Selbst den besten Malern hat es immer schon Schwierigkeiten bereitet, Kindergesichter oder das Minenspiel von Halbwüchsigen treffend wiederzugeben, das ist bekannt. In der Literatur gibt es ähnliche Probleme, nur werden sie selten erwähnt. Wenn in Romanen oder in Biographien anstelle von Kindern Klischees auftreten, werden halt diese Klischees für Kinder gehalten, und selbst in Autobiographien werden die misslungenen, unwirklichen Selbstzeichnungen akzeptiert: scheinbar ist in den ersten Lebensjahren jeder ein unwissendes, liebes kleines Wesen. Weder unwissend, noch naiv sind die jugendlichen Figuren bei Géza Csáth. Auf deutsch war dieser ungarische Autor das erste Mal vor zehn Jahren zu lesen, der vielsagende Titel des Novellenbandes hieß Muttermord. Das Buch ist nicht etwa ein Jugendbuch, sondern eines, das Elemente der jugendlichen Psyche ernsthaft aufzuspüren sucht, und so ist auch der im vergangenen November erschienene Erzählungsband Csáths zu verstehen. Kinder, Halbwüchsige und alt gewordene Jugendliche bevölkern die Geschichten aus einer modernen Welt, einer Welt, die einem sehr bekannt vorkommt. Dabei wurde der ungarische Autor Geza Csath im "vorletzten" Jahrhundert geboren, 1888, in Subotica, einem Städtchen, das jetzt zu Serbien gehört. Er studierte Medizin, schon mit zweiundzwanzig Jahren hatte er ein Diplom als Neurologe, und er war einunddreißig, als von ihm neben Erzählungen, Novellen und Theaterstücken, neben zahlreichen Feuilletons und einem Buch über Musik auch ein medizinisches Fachbuch vorlag, eine Studie über den psychischen Mechanismus von Geisteskrankheiten. Mit einunddreißig nahm er sich das Leben, das er schon lang vorher durch seine Morphiumabhängigkeit zu ruinieren versuchte, als habe er den eigenen hellen Verstand nicht ertragen können, und als habe er in seinem kurzen, großen Leben genug an Einsichten bekommen (allein schon durch den Ersten Weltkrieg). Der neue Band mit dem schlichten Titel Erzählungen enthält 16 Texte, darunter einige kurze - böse - Märchen und sehr kurze Geschichten. Zum Beispiel: Als ein junger Herr von einer Reise zurückkehrt, erfährt er, dass sein Vater gestorben und für anatomische Zwecke der Universität übergeben worden sei. Das Skelett des Verstorbenen ist zwischenzeitlich sauber poliert und präpariert, ein wissenschaftlich verständlicher Körper sozusagen, den sich der Sohn aushändigen lässt, und mit dem Vater auf den Schultern verlässt er die Universität. Der erwachsene Sohn, der natürlich für immer ein Sohn bleibt, und der seine eigene Kindheit für immer mitführt, wobei der Vater ein Stück dieser Kindheit ausmacht. Das zeigen die 16 neuen Texte sehr deutlich: die ewig mitlaufende, nicht wieder abzuschüttelnde Kindheit, die ihre ursprünglichen Gesichtszüge und Merkmale für immer behält. In der Geschichte Imre Dénes geht es um einen Bauernjungen, der in seiner Selbstzufriedenheit (genauer: in seiner kleinlauten Zufriedenheit) den Gesprächen mit Altersgleichen zu entkommen sucht. Später, als junger Mann, verliebt er sich in eine Amerikanerin, in eine Frau, mit der er weder reden kann, noch reden muss. Durch die stumme Liebe, durch die nur eingebildete Liebesbeziehung wird er weltfremd und schließlich wahnsinnig. Solche Charakterstudien "kommentiert" Csáth in keinem Fall. Die Geschichten müssen für sich sprechen. Dann und wann erlauben sich seine Protagonisten einige nachdenkliche Sätze, scheinbar ohne Zusammenhang. "Ich glaube, Menschen leben so lange, wie sie von sich überzeugt sind, denn sobald sie sich in ihrem Urteil über die Welt und ihre Dinge irren, beginnen sie, die Lust zu verlieren, sie werden traurig, werden stumpf, gehen weg ... und sterben", sagt die Titelfigur in der Erzählung "Der kleine Józsi". Józsi wächst bei seiner Großmutter auf, er hat überaus viel Zeit, so dass er halt schöne Sätze spricht, und beim ersten Hinsehen könnte man meinen, eigentlich sei die Großmutter das Kind. József oder Joseph heißen mehrere Protagonisten in diesen Geschichten, und Joseph Brenner war der bürgerliche Name des Autors, bevor er sich Géza Csáth nannte. Manche Motive wiederholen sich in den Erzählungen. Man spürt den autobiographischen Hintergrund. Zu spüren ist vor allem aber das wirkliche Interesse des Autors an allen Figuren, unabhängig davon, ob er sie distanziert oder ironisch betrachtet. Mit seinen spröden, unprätentiösen, sehr lebendigen Sätzen schildert Csath auch die Umgebung der Personen, das Urbane, das Ländliche. Manchmal finden sich in den schlichten Beschreibungen auch "stilistische" Fallen. "Kurz nach Sonnenuntergang erreichte ich die Stadt. Mein Pferd überließ ich dem Diener des Herbergwirts, ich spazierte zum Fluss. Wie ein gehauchter Kuss auf einem Mädchengesicht, so schwand am hell strahlenden Blau des Himmels der orangefarbene Schleier des Abends." So liebliche Beschreibungen meint Csáth allerdings nicht ernst, zwei, drei Sätze später wird das Schwelgerische sicher eine Brüchigkeit zeigen, Csath nämlich war kein romantischer Maler der K, er war einer der wichtigsten Wegbereiter der modernen Literatur.
Géza Csáth: Erzählungen. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Verlag Brinkmann Bose, Berlin 1999, 128 S., 45,- DM
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