Sexismus in der Politik

Der Fall Brüderle Lange Zeit waren antisexistische Initiativen "linksfeministisches Gedöns". Machos genießen bisweilen ein warmes Nest. Zwei Journalistinnen stechen nun in die Wunde

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So schnell kann es gehen. Eben noch der nuschelnde Publikumsliebling aus der populären "Heuteshow" im ZDF, nun der alte Lustmolch aus einer noch älteren Ära. So hat sich Rainer Brüderle (FDP) den Auftakt seiner "Spitzenmännlichkeit" sicher nicht vorgestellt.

Eine stern-Reporterin, Laura Himmelreich, macht in ihrem Portrait "Der Herrenwitz" im aktuellen stern eine über ein Jahr zurückliegende unangenehme Begegnung mit dem Fraktionschef der Liberalen öffentlich. Die Szene spielte sich in einer Hotelbar vor dem Dreiköngigstreffen um kurz nach Mitternacht ab: Brüderle habe ihr auf den Busen gestarrt und gesagt, "Sie könnten ein Dirndl auch sehr gut ausfüllen." Nur seine Sprecherin verhinderte weitere Anzüglichkeiten und entschuldigte sich nach den Angaben Himmelreichs bei ihr.

Mittlerweile ist ein mediales Feuer entbrannt. Kritiker verschiedener Couleur springen Brüderle zur Seite, "diese Geschichte ist ein Tabubruch. Wer es nötig hat, so etwas als 'Story' zu verkaufen, hat sich von seinem Chefredakteur vor den schmutzigen Karren spannen lassen", sagte Jörg-Uwe Hahn, der hessische FDP-Chef. Und selbst von den Sozialdemokraten gibt es Schützenhilfe, "wer um Mitternacht an einer Hotelbar ein offizielles Gespräch mit einem Politiker führt, hat ein merkwürdiges Berufsverständnis", sekundiert SPD-Innenexperte im Bundestag Sebastian Edathy in der taz vom Freitag. Ein Hauch sozial-liberaler Koalition.

Der Kampf gegen Sexismus erreicht den Mainstream

Lange Zeit war der Kampf gegen Sexismus ein Nischenthema angeführt von FeministInnen aus der linken Ecke. Gerade Politik und Wirtschaft öffnen sich langsam für Themen wie Frauenquoten, gleichberechtige Gehälter und die Möglichkeit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Der alltägliche Sexismus hat dort jedoch immer noch ein warmes Plätzchen. Hinzu tritt, die jetzt einsetzende Kritik kommt im nüchternen Gewand daher.

Wenn nun Edathy Frau Himmelreich ein "merkwürdiges Berufsverständnis" vorwirft, wenn sie um Mitternacht mit einem Spitzenpolitiker ein offizielles Gespräch führen möchte, wird es den SPD-Innenexperten überraschen, dass der Autor dieses Beitrages schon zu weit fortgeschrittener Stunde als Frau Himmelreich ein Interview mit seinem Fraktionschef, Frank-Walter Steinmeier, geführt hat, ganz offiziell. Das Interview hat auf einer Wahlparty des Senders n-tv so gegen 0:45 Uhr in der Nacht der US-Präsidentschaftswahl stattgefunden. Muss sich der Autor jetzt auch um sein Berufsverständnis Gedanken machen?

Ein weiterer immer wieder gehörter Einwand ist: warum jetzt? Die Geschichte ist doch über ein Jahr her. Soll nicht einfach die Auflage des Magazins "stern" gesteigert werden? Ja, diese Fragen sind berechtigt. Just in der Woche, als Brüderle die Spitzenkandidatur für seine Partei an sich gerissen hat, kommt nun dieses Portrait. Natürlich steckt darin auch Kalkül in der stern-Chefredaktion. Und dennoch hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

Vor ein paar Wochen veröffentlichte die Spiegel-Online-Reporterin Annett Meiritz ein Essay, in dem sie die Machoattitüden in der Piratenpartei anprangert. Vielleicht hat Meiritz damit die Türen erstmals weit aufgestoßen, so dass auch Himmelreich jetzt den Mut gefunden hat, über ihre sehr unangenehme Erfahrung zu berichten.

Es ist nun kaum noch zu übersehen, aber der Kampf gegen Sexismus ist im Mainstream angekommen. Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft müssen umdenken, sich selbst sensibilisieren. Am Tag scheinbar für die Frauenquote einzustehen und abends bei Zigarre und Rotwein auf Dekolletés zu starren, wird in Zukunft immer schwieriger werden.

Das Verdienst von Meiritz und nun auch Himmelreich ist, diesen Missstand öffentlich zu thematisieren. Journalistinnen ist die gleiche professionelle Distanz zu gewähren wie ihren männlichen Kollegen. Ob tagsüber auf einer Pressekonferenz oder nach Mitternacht in einer Hotelbar oder Wahlparty.

Brüderles Image als gutmütig nuschelnder Onkel dürfte indes perdue sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Daniel Martienssen

Enttarnung durch Analyse: ein privates Blog zu Demokratie und Rechtsstaat, Soziales und ein bisschen Kultur.

Daniel Martienssen

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