnis demonstrativ gegen Grüne, SPD und Linke ausspielt (Beispiel Gendersternchendebatte), nerven Grüne, SPD und Linke die Gesellschaft mit allerlei Umbauplänen und lassen die Interessenpartei Union dabei absurderweise in Ruhe. Es ist dieser zahme Umgang untereinander, der die Parteien zur überparteilichen ununterscheidbaren Deutschland-Koalition vermanscht. Die Opposition ist eingeschlafen und hat die Bevölkerung mit eingeschläfert. Mit dieser Schlafwagenpolitik wird die Bundestagswahl nicht gewonnen. Schon gar nicht, wenn Grüne und Sozialdemokraten im stillen Kämmerlein hoffen, doch als Koalitionspartner der Union gebraucht zu werden anstatt offen eine Regierung ohne die Union anzustreben – und an dieser Vorfestlegung nach der Wahl festzuhalten.

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