Drei Tage nach dem russischen Überfall auf die Ukraine saß der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel in einem Talkshow-Sessel bei Anne Will und rang nach Worten. Bebend vor Zorn forderte der 74-Jährige: „Eigentlich sollten wir nicht hier sitzen, sondern – wie in Spanien 1936 – in Internationale Brigaden gehen und kämpfen.“ Doch so mutig seien die „friedensverwöhnten“ Deutschen nicht.
Udo Knapp, einst Mitglied der Grünen, später mit Otto Schily zur SPD übergelaufen, wurde in der taz noch deutlicher. Die Ukraine, schrieb er, sei nur der Auftakt zu einem „weltweit angelegten Systemkrieg“. Putin wolle „die freiheitliche westliche Welt und ihre Liberalität zerstören“. Deshalb müss
. Deshalb müsse der Westen „mit eigenen Bodentruppen an der Seite der ukrainischen Armee“ die Armeen Putins „hinter die Grenzen Russlands zurücktreiben“. Doch vermutlich wolle sich der Westen lieber selbst aufgeben.Ralf Fücks, Mitbegründer der Grünen, jetzt Chefideologe des transatlantischen Thinktanks Zentrum Liberale Moderne, belegt den Westen und seine „Unterwerfungspazifisten“ schon seit Monaten mit geistigem Sperrfeuer. Wo immer er kann, fordert er „mehr Waffen, um diesen Krieg zu gewinnen“. In schönster NATO-Diktion sorgt er sich um „die östliche Flanke Europas“ und beklagt den Mangel an „weitreichender Artillerie, Raketenwerfern, Luftabwehrsystemen und gepanzerten Fahrzeugen“. Europa und die USA müssten „zum Gegenangriff“ übergehen, um den „russischen Neoimperialismus“ bis zu den Grenzen des 24. Februar zurückzudrängen, „im Donbass vielleicht auch darüber hinaus“!Woher kommt der Verbalradikalismus dieser drei älteren Herren? Fücks war schließlich Kriegsdienstverweigerer, Schlögel leistete Zivildienst. Die heißspornigen Aufrufe, gegen Russland zu den Waffen zu greifen, wecken wohl die schönsten Erinnerungen an ihre gemeinsame politische Jugendliebe. Damals, in den 1970er Jahren, waren sie überzeugte Maoisten, aufgeputscht vom Geist der Kulturrevolution und dem gnadenlosen Abrechnungswillen der Roten Garden. Während Willy Brandt und Egon Bahr die Entspannungspolitik realisierten und die friedliche Koexistenz mit der Sowjetunion beschworen, schossen in der Bundesrepublik maoistische K-Gruppen wie Pilze aus dem Boden: die KPD/ML (bekannte Mitglieder u. a.: Ulrich Enzensberger, Wolfgang Gedeon), die KPD/AO (Christian Semler, Rüdiger Safranski, Alan Posener, Horst Mahler, Michael Kühnen, Karl Schlögel), der KABD (Robert Kurz, Berthold Huber), der KBW (Ralf Fücks, Reinhard Bütikofer, Joscha Schmierer), der KB (Jürgen Trittin, Angelika Beer, Jürgen Elsässer). Sie alle verehrten den „großen Steuermann“ Mao Tse-Tung und schulten ihre Überzeugungen an jenen 427 Sinnsprüchen, die der „überragende Führer“ per „Mao-Bibel“ in Milliardenauflage verbreiten ließ.„Politik mit Blutvergießen“Darin standen so geniale Sätze wie: „Die Politik ist Krieg ohne Blutvergießen, der Krieg ist Politik mit Blutvergießen.“ Oder: „Alle Kriege, die dem Fortschritt dienen, sind gerecht.“ Oder: „Jeder Kommunist muss diese Wahrheit begreifen: Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.“ Oder: „Wir müssen mutig kämpfen, keine Opfer scheuen, keine Erschöpfung fürchten und unablässig Kämpfe führen.“ Maos „revolutionärer Heroismus“ verlangte, „entschlossen jeden Feind zu überwältigen, sich selbst aber nie einem Feind zu unterwerfen“. Unterwürfigkeit verlangte die Partei nur von ihren Mitgliedern: „Die gesamte Partei fügt sich der einheitlichen Disziplin: Unterordnung des Einzelnen unter die Partei, Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit, Unterordnung der unteren Ebenen unter die höheren, Unterordnung der gesamten Partei unter das Zentralkomitee.“ Ehrfürchtig wurden solche Sätze in die Parteistatuten mancher K-Gruppen übernommen.Das maoistische Konzept bestand aus einer wirren Mischung von Autoritätsgläubigkeit, Realitätsblindheit und fanatischer Kampfmoral bis zum letzten Mann. Mao verachtete den verweichlichten sowjetrussischen „Revisionismus“ und dessen konterrevolutionäre Abkehr vom harten Stalinismus. Nikita Chruschtschow hielt er für einen Waschlappen, ja „Kapitulanten“, der in der Kubakrise feige einlenkte, anstatt einen Atomkrieg zu riskieren. Das chinesisch-sowjetische Zerwürfnis brachte die Maoisten überall auf der Welt dazu, den sowjetischen „Sozialimperialismus“ zum neuen Hauptfeind zu erklären. Er sei gefährlicher als der US-Imperialismus!Dass Maos Wirtschaftspolitik (der „Große Sprung nach vorn“ 1958 – 1961) und seine „Große Proletarische Kulturrevolution“ mit ihrer gnadenlosen Umerziehung (1966 – 1971) zig Millionen Menschenleben kostete, wussten die gutbürgerlichen deutschen Maoisten damals nicht. Besser: Sie wollten es nicht wissen. Die maoistischen Politsekten waren sehr gut darin, unangenehme Fakten auszublenden. Hauptsache, sie hatten einen starken Führer. Das zog auch jene an, die sehr weit rechts standen.Dieser Geist – oder besser: Ungeist – scheint vielen Ex-Maoisten erhalten geblieben zu sein. Sie haben nur Mao mit der NATO vertauscht.