Nationalpark und Welterbe YASUNI-Ecuador

YASUNI 2 Beitrag über die Zerstörung eines der reichsten Ökosysteme der Erde und seine geopolitischen Hintergründe in drei Folgen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://ens-newswire.com/wp-content/uploads/2013/10/20131009_block31.jpg

Foto: accion ecologica, Verlegung von Rohren fuer Pipeline im Yasuni-Park

Seit dem 15. August 2013 ist der „Fall Yasuni“ nicht nur ins nationale ecuadorianische Blickfeld gerückt, sondern schlägt auch international hohe Wellen. An diesem Tage erklärte der ecuadorianische Präsident Rafael Correa den Rücktritt von der sogenannten „Yasuni-ITT-Initiative“, die die Unverletzbarkeit des vielleicht reichsten Ökosystems der Erde sicherstellen sollte.

Folge 2

Historische und geopolitische Hintergründe der derzeitigen Auseinandersetzungen um den Nationalpark Yasuni

Die drei Präsidenten von Venezuela, Chávez (heute Maduro), von Bolivien, Morales und von Ecuador, Correa sehen sich als Vollstrecker der Mission der Helden der lateinamerikanischen Unabhängigkeit vom spanischen Joch vor etwa 190 Jahren. Diese waren Miranda, Bolivar, Sucre, San Martin u.v.a.m., die zwar von den Ideen der Aufklärung angetrieben die Unabhängigkeit von der spanischen Krone erkämpften, jedoch die sozialen Verhältnisse und die Stellung der katholischen Kirche als Unterdrückungsinstanz gegenüber den indianischen Völkern nicht antasteten. In den drei genannten Ländern versuchen ihre Präsidenten nun mit einigem Erfolg, die eigentliche Revolution voranzutreiben. Das bedeutet die Herrschaft der nationalen Oligarchien, die seit der Unabhängigkeit die natürlichen und menschlichen Ressourcen der Länder ausbeuteten, mithilfe des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ und der „Bürgerrevolution“ abzuschaffen. Das Volk soll nach dem Willen ihrer Führer der wahre Eigentümer der nationalen Reichtümer werden. Auf europäische Verhältnisse übertragen würde das bedeuten, dass die Herrschaft der politisch/ökonomischen Oligarchien in den europaeischen Staaten gebrochen würde und stattdessen die Bürger-Macht an ihre Stelle träte. Man kann sich vorstellen, welche soziale Sprengkraft diese Bestrebungen innerhalb der lateinamerikanischen Gesellschaften haben. Allerdings muss man Zweifel an der tatsächlichen zukünftigen „Volkssouveränität“ haben. In den drei Ländern wachsen Staatsbürokratien heran, die ähnlich wie früher die nationalen Oligarchien das politische und wirtschaftliche Heft des Handelns fest in der Hand halten.

Was will Correa in den folgenden Jahren seiner Amtszeit erreichen? Das primäre ökonomische Ziel ist die Entwicklung der Industrie und des Dienstleistungssektors, um von der einseitigen Ausrichtung als Rohstofflieferant wegzukommen. Das Öl als wichtigstes Ausfuhrgut ist zum überwiegenden Teil schon für Rückzahlungen an China, das jetzt der „allmächtige“ Kreditgeber des Landes geworden ist, vergeben. Als Nächstes soll Erziehung und Forschung gefördert werden, um die Entwicklung der Industrie und Dienstleistungen entsprechend begleiten zu können. Und schließlich soll die Dezentralisierung des Landes angegangen werden, d. h., die Allmacht der zentralen staatlichen Verwaltung soll in Zukunft auf viele Schultern umgelegt werden, hin zu den Provinzen und Kantonen, damit sich der Bürger den lokalen Staatsapparat „aneignen“ kann.

Die Unwägbarkeiten der ecuadorianischen Politik, geprägt durch häufige Regierungsumstürze und dem Wechsel von Militärdiktaturen und zivilen Regierungen, hatten sich seit der ersten Präsidentschaft von Rafael Correa im Jahre 2006 gründlich geändert. Correa hatte durch eine verfassungsgebende Versammlung erreicht, die Verfassung insoweit zu ändern, dass eine unmittelbare zweite Wiederwahl für Präsidenten möglich wurde und auch die Torpedierung von Regierungsvorhaben durch das Parlament erschwert wurde. Nach der Aufkündigung der Zusammenarbeit Ecuadors mit dem Weltwährungsfonds und der Weltbank im Jahre 2007 baute Correa die bilaterale Zusammenarbeit mit China als größtem Geldgeber ständig weiter aus bis zu einem gegenwärtig äußerst gewagten Abhängigkeitsgrad.

Historisches Erbe von Ecuador

Der Unabhängigkeitskampf der lateinamerikanischen Staaten in den ersten 25 Jahren des 19ten Jahrhunderts wurde vor allem von den Kreolen vorangetrieben, den in den Kolonien geborenen weißen Nachkommen der Conquistadores. Sie hatten die Möglichkeit, im Alten Kontinent zu studieren und sich mit dem Gedankengut der Aufklärung bekannt zu machen. Ihr Hauptmotiv war das Erreichen der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit von der spanischen Krone. Sie bildeten die neue nationale Oligarchie. Die politischen Ziele der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren hauptsächlich auf ihre eigene soziale Schicht als Elite ihrer Länder gemünzt, weniger auf die Gesellschaft als Ganze. Bis zum Beginn des 20ten Jahrhundert war die Entwicklung in den einzelnen jungen unabhängigen Staaten insgesamt gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Konservativen innerhalb der nationalen Oligarchien. Während die Liberalen die Rolle der katholischen Kirche als hauptsächlichen Akteur der Nationenbildung und ‚Zivilisierung der Indios‘ entscheidend beschneiden wollten und eine stärkere Integration der verschiedenen sozialen Schichten in Staat und Gesellschaft anstrebten, war das primäre Ziel der Konservativen, die Nation in ihrer Herrschaftsstruktur analog zur feudalen Kolonialstruktur zu belassen und die natürlichen und menschlichen Reichtümer für sich selbst zu monopolisieren.

Beflügelnd für den Unabhängigkeitskampf der lateinamerikanischen Länder wirkte auch die Tatsache, dass bereits mit den USA und Haiti zwei Staaten auf amerikanischen Boden die Unabhängigkeit erreicht hatten: die USA von England im Juli 1776 und Haiti von Frankreich im Januar 1804. Was die Bedeutung der Menschenrechte anbelangt, so war Alexander von Humboldt, der seine Amerikareise zwischen 1799 und 1804 im Alter von 30 Jahren angetreten hatte, einer der Ersten, der aufgrund eigener Anschauung die Verwirklichung der Menschenrechte ernst nahm und sich für die Beendigung des spanischen Kolonialsystems und der Sklaverei einsetzte. Humboldt übte nicht nur einen entscheidenden Einfluss auf die „Libertadores“ Francisco de Miranda und Simon Bolivar in Venezuela aus, sondern auf eine gesamte Generation von lateinamerikanischen Liberalen der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts. Zweifelsohne sind Humboldt, Haiti und die USA aus den geistigen Ursprüngen der neuen unabhängigen Länder nicht hinwegzudenken.

Geopolitische Hintergründe

Um die heutige Situation Ecuadors und die Politik ihres Präsidenten Correa zu verstehen, ist es unerlässlich, die Rolle der USA für Lateinamerika und ihren Aufstieg zur Weltmacht (Imperium) im Blick zu haben. Im Verlauf des 19ten Jahrhunderts findet in den USA eine beispiellose kapitalistische Entwicklung statt, die den vorwiegend kleinen und mittleren protestantischen, puritanischen Unternehmern und Landwirten zu verdanken ist. In diesem Zusammenhang ist die Erinnerung an Benjamin Franklin wichtig, einen der Väter der Unabhängigkeitserklärung der USA, der den Geist des Kapitalismus wie folgt beschrieb: Zuerst ist Zeit Geld, das heißt, Reichtum gründet auf gewissenhafter Arbeit und auf Kredit. Letzterer richtig angewendet schafft Geld, schafft Reichtum durch kontinuierliche Kapitalakkumulation. Zu alldem gehört die rechte Arbeits- und Zahlungsmoral: Fleiß, Mäßigung, Pünktlichkeit bei der Arbeit und der Rückzahlung des Kredits, Gerechtigkeit, Sorgfältigkeit und vor allem Ehrlichkeit. Das fördert den materiellen Fortschritt im Lande, der auf ethischem, von Gott gewolltem Handeln beruht. (siehe auch M. Weber, Protestantische Ethik und Geist des Kapitalismus)

Im katholisch geprägten Lateinamerika herrschten dagegen in dieser Zeit weiterhin feudale Produktionsverhältnisse, die auf der Produktion und dem Export von mineralischen - Gold und Silber - sowie pflanzlichen Rohstoffen, vor allem Zucker, gründeten.

Was die politische und wirtschaftliche Situation Lateinamerikas anbelangt, so sind alle Staaten seit Eintritt der USA in die imperiale Rolle zu deren kontrolliertem ‚Hinterhof‘ geworden. Das ‚Imperium‘ konstituierte sich 1898 nach dem gewonnenen Krieg gegen Spanien in Kuba und Puerto Rico und besonders nach Beendigung des Panama-Kanalbaus 1914. Das erlöste die US-Schifffahrt von der Ost- zur Westküste von der langwierigen, gefahrvollen und kostspieligen Fahrt ums Kap Horn und trug zur raschen Entwicklung Kaliforniens bei. Die USA hatten sich im 19ten Jahrhundert, in dem die unabhängigen lateinamerikanischen Staaten von unablässigen internen Konflikten zwischen liberalen und konservativen Oligarchien heimgesucht wurden, zu einem stabilen politischen und wirtschaftlichen kapitalistischen System herausgebildet, das mit Erfolg daranging, dem Rest der Welt notfalls mit Gewalt seinen Stempel aufzudrücken. Der ökonomische Erfolg dieses effizienten Systems, das durch Vertreibung und Genozid der indianischen Völker, der Ausbeutung von Sklaven aus Afrika und der Anwendung gut ausgebildeter Arbeitskräfte aus aller Welt möglich wurde, führte zu einem raschen Anwachsen des Prokopfeinkommens bis um das Hundertfache des Niveaus in Lateinamerika. Nach dem Kanalbau wurde Lateinamerika als Rohstofflieferant zur wehrlosen Beute der USA, eine Situation, die bis zu den 50er Jahren des 20ten Jahrhunderts bei den Armen und den Mittelschichten Lateinamerikas tief eingegrabene Ressentiments aufgestaut hatte. Für diese beiden Bevölkerungsgruppen waren die nationalen Oligarchien der ‚innere Feind‘ und die „gringos“, die USA, der ‚äußere Feind‘. Die revolutionären freiheitlichen Bewegungen des letzten Jahrhunderts leiten sich von dieser Frontstellung ab: Auf der einen Seite das Volk mit seinen aus der Mittelschicht hervorgehenden Eliten. Auf der anderen Seite die nationalen Oligarchien, mit dem Militär als Herrschaftsinstrument, und die USA, die im Verein mit den Oligarchien die Ausbeutungsstrukturen permanent zu vertiefen und zu verewigen suchen.

So erklären sich die politischen Veränderungen des lateinamerikanischen Subkontinents, die seit der kubanischen Revolution 1959 am Wirken sind. Die Bildung der ALBA-Staatengemeinschaft ist im Zusammenhang des Emanzipationsprozesses des Subkontinents gegenüber der Supermacht USA zu sehen, die die Internationalen Finanzinstitutionen wie den Weltwährungsfonds, die Weltbank und die Regionalbanken als ihre ureigensten Herrschaftsinstrumente begreifen. Präsident Correa sieht sich wie seinerzeit Chávez in Venezuela, Morales in Bolivien und Ortega in Nicaragua in der Mission, innenpolitisch die

nationale Oligarchie von der Herrschaft zu verdrängen und außenpolitisch die Unabhängigkeit von den USA, vom Imperium, zu erlangen. All das wird dem ecuadorianischen Volk unter der Parole der „revolución ciudadana“, der Bürger-Revolution, als Weg aus der Armut und in die Freiheit von inneren und äußeren Feinden erklärt. Und mehr als die Hälfte seiner Landsleute folgen ihm auf diesem Weg.

Seit Präsident Correa an der Macht ist, haben sich die Kreditpartner von Ecuador und die Spielregeln der Projektvergabe gewaltig verschoben. Jetzt hat China als allmächtiger Kreditgeber die Rolle der USA und der Internationalen Finanzinstitutionen übernommen und schreibt vor, dass ausschließlich chinesische Firmen die Ausführung der von China finanzierten staatlichen Entwicklungsprogramme übernehmen. Die westlichen Firmen haben in Ecuador bis ins Jahr 2006 bei Direktinvestitionen stets mit Vorsicht agiert, da sie nie wussten, ob die staatlichen Behörden Schwierigkeiten machen würden oder nicht. Um Geschäfte zu machen, waren sie gezwungen, ihre Partner, die Regierungsbeamten wie auch die einheimischen Partnerfirmen, zu schmieren. Ansonsten hätten sie keine Großaufträge an Land ziehen können. Über diese Korruptionsgeschäfte ist u. a. auch Siemens mit seinen „schwarzen Kassen“ gestolpert. Bei der Auftragsvergabe von über die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank BID finanzierten Projekten stand Siemens stets in vorderster Linie, da die schwarze Siemens-Kasse sozusagen ein Sack ohne Boden war. Diese goldenen Zeiten bei Siemens sind vorbei, da Correa, aber auch die Tätigkeit innerdeutscher Aufsichtsbehörden, das Geschäft in Ecuador grundlegend erschwert hat. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Haltung des deutschen Schriftstellers Martin Walser, der 2008 die Siemensstrategie mit den schwarzen Kassen zur Bestechung nationaler Entscheidungsträger verteidigt hat: „Unsere durch Korruption an Land gezogenen Großprojekte im Ausland haben auch Arbeitsplätze in Deutschland gesichert.“

Nachwort zum ecuadorianischen Amazonasgebiet:

Ecuador hat etwa die Größe der alten Bundesrepublik. Sein Amazonasgebiet macht ca. 47% der Gesamtoberfläche aus, d. h. mehr als 100.000 km2. Zu Beginn der 60er Jahre des 20ten Jh. lag die Bevölkerungszahl bei ungefähr 75.000, von denen mindestens 90% Angehörige der indigenen Völker waren. Zu dieser Zeit war das gesamte Gebiet bis auf ganz wenige Ausnahmen ein geschlossenes Waldgebiet. Seit Entdeckung der Erdölvorkommen 1967 begannen die Vorbereitungen zu ihrer Ausbeutung (seit 1972/73) mit der Schaffung von notwendigen Infrastrukturen: Eine 450 km lange Pipeline über die Anden bis an die Pazifikküste und ein Straßennetz, das den Urwald zersägte und nicht nur das ungehinderte Eindringen der Petroindustrie und die Entstehung erster Städte ermöglichte, sondern auch ein ameisenhaftes Eindringen von armen Kleinbauern aus anderen Teilen des Landes. Dort hatte die kurz zuvor durchgeführte Landreform durch die Militärdiktaturen zur massenhaften Freisetzung von ehemaligen „Leibeigenen“ geführt, die ihr Lebensglück in einem Ökosystem zu suchen begannen, das ihnen bis dahin völlig fremd war. Das Straßennetz begünstigte ebenfalls das Eindringen von Holzunternehmen, die jährlich etwa 189.000 ha Wald dem Erdboden gleichmachen. Das entspricht prozentual der zweithöchsten Abholzquote weltweit. Die Einwohnerzahl dürfte inzwischen bei 800.000 liegen, wobei die indigenen Völker in ihrem ursprünglichen Siedlungsgebiet heute zur Gruppe der Ausgegrenzten und Ärmsten des Landes zählen. (siehe auch C. Larrea, A.I. Larrea, A.L. Bravo: Petróleo, Sustentabilidad y Desarrollo en la Amazonía del Ecuador) Neben Yasuni gibt es noch zwei weitere herausragende Ökosysteme: Das „Cuyabeño-Gebiet“ im Norden an der Grenze zu Kolumbien, das jedoch schon weitgehend durch die Ölförderung zerstört wurde, sowie die „Cordillera del Condor“, ein mit Peru geteiltes Gebiet, das seit jeher Zankapfel zwischen beiden Ländern war und regelmäßig zur Ursache kriegerischer Anlässe geriet. Die „Cordillera del Condor“ weist eine ähnliche genetische Diversität wie Yasuni aus. Darüber hinaus ist die Cordillera eine mineralische Schatzkammer voll mit Gold- Kupfer- und Uranreserven, die jetzt nach dem endgültigen Friedensvertrag zwischen Peru und Ecuador von beiden Ländern geplündert werden soll. Auf peruanischer Seite durch westliche Industriekonsortien, auf ecuadorianischer Seite hauptsächlich durch China. Die dort beheimateten indigenen Völker der Jibaro-Sprachgruppe: Shuar (einstmals gefürchtete Schrumpfkkopfindianer) und Ashuar auf ecadorianischer Seite sowie Aguaruna und Huambisa auf peruanischer Seite leisten gegen die Zerstörung ihrer Heimat erbitterten Widerstand, stehen dabei aber ebenso wie die Indianervölker im Yasuni-Park auf verlorenem Posten. Die unstillbare Gier der nationalen Eliten nach mineralischen Quellen des Reichtums, getarnt als „Staatsraison“, macht keinen Halt vor unveräußerlichen Rechten von nationalen Minderheiten und den Rechten der Natur auf nachhaltige Nutzung.

Ende der 2. Folge

LG aus Panama, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden