Es ist eine Last-Minute-Notgrätsche der Kanzlerin. Wenige Tage vor der Hessenwahl, die auch über die politische Zukunft Angela Merkels entscheidet, kündigte sie an, notfalls per Gesetzesänderung Fahrverbote für Dieselautos zu verhindern. Ihre Beruhigungspille an die Wähler: Die für 2019 angedrohten Verbote in Frankfurt würden nicht kommen. Ihr Argument: Frankfurt gehöre zu jenen Städten, in denen die Grenzwerte nur ein bisschen überschritten werden. Was ein bisschen ist, definiert Merkel eher großzügig: 25 Prozent mehr als erlaubt. Selten hat man die Kanzlerin so unseriös, schlecht informiert und – ja – fast panisch erlebt. Als könnte Deutschland das EU-Recht zur Luftreinhaltung kurz vor der Wahl mal eben außer Kraft setzen und Verbote verbieten.
Die 1999 beschlossenen und seit 2010 geltenden Grenzwerte werden in vielen Städten seit fast einem Jahrzehnt überboten – nicht nur ein bisschen, eher zwei oder drei bisschen, also kräftig und chronisch. Und mit der tödlichen Konsequenz, dass die Sterblichkeit durch die Luftverschmutzung erhöht wird.
Inzwischen hat die Kanzlerin verstanden, dass bundesweit elf Millionen Dieselbesitzer, darunter fünf Millionen betrogene Dieselfahrer, und zig Millionen Anwohner verpesteter Straßen eine gewaltige Wählermacht darstellen. Von denen hätte kein Einziger einen Grund, Union oder SPD zu wählen. Die Bundesregierung hat es in drei Jahren Dieselgate nicht geschafft, dass die riesige Flotte illegal manipulierter Dieselfahrzeuge die Abgasgesetze einhält. Sie konnte nicht durchsetzen, dass die betrogenen Autofahrer entschädigt werden. Und sie hat, ebenso wie die Landesre-gierungen, den Luftnotstandin mehr als 80 deutschenStädten nicht beheben können. Deshalb sind die Fahrverbote eine ebenso harte wie heilsame Lektion. Mit der Roten Karte für Dieselautos machen die Gerichte Politik und Autokonzernen Beine. Seitdem läuft nicht nur der Dieselmotor, sondern auch das Krisenmanagement auf Hochtouren.
Und noch eine schlechte Nachricht für Merkel: Die Weltgesundheitsorganisation ist gerade dabei, die Luftschadstoffe Feinstaub und Stickoxide neu zu bewerten. Danach könnte der bestehende Grenzwert verschärft, womöglich glatt halbiert werden. Es wäre ein weiterer Schlag für die Autokanzlerin.
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