Von Wurst und Brot

Ernährungskultur Jedes Jahr feiern die Medien weitere Küchensterne und die TV-Köche senden unentwegt. Der Ernährungsalltag zu Hause, in der Kantine und im Restaurant ernüchtert jedoch.

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Von Wurst und Brot

Einige Überlegungen zur Zukunft des Landes der Würste und Brote. - Eine höchst kulturwissenschaftliche Betrachtung des Verbrauchs

Meine Großmutter pflegte immer zu sagen, „Schneid´ das Brot nicht zu dick, sonst schmeckt dir die Wurst nicht.“ Sie dachte daran und wusste es schon intuitiv, der Aufstrich oder Belag muss eine Proportion zur Basis haben. Das Verhältnis dieses Kalküls war früher durch Mangel bestimmt, heute eher durch Neureichtum und, eventuell sogar gleichzeitig, durch Gedankenlosigkeit. Was sind davon die näheren und weiteren Auswirkungen?

Ob an kalten Buffets oder zu Hause, ob in der Werbung oder am Tisch der Stammwirtschaft, der Belag türmt sich. Möglichst in der Form, die Christoph Lichtenberg, jener Physiker und Philosoph, das gelehrte bucklicht Männlein, als „Haufen“ taxiert hätte.

Ist es in der Gastronomie einmal anders, dann befinden wir uns entweder nicht am Ort der Sättigungserwartung, sondern in einem sogenannt besseren Restaurant, oder aber, es gibt kein Brot und keine Wurst in einem solchen Lokal. - Nein, es gibt zumindest etwas, das wie Brot aussieht, allerdings nur noch ungern ausgereicht wird, meist nur auf besondere Nachfrage noch einmal zur Vermehrung kommt, weil es mittlerweile längst ein Faktor im knapper kalkulierten Kostenplan der Gaststätte ist, weil es Massenware aus der Fabrik ist, weil es weiß ist und dann nicht lange genug geknetet wurde, weil es nach „nüscht“ schmeckt und nie im richtigen Ofen ausbacken durfte.

Brot

Brot ist teuer geworden. Jedenfalls jenes Brot, das nicht künstlich aussieht und nach was schmeckt.

Brot ist teuer geworden, selbst das Billige von der Ladenkette um die Ecke. Trotzdem kaufen wir Kunden es an der Theke vor dem Supermarkt, reißen es drinnen aus den Regalen, mit der Aufschrift „Bauernbrot“, „Hessenbrot“, „Landbrot“, wie das sprichwörtliche, „geschnittene Brot“ und lieben besonders die Brötchen, gerade die dicken, aufgeblasenen, luftigen, die nach was aussehen, so wie wir, die lieben Kunden.

Diese „Wecken“ und „Semmeln“, diese „Schribben“ und „Röggla“, kommen gleich im Zehnerpack aus der Megatüte, auch wenn sie nicht genug Zeit hatten zu gehen und ihrem Aufgang künstlich, statt handwerklich, nachgeholfen wurde. Kürzlich noch tiefgefroren, nun innen hohl wie die sprichwörtliche, taube Nuss, landen sie aufgebacken in der Tüte, häufig mit Körner- und Spelzenzuschlag, weil die Verdauung bei mittlerweile jedem dritten Bundesbürger nicht mehr ohne Zusätze funktioniert. - In Großbritannien steht für alle diese Mühen wenigstens ein ausreichendes Vokabular zu Verfügung. Ganz unverschleiert heißt es da „coloured, enriched, vitaminized“.

Wenn es um die Wurst geht

Die nackte Wurst, mit Curry dürfen Sie immer noch besingen. Das schiere Fleisch hingegen, es ist billiger und billiger geworden. Das ist ein ökonomisches Verhältnis mit tiefgehenden kulturellen und biologischen Auswirkungen. - Unsere Hautfarbe, der Teint unserer Gesichter verändert sich allmählich, unter der Einwirkung solcher Nahrung, nach Schweinchenrosa hin und wir müssen dann schon wieder Aufwand treiben, die natürliche Schönheit wenigstens zum Schein der Öffentlichkeit zu restaurieren. Die Leberkäs-Ökonomie hat Auswirkungen auf unser textiles und kosmetisches Konsumverhalten. Sie kostet, auch da, wo wir gerade nicht kalkulieren.

Der Salatteller

Eine neumodische Konsequenz und passend dazu, großer Selbstbetrug bei übermäßig schlechtem Gewissen, ist der immer bliebter werdende, "große Salatteller", einmal nach „Art des Hauses“, in praktisch allen Sprachen der Welt, also auch nach Art des „Chefs“ oder, immer noch, nach „Hausfrauenart“.

Er täuscht auf dem Teller ein Volumen vor, hinter dem die Einen freudig bewusst glauben dürfen, sie seien gesund im Geiste und lieb zu ihrem Körper, die Anderen ärgern sich, weil sich selten sättigende Kalorien im Salat-Hügel verbergen. Die wandern dafür in immer üppigere Desserts, diverse alkoholische Getränke, vor, während, und nach den Gängen, und in fast schon notorisch schlechte Salat-Dressings.

Versteckspiele mit der Nahrung sind ein altes Kulturmuster, wie schon die Traditionen des „falschen Hasen“ und des „halbe Hahns“ beweisen. - Es lebe das sättigende Profiterole!

Kaum ein Mensch geht wirklich bewusst einkaufen, kaum einer begreift die Qual der Wahl.

Utopische Verbraucherstrategien

Wo also, böte sich eine Strategie an, mit einfachen Dingen wieder Geschmack auf die Zunge und Lust am Essen zu bekommen. Specken Sie ab! - Nicht bei den Kalorien, das geht so, wie es ihnen industriell und publizistisch vorgeschrieben wird und in jedem dritten Verbraucherblatt und jeder zweiten Frauenzeitschrift, aber auch von der grünen Vebraucherberaterin im Ministerrang a.D., in der Qualitätspresse von heute, vorzüglich in den Magazin- und Lebensstilteilen von elfengleichen Beraterinnen und Prominenten zu mehreren Dutzenden, groß vorbeschrieben wird , sowieso nicht.

Achten sie auf das Verhältnis von Stullenscheibe und Belag, von Brötchengröße zum Aufstrich. Denn das Verhältnis von rauhen Mengen Rohkost, die sie sich, letztlich doch nur aus lauter Frust über und neben den nicht sättigenden Grundlagen, Brotscheibe, Pfannkuchen, Waffeln, Putenfleischstreifen, Lachsschnitten, servieren lassen, es stimmt schon lange nicht mehr.

Vergessen sie den Käseigel und die Pizzastückchen in Tapas-Format, bekämpfen sie die ewig neu mit Crème frâiche oder Sahne eingerührten Instant-Suppen. Lassen Sie sich nicht Kresse, Petersil oder neuerdings Bärlauch einstreuen, die meist nur fürs Auge aber nicht für den Inhalt verantwortlich sind und sie blind machen. Lassen sie konsequent alles zurückgehen, was auf dem Teller als „Berg“ ankommt.

Werben sie bei dem Wirt ihres Vertrauens für eine übersichtliche Speisekarte, die nur wenige Punkte kennt und ihnen abverlangt, zu essen was täglich auf den Teller, bzw. vorher, als Empfehlung, auf den Anschrieb kommt. Dann müssen sie nie mehr auswählen!

Das macht aber nichts, weil sie das sowieso meist nicht können, weil sie das nicht wissen können, weil sie nie gelernt haben worauf es wirklich ankommt. Es wird ihnen nur immer wieder suggeriert und vorgespielt, wie beim Wein oder bei der immer wieder so genannten, reichhaltigen Dessertauswahl.

Verlangen sie Qualität, aber nicht Vielfalt. Diese Dinge schließen sich in 99 von 100 Fällen gegenseitig völlig aus! Vor allem dann, wenn es auch darum geht, nicht nach dem Motto zu Essen und zu Leben, „Was kostet die Welt“. Sie machen nur die Leute reich, die sich für den Betrug an ihnen überlegt haben, Verpackungen und Präsentationen zu verkaufen, sie mit der allfällig billigen Menge zu erschlagen und ihnen, ob in Supermarktregalen oder auf Speisekarten, was voll und abwechslungsreich wirkt, von Flensburg bis Garmisch, die gleichen Produkte in Variationen auszupreisen.

Deutschland kennt vielleicht 300 Brotsorten und 3000 unterschiedliche Arten von Würsten. Aber seien sie mit sich selbst ehrlich: Schon eine gute, wirklich nach Fleisch schmeckende Fleischwurst ist mittlerweile ein rein zufälliges Geschenk des Fleischers ihres Vertrauens.

Lieber vertrauen sie aber auf den Schinken, der so schmecken soll wie der im Urlaub, damals in Spanien oder Italien. Obwohl sie doch wissen müssten, dass so viele Schweinehinterbacken nicht über so viel Zeit und unter so langer Reife in den Regionen gedeihen können, dass sie in Berlin oder Frankfurt am Main darauf rechnen könnten eine solche Spezialität zu erwerben.

Währenddessen lassen sie den Nährstand hierzulande weiter für den Schnitzelteller schuften und die Milch so produzieren, dass sie sie als „Frischmilch“ im Regal zwar finden, aber schon der Begriff „länger haltbar“ sie von dem Gedanken abbringen müsste, es könne sich hierbei tatsächlich um Frischware handeln.

Was hat das Alles mit Ökonomie und Philosophie zu tun? Ganz einfach: Sie sind der Adressat eines ewigen, rund um die Uhr laufenden Wettbewerbs, der ihnen erklärt, dass ein Leben ohne „Parmigiano“, „Serrano“, „Parma“ und „Grueyere“ kein Leben sein kann. Die Billigmarmelade vom „Feinkost Käfer“ verwechseln sie eh mit selbst gekochter und handbefüllter Ware. Das mit gehärtetem Fett schmelzzart gemachte Deluxe-Eis von Möwenpick halten sie für Sterne-Qualität.

Selbstverständlich stecken in einem Mac-Burger nur hochwertigste Zutaten und mit Tropenwald-Regionen-Kraftfutter gezogene argentinische Rinder sorgen für ihr kulinarisches Hochgefühl, nur weil sie es wissen und es auf der Karte steht.

Wenn es ihnen niemand sagen würde, bewegten sie sich auf dem Niveau der Curry-Wurst und äßen jeden Tag Pommes, zwischendurch ein paar Bärchen und viel, viel „Schoki“ in Riegel, Tafel und Crème-Form, gegen den alltäglichen Frust. Da nagle einmal wenigstens, jemand einen Pudding an die Wand.

Liebe Grüße

Christoph Leusch

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