Im Augenblick scheint es schwer zu sein, etwas zu tun, das der AfD nicht nützt. Der gute Wille, das Böse zu bekämpfen, reicht jedenfalls nicht aus. Sachlichkeit, analytische Schärfe, die den Gegner ernst nimmt, ein empathisches Interesse an der Faszination, die er erregt – das sind die Komponenten einer Kritik, bei der mehr übrig bleiben könnte, als dass die AfD medial hochgepusht wird.
Nichts davon in Thomas Freyers und Ulf Schmidts Stück Das blaue Wunder, inszeniert von Volker Lösch am Staatsschauspiel in Dresden. Das Staatsschauspiel hat sich in den vergangenen Jahren um das politische Theater in dieser Stadt verdient gemacht. Es gibt die Bürgerbühne; Lösch selber hat 2015 Frischs Graf Öderland im Pegida-Kontext neu inszeniert; eine beklemmende Version von den Krisen und Kriegen, die vielleicht auch uns bevorstehen, gab letztes Jahr Ulrich Rasches Das große Heft nach dem Roman von Ágota Kristóf. Hinter diese Vorlagen fiel Das blaue Wunder massiv zurück. Was hier geboten wurde, war künstlerisch irrelevant, politisch naiv und analytisch wertlos. Vor allem aber war es moralisch aufgeblasen.
Zwei Stunden lang habe ich mich fremdgeschämt. Es war Schülertheater, ausgestattet mit den Mitteln des Stadttheaters – fette Effekte, krasse Kulissen – aber doch einfältig und plakativ. Der Applaus, den es bekam, ist kein Gradmesser. Denn er verdankt sich einer moralischen Erpressung: Man klatscht und findet das irgendwie gut, weil man für die gute Sache ist und sich verpflichtet fühlt, es auch zu demonstrieren. „Kunst ist das Gegenteil von gut gemeint“, hat Benn gesagt. Ich kann mich spontan an keinen Theaterabend erinnern, auf den dieser Satz so gepasst hätte.
Ich bin sehr für politisches Theater. Aber es muss politische Konflikte zeigen, die wirkliche Menschen betreffen. Eigentlich ist das nicht schwer: Heiner Müller hat in Die Schlacht die Begegnung eines Brüderpaares in Szene gesetzt, der eine Nazi, der andere Kommunist. Simpel, aber effektiv; schon Aristoteles hielt es für eine gute Idee, Familienangehörige als Antagonisten auftreten zu lassen. Das lässt sich übertragen: Viele Familien, auch Freundschaften in meinem Bekanntenkreis, sind zum Schauplatz harter politischer Auseinandersetzungen geworden. In den Schulklassen meiner Kinder gibt es heranwachsende Neurechte: die sind weder total unsympathisch noch total doof, es gibt Freundschaften über die politischen Lager hinweg, und wenn nicht, muss man doch miteinander zurechtkommen. Aber wie? Und ab wann nicht? Die Themen liegen auf der Straße. Man muss nur den Mut haben, sie aufzunehmen.
Stattdessen in Dresden: Es beginnt mit einem schrill gekleideten (also per se lächerlichen) Chor enttäuschter / beleidigter / besorgter Bürger, die allesamt der Meinung sind: So kann es nicht weitergehen mit der Arbeitslosigkeit, mit den Flüchtlingen, der Überfremdung und überhaupt. Da kommt ein Schiff geschwommen, die Kapitänin (Frauke Petry?), blondes Gift in blauer Uniform, hält ein Buch in der Hand, dem sie ekstatisch und mit Stentorstimme religiöse Verehrung zollt. Es ist Das blaue Buch, das AfD-Texte, gruppiert nach Büchern, Kapiteln und Versen enthält. Daraus wird dann das ganze Stück über zitiert, nach dem Muster: „1. Buch Höcke, Kapitel 4, Vers 21“. Wie in der Bibel! Wie krass! – Nein, es ist nicht krass, nicht witzig, nicht kritisch. Dafür wird es ständig wiederholt. Man schämt sich für so viel Dämlichkeit.
Das Schiff sticht in See und, wunder was, die Konflikte, gegen die sich die Volksgemeinschaft als homogenes Kollektiv zusammengeschlossen hatte, kehren mit der Zeit in ihr wieder. Wieder gibt es Herrschende und Beherrschte – und es gibt diejenigen im Bauch des Schiffes, die die Drecksarbeit machen, die sie gleichzeitig den anderen wegnehmen. Aber dann geht’s doch gut: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Am Ende kehrt das Schiff, aufgerüstet mit einigen islamistischen Kämpfern, von denen sich die AfD nur farblich unterscheidet, nach Dresden zurück und übernimmt dort die Macht …
… also sie würde die Macht übernehmen, wenn da nicht die guten Menschen wären, die es vielleicht doch verhindern. In der zweiten Hälfte des Stücks schließt sich immer wieder der Vorhang vor dem Schiff; Dresdner Aktivist*innen treten vor die Bühne und erzählen von ihrer Arbeit gegen rechts. Pflichtschuldiger Applaus nach jedem Auftritt. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber die szenische Umsetzung war so peinlich, dass man sogar über den politischen Nutzen der Idee im Zweifel sein kann. Integriert man Laiendarsteller in ein Theaterstück, so gilt als simpelste Regel: Benehmt euch wie immer, sprecht, wie euch der Schnabel gewachsen ist! Aber hier rezitierten die Aktivistinnen auswendig gelernte Texte. Sie reproduzierten ein gescheiteltes Abziehbild von sich. All das wirkte unecht, schief geschnitten. Hat man den Initiativen damit einen Gefallen getan?
Der Abend war symptomatisch für die Unfähigkeit der Kunst, den neuen autoritären Bewegungen und Sehnsüchten gerecht zu werden. Stattdessen wird flach und schematisch eine Weltanschauung bebildert, wie in einem frühsozialistischen Thesenstück. Selbst als moralische Anstalt hat das Theater das nicht verdient.
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