Ein gepflegter Profit

Gesundheit Die Sorge um Alte und Kranke ist ein Markt mit hohen Renditen. Wo wollen Investoren einsparen?
Ausgabe 26/2019

Kapital sucht Rendite, egal wo, egal wie und egal womit sie erwirtschaftet wird. Es sucht sie so lange, bis es fündig wird, zunehmend etwa im Gesundheits- und Pflegesektor: immer mehr Finanzinvestoren entdecken die Branche als lukratives Investitionsfeld.

Die meisten der Firmenkäufe privater Beteiligungsfonds fanden 2017 im Gesundheitssektor statt, so belegen es die Zahlen des von der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichten Private Equity Monitor 2018. Gemessen an der Zahl der Arbeitnehmer*innen lag die Gesundheitsbranche mit Abstand auf Platz eins der Übernahmen. Die größten übernommenen Unternehmen im Pflegebereich beschäftigen bis zu 14.500 Menschen. Auch Arztpraxen geraten in den Fokus der Fonds. Sie sollen zu größeren Unternehmen zusammengeschlossen werden, um effizienter und profitabler zu werden.

Zwar sind bisher nur etwa fünf Prozent aller Pflegeheimplätze im Besitz von privaten Beteiligungsgesellschaften. Doch in Zukunft wird es vermutlich noch mehr Übernahmen geben, sodass dieser Anteil stark steigen könnte. Laut einer McKinsey-Umfrage sagen zwei von drei Private-Equity-Firmen, also Kapitalbeteiligungsgesellschaften, dass sie in Zukunft größere Beteiligungen im Gesundheitssektor planen.

Private Beteiligungsgesellschaften veröffentlichen ihre Renditezahlen gemeinhin nicht nach Sektoren aufgeschlüsselt. Dementsprechend kann nicht direkt überprüft werden, wie hoch die von Finanzinvestoren im Gesundheitssektor erzielten Renditen sind. Laut den Unternehmensberatern von McKinsey stellt der Gesundheitssektor jedoch eine „einmalige Gelegenheit“ für Investitionen dar. Es winke eine Rendite von 13 bis 15 Prozent. Der Gesundheitssektor „übertreffe“ damit alle anderen Sektoren, so McKinsey. Man kann mit alten und kranken Menschen also ein klasse Geschäft machen. Was als Werbung gedacht ist, stößt anderen sauer auf. Selbst Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kritisierte im Sommer 2018 die „zweistelligen Renditen“ der Finanzinvestoren im Gesundheitsbereich.

Unterbietungswettlauf

In Deutschland sind Übernahmen im Pflegebereich kaum mit Risiken für die Investoren verbunden. Die Pflegeleistungen werden zu großen Teilen durch Sozialversicherungsbeiträge finanziert. Gesundheitsminister Spahn drückte das in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt so aus: „Das unternehmerische Risiko der Anbieter im Pflegesektor ist in manchen Fragen relativ.“ Neben der Pflegeversicherung sind „entweder unterhaltspflichtige Angehörige oder der Sozialhilfeträger einstandspflichtig. Das Inkasso-Risiko ist also begrenzt“. Zudem altert die Gesellschaft in Deutschland immer weiter, der Staat wird zukünftig also kaum weniger Geld im Pflegebereich ausgeben. Die Folge: Die Private-Equity-Gesellschaften können mit sicheren Einnahmen rechnen.

So weit, so deprimierend. Doch entstehen die hohen Renditen von Finanzinvestoren nicht zwangsläufig dadurch, dass an Löhnen und der Pflegequalität gespart wird? Diese Frage kann bisher nur anekdotisch beantwortet werden. Laut Verdi werden nach der Übernahme durch Finanzinvestoren oft Tarifverträge gekündigt, mit dem Ziel, keine neuen Tarifverträge zu schließen. Gleichzeitig gibt es keine vergleichende Auswertung der Löhne von Angestellten in Pflegeeinrichtungen im Besitz von Finanzinvestoren und jenen im Besitz von öffentlichen Trägern.

Wissenschaftler*innen der Westfälischen Hochschule zufolge machen Personalkosten in der Pflege 70 Prozent der Gesamtkosten von Pflegeunternehmen aus. Über die Lohngestaltung sowie die Zahl und Qualifikation des eingesetzten Personals ergäben sich Renditespielräume. Für definitive Aussagen sei die Literaturlage jedoch zu dünn, betont Christoph Scheuplein, der an der entsprechenden Studie mitgewirkt hat. Es ist also schwer, einzuschätzen, ob die Profite der Investoren durch Lohnsenkungen erzielt werden. Bei der Qualität von Pflegeheimen konnten Vergleichsstudien bisher kaum Unterschiede zwischen Einrichtungen in privater und gemeinnütziger Hand feststellen. Die Gewerkschaft Verdi sagt jedoch, dass profitorientierte Träger, insbesondere die, hinter denen Finanzinvestoren stehen, einen immensen Wettbewerbsdruck ausübten.

Es ist ein Unterbietungswettlauf um die geringsten Eigenanteile der Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen entstanden. Sind die Eigenanteile in Pflegeeinrichtungen in öffentlicher Hand deutlich höher, sinkt ihre Auslastung und die Kosten ziehen stark an. Dementsprechend müssen auch gemeinnützige Einrichtungen sparen, um die Eigenanteile zu senken. Das führe laut Verdi dazu, dass der wirtschaftliche Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten und am Ende auch der pflegebedürftigen Menschen ausgetragen werde.

Gesundheitsminister Jens Spahn könnte die undurchsichtige Situation um die Profite sowie Sozialleistungen und Qualität von Pflegeheimen im Besitz privater Beteiligungsfonds aufklären. Im Sommer 2018 sagte er in einem Interview mit der Zeit, zweistellige Renditen im Pflegesektor entsprächen „nicht der Idee einer sozialen Pflegeversicherung“. „Man könnte versuchen, die Rendite zu begrenzen“. Später bekräftigte er diese Idee. Er halte eine Regulierung in Bereichen für denkbar, in denen „sehr hohe Gewinne fast nur durch vorsätzliches Absenken der Versorgungsqualität zustande kommen können“. Vorsorglich fügte er hinzu, das seien keine „Enteignungsfantasien“.

Tatsächlich ist das, was das Bundeskabinett jüngst beschlossen hat, längst noch keine Enteignung: Gewerkschaften und Arbeitgeber sollen einen Tarifvertrag aushandeln, den das Arbeitsministerium dann auf die gesamte Pflegebranche ausweiten würde. Einigen sich die Tarifpartner nicht, sieht der Gesetzesentwurf eine Erhöhung des Mindestlohns in der Pflege vor. Damit allein sind die negativen Auswirkungen der Übernahmen durch private Finanzinvestoren nicht gebannt; es drohen womöglich umso mehr Einsparungen bei den Personalzahlen und eine Intensivierung des negativen Wettbewerbsdrucks.

Spahn jedenfalls hatte 2018 angekündigt, sich „sehr genau anzuschauen, was auf dem Pflegemarkt passiert“. Sein Ministerium trifft gegenwärtig, auch nach mehrmaliger Nachfrage, keine Aussage über die Ergebnisse dieser Analyse. Gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Pflege aber wäre es wichtig, die Aktivitäten und Beteiligungen privater Finanzinvestoren endlich transparenter zu machen.

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