Inmitten der Diamantenen Aue im Norden Thüringens liegt die idyllische Kurstadt Bad Frankenhausen, die vor knapp 500 Jahren Ort eines blutigen Glaubenskampfes war. Noch heute erinnern Straßen- und Flurnamen wie »Schlachtberg« oder »Blutrinne« an ein Ereignis, das im Mai 1525 etwa 6.000 Menschen das Leben kostete. Eine der letzten Schlachten im Deutschen Bauernkrieg wurde hier ausgefochten und endete in einem martialischen Gemetzel und der Festnahme sowie späteren Hinrichtung des wortgewaltigen, radikalen Predigers und »Endzeitpropheten« Thomas Müntzer.
Oberhalb der Stadt thront weithin sichtbar ein zylindrischer Zweckbau, der Mitte der 1970er Jahre eigens für ein traditionelles Schlachtenpanorama errichtet wurde, das primär und ausschließlich jenem Ereignis im 16. Jahrhundert gewidmet sein sollte. Doch Werner Tübke, der 1976 den staatlichen Auftrag übernahm, orientierte von Anfang an auf eine rein künstlerische Lösung. Kein Geschichtstempel mit didaktisch illustrativen Vorgaben, sondern »hochqualifizierte Malerei« (Werner Tübke), erreicht durch absolute künstlerische Freiheit, war das Ziel.
Nach einem knapp 12-jährigen Schaffensprozess war sein Opus Magnum vollendet, mit dem er Geschichte beschrieb und schrieb – ein epochales Gemälde des Umbruchs vom Spätmittelalter zur Neuzeit, aber auch ein universales, zeitloses Welttheater, in dem Grundthemen der Menschheit die unendliche Wiederkehr des Gleichen versinnbildlichen.
Stil und Motivik des Bildes sind der dargestellten Zeit entlehnt. Das Formklima der Malerei stimmt und suggeriert, dass hier Geschichte objektiv, also in ihrem wirklichen Verlauf, wiedergegeben ist. Das dem bei einer derart persönlichen Bilderfindung nicht so sein kann, ist indes selbstverständlich. Aber der Künstler hat sich kundig gemacht, und zwar in einem Maß, dass ihm die Universität Leipzig im Dezember 1985 gar die Würde eines Ehrendoktors der Philosophie verlieh. Immer wieder stößt man auf Figuren und Motive, die man schon einmal gesehen zu haben meint. Und in der Tat: Nicht nur der malerische Stil, auch die übergroße Mehrheit der Akteure, ja ganze Szenen und Figurengruppen sind Zitate nach Bildquellen jener Epoche, der Wende vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit. Das hat nichts mit mangelnder Erfindungsgabe oder Schöpferkraft zu tun, sondern ist konzeptionelle Methode.
Stil- und Motivzitat geben der Erfindung des Künstlers vielmehr ein besonderes Maß an Authentizität. Worauf hätte Werner Tübke sich im Übrigen sonst auch stützen sollen? Die Bildwelt jener Zeit bot ihm die einzige Gewähr, den Geist, das Klima, ja die Wirklichkeit dieser Umbruchsphase deutscher und europäischer Geschichte tatsächlich glaubhaft einzufangen.
Die Figuren im Bild sind mithin historische Figuren, Kunstfiguren, die in eine neue Rolle gebracht sind, um die Geschichte noch einmal, und zwar ganz nach Maßgabe des Welt- und Geschichtsbildes von Werner Tübke, aber auch mit einem Höchstmaß an Wahrscheinlichkeit auf der Bühne der Kunst zur Aufführung zu bringen. Insbesondere auf die populäre Flugblattgrafik der Reformationszeit hat der Künstler dabei zurückgegriffen, das bevorzugte Medium handfester aktueller Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen religiösen, politischen und sozialen Kräften im frühen 16. Jahrhundert. Es sind oft sogar anonyme Holzschnitte, Bilder von künstlerisch vielfach minderer Qualität, verbunden mit einem Motto und kurzen Texten, die Tübke hier als Motivreservoir herangezogen hat. Das Einschmelzen unterschiedlichster Vorlagen in ein neues homogenes Bildganzes gehört zu den frappierendsten Leistungen dieses methodischen Konzeptes. Es gibt Einzelfälle, bei denen das Zitat sofort auch als solches erkannt werden will. In der Regel wird es dem Betrachter in seinem Ursprung zunächst jedoch verborgen bleiben. Erst die intensive Beschäftigung mit dem Bildvokabular jener Zeit wird erlauben, die Quelle des Motivs ausfindig zu machen und so die Bedeutung, die die einzelne Figur in der Vorlage hatte, in die Interpretation des Panoramagemäldes mit einzubeziehen. Das ist eine spannende und anspruchsvolle Aufgabe, die neben historischen vor allem auch kunsthistorische Kenntnisse verlangt. Der Gewinn indes ist unvergleichlich, gestattet solches Quellenstudium doch erst, die eigentliche, tiefere Bedeutungsebene dieser Bildwelt im Wechselspiel von Anschauung und Wissen genauer zu ergründen.
Somit bilden die kunsthistorische Betrachtung der zeitgeschichtlichen Quellen und deren künstlerischer Verarbeitung im Monumentalgemälde das Zentrum der Ausstellung im Panorama Museum. Ausgewählte historische Werke (Bilder und Texte) werden unter kunsthistorischen Gesichtspunkten betrachtet und in ihrer Bedeutung analysiert, wobei der zeithistorische Bezug der Werke in ihrer Zusammenschau und Verknüpfung die Möglichkeit zu einer authentischen Widerspiegelung der künstlerischen und geistigen Veränderungs-Prozesse (Bildwelt – Weltbild) an der Wende vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit bietet.
Bildnerisch wird der Akzent auf der Grafik liegen: Holzschnitte, Flugblätter, Flugschriften, Illustrationen, die Cranach-Werkstatt, die Kleinmeister, der Petrarca-Meister etc. Die Popularisierung der Grafik wird ebenso zur Darstellung kommen wie die Bedeutung der zeitgenössischen Medienrevolution.
Herausragende Kunstleistungen der Zeit werden im Besonderen diskutiert. Die unmittelbare Knüpfung des Projektes an das Bildprogramm von Werner Tübke gestattet zugleich, die Rezeption von Kunst und Geschichte als Mittel zum Verständnis der Gegenwart zu thematisieren. Die künstlerische Verarbeitung bei Werner Tübke bietet dank der widerspruchsreichen Ganzheit des Panorama-Gemäldes dazu Einblicke in eine gleichermaßen objektivierte (an den Quellen orientierte) wie persönliche (auch historisch-philosophische) Interpretation von Geschichte als Weltgericht, der zugleich die tiefe Überzeugung von einer zyklischen Wiederkehr des Gleichen als Kreislauf unterliegt.
Die aus den historischen Quellen gespeiste, wissenschaftlich fundierte „Zeitalter-Besichtigung“ mit ihren konzeptionellen Schwerpunkten wird auf zwei Etagen des Panorama Museums zu erleben sein. Neben dem Saal des Monumentalgemäldes findet die Hauptschau im darunter gelegenen Ausstellungssaal (350 qm, 100 m Wandfläche) statt.