Über den linken Antisemitismus

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Dieter Graumann ist seit 2010 Präsident des Zentralsrats der Juden in Deutschland. Zuvor war er einige Jahre einer der beiden Vizepräsidenten. In dieser Eigenschaft hielt er 2006 in der Paulskirche die Gedenkrede zum 09. November. Liest man diesen Text im Kontext der derzeitigen Debatte um Günter Grass, wird deutlich, wie schwierig es ist, als Israel-Kritiker aufzutreten und sich gleichsam politisch links zu verorten, ohne sich dem Vorwurf des Antisemitismus entziehen zu können. Graumann sagte damals zur Linken:

"Aber inzwischen ist der Antisemitismus auch bei Teilen der Linken gemütlich untergeschlupft und hat dort eine hässliche Heimat und ein recht behagliches Zuhause gefunden. Nicht so direkt, nicht so grobschlächtig wie bei den Rechten. Und bestimmt auch nicht einfach damit gleichzusetzen. Aber doch unverkennbar und viel zu oft. Auch Linke nutzen gelegentlich hasserfüllte Israelkritik, die mit Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates verbunden wird, um faktisch antisemitische Akzente scheinbar politisch korrekt zu transportieren – zumindest auf fahrlässige, jedenfalls verantwortungslose Weise."

Das Erstarken des linken Antisemitismus sieht Graumann im Jahr 1967 mit dem Ausgang des Sechstagekrieges als der mutmaßliche David, nämlich Israel, sich zum Goliath gewandelt hätte.

"Argumentiert wurde damals vielfach: 'Wenn Springer für Israel ist, dann müssen wir einfach gegen Israel sein.' Das ging dann ganz schnell. Schon Ende der sechziger Jahre nahmen etwa Joschka Fischer und andere, sie mögen daran heute nicht mehr so schrecklich gerne erinnert werden, an einer PLO-Konferenz in Algier teil, wo die Vernichtung Israels gefordert wurde. Und Ulrike Meinhof etwa rühmte 1972 den Anschlag gegen die israelische Olympiamannschaft sogar ausdrücklich als mutige Heldentat und bezeichnete Mosche Dajan als „jüdischen Himmler“. Ein Muster, das dann immer wiederkehren sollte, bis heute. Aber springen wir doch lieber gleich in die Gegenwart und fragen wir: Wie ist das heute? Leider auch nicht immer so viel besser."

Die Gegenwart, also 2006, verkörperte für Graumann insbesondere der aus der SPD ausgetretene Politiker Oskar Lafontaine. Über ihn und seine neue Partei sagte er:

"Die Linkspartei etwa, und namentlich ihr Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine, praktizieren zwanghaft und krankhaft eine konsequente Linie von Feindseligkeit und Hass gegenüber dem jüdischen Staat. Schneidende, boshafte Kritik an Israel wird dort immer wieder mit fast schon freundlicher Fürsorge für das kriminelle Regime in Teheran verbunden. Lafontaine will sogar schon lange nach Teheran reisen. Gute Reise! Er wird sich dort ausgesprochen wohl fühlen: Zu Gast bei Freunden. Aber besonders hinterhältig wird es, wenn Lafontaine perfide den Anschein von Ausgewogenheit einfordert. Die sieht dann so aus: Der Iran möge ruhig Atomwaffen besitzen, solange Israel, besser auch noch die USA, nicht auf solche verzichteten. Eine Argumentation, die verantwortungslos, töricht und bösartig ist, wobei nicht klar ist, was denn davon überwiegt. Oder wenn er scheinheilig fordert, die Hisbollah solle zwar abrüsten, aber Israel müsse das dann gleichgewichtig auch tun. Das ist ein bisschen so, als würde man fordern, die Mafia und Verbrecherbanden in Deutschland sollten schon bitteschön ihre Waffen abgeben, aber doch nur, wenn auch die Polizei sich selbst öffentlich entwaffne."

Die Worte sind nicht gerade frei von Polemik, zeigen aber die bestehenden Ängste, wenn Teheran ins Spiel kommt. Zu Grass' Gedicht sagte Graumann: "Ich bin schockiert." Statt eines Gedichtes hätte er "mehr ein Hasspamphlet", ein "Vermächtnis von Verdrehungen und Verirrungen" wahrgenommen.

Auch hier in der "irgendwie linken" FC zeigt sich diese Gespaltenheit in den Kommentaren. Brücken zu bauen, die eine solidarische Israel-Kritik zulassen, scheint nicht möglich.

Link zur Rede Graumanns:

honestlyconcerned.info/bin/articles.cgi?ID=PR11506&Category=pr&Subcategory=16

Nachtrag: Der Link funktioniert leider nicht.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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