Der Freitag: Erst die Oslo-Gruppe, nun das Institut Solidarische Moderne: Kaum hat Oskar Lafontaine seinen Rückzug aus der Bundespolitik angekündigt, geben sich rot-rot-grüne Netzwerke zu erkennen. Tanzen jetzt, wo der Kater fort ist, die bündnispolitischen Mäuse auf dem Tisch?
Katja Kipping: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Als wir Initiatorinnen und Initiatoren begonnen haben, uns über die Idee eines Instituts Solidarische Moderne zu verständigen, war die Entscheidung von Lafontaine überhaupt nicht absehbar. Zudem wäre es ja apolitisch, Kooperation davon abhängig zu machen, ob man eine einzelne Person akzeptabel findet. Diesen Vorwand hat mancher in der SPD in Stellung gebracht, unter den Sozialdemokraten jedoch, die an der Gr
g gebracht, unter den Sozialdemokraten jedoch, die an der Gründung des Instituts beteiligt waren, spielte das auch vorher schon keine Rolle.Was hat dann den Ausschlag gegeben, jetzt mit dem Projekt an die Öffentlichkeit zu gehen?Ganz einfach: Wir waren mit den Vorbereitungen fertig. Und auf was sollten wir noch warten? Uns eint ja die Idee, dass es längst Zeit für etwas wie das Institut Solidarische Moderne ist. Seit vergangenen Herbst befinden sich SPD, Grüne und Linkspartei in der Opposition. Je klarer sich der Kurs der schwarz-gelben Koalition abzeichnet, umso stärker wurde das Bedürfnis nach einer solchen Initiative – auch außerhalb der Parteien. Ich habe mit vielen Menschen aus Wissenschaft und sozialen Bewegung gesprochen, oft habe ich gehört: Das liegt in der Luft.Nun kommt die Nachricht von der Gründung des Instituts in einer Zeit, in der sich wieder verstärkt mit dem Thema Rot-Rot-Grün beschäftigt wird. Die Wahlen in Nordrhein-Westfalen werfen Schatten voraus. Ihre Initiative wird als Moment der parteipolitischen Annäherung interpretiert. Fühlen Sie sich richtig verstanden?Wichtig ist uns, Diskussionen zu ermöglichen, die das alltägliche Hamsterrad der Alltagspolitik verlassen. Dem Institut geht es nicht um die Erarbeitung von Koalitionsverträgen.Sondern?Es geht dem Institut darum, für politische Projekte Hegemonie zu gewinnen, etwa einer energiepolitischen Wende oder der Verankerung von sozialen Grundrechten in der Verfassung. Wir wollen alternative gesellschaftliche Stimmungen befördern. Ohne die wird ein echter Politikwechsel nicht möglich sein. Der Staat ist doch kein Fahrrad, auf das man sich so setzt und einfach in eine andere Richtung lenken kann.Was genau ist geplant?In den kommenden Wochen werden wir uns auf ein Arbeitsprogramm verständigen. Es wird Tagungen geben, auch eine Sommerschule ist geplant. Und das Institut wird sich mit Beiträgen in die öffentliche Debatte einmischen.Das erinnert an frühere parteiübergreifende Ansätze. Was lief bisher falsch beim Crossover.Uns geht es nicht um Abgrenzung von früheren Diskussionen, eher um die Erweiterung dieser Tradition. Bisher sind Parlamentarier oft beim Latte Macchiato unter sich geblieben – das Institut Solidarische Moderne hat von Anfang an Menschen aus Wissenschaft und sozialen Bewegungen einbezogen. Der zweite Unterschied ist, dass es weniger um das Verhältnis von SPD, Grünen und Linken geht. Wir wollen nicht jene öffentliche Diskussion verlängern, in der sich Parteileute gegenseitig Veränderungen abverlangen, sich ihre Wesensarten vorwerfen oder schon vorab darüber reden, was in gemeinsamen Bündnissen alles nicht gehen würde. Wir wollen mehr …... die Solidarische Moderne. Der Name des Instituts ist zugleich Programm? Was versteckt sich hinter dieser Formel?Die Idee eines Brückenschlags, der Alternative zum Neoliberalismus. In der industriellen Moderne hat die Linke vor allem auf Umverteilung gesetzt, es ging um Gleichheit. In der Postmoderne verlagerte sich der Schwerpunkt auf Selbstbestimmung, es ging um die Anerkennung von Differenz. Wir wollen die emanzipatorischen Ansätze beider Stränge miteinander versöhnen.Und die nicht-emanzipatorischen überwinden?Genau. Die industrielle Linke vernachlässigt die Probleme, die mit Wachstumslogik und Ressourcenverbrauch einhergehen. Sie ist stark auf Erwerbsarbeit orientiert und ignoriert dabei anderes – etwa Muße oder Reproduktionsarbeit. Hinter der sozialen Frage verschwinden oft auch andere gesellschaftliche Widersprüche, etwa die Unterdrückung von Frauen. Die postmoderne Linke hingegen ist sich oft der immensen Bedeutung der alten sozialen Frage nicht mehr bewusst. Das Problem von weltweiter Armut und Ausbeutung ist ja nicht deshalb verschwunden, weil sich ein paar Leute in den kapitalistischen Zentren heute besser selbst verwirklichen können.Das Institut Solidarische Moderne (ISM) sieht sich als Gegenmodell zum neoliberalen Think Tank Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die Abkürzungen mögen ähnlich sein, aber sind es auch die Organisationen?Wir können natürlich nicht auf Lobbyspenden der Industrie hoffen, wir leben von der Unterstützung der Mitglieder unseres Vereins. Man kann es vielleicht so sagen: Die einen haben die Millionen der Wirtschaft, wir arbeiten an den Ideen, die im Interesse von Millionen von Menschen sind.Als Denkfabrik macht ihr Institut etwas, dass die parteinahen Stiftungen auch tun. Warum eine eigene Gründung geben?Die Stiftungen werden jeweils einem Parteiumfeld zugerechnet. Wir wollen auch Leuten einen Aktionsort bieten, die sich für eine rot-rot-grüne Alternative engagieren wollen, ohne sich auf eine Partei festlegen zu müssen.In der Linken sind engere Kooperationen mit Grünen und SPD nicht unumstritten. Was sagen Sie den Kritikern in ihrer Partei, die Initiativen wie das Institut als Räderwerke der Anpassung verstehen?Ich kann gut verstehen, dass einer möglichen rot-rot-grünen Koalition Skepsis entgegengebracht wird. Die Bilanz der Linksregierungen hat gezeigt, wie gering die Spielräume sein können. Aber genau deshalb zielt die Arbeit des Instituts in erster Linie auf die Veränderung gesellschaftlicher Mehrheiten. Ohne Hegemonie für ein sozial-ökologisches Projekt wird es keinen Politikwechsel geben.