Ist der Garten ein Ort des Friedens?

Koch oder Gärtner? Jakob Augstein beantwortet alle Fragen rund um den Garten. Heute legt er einen Teich an und sinniert über Alraunenwurzel, Kaukasusvergissmeinicht und die Weiße Seerose

Die Grube ist ausgehoben. Sie ist acht Meter lang, vier Meter breit und misst an der tiefsten Stelle in der Mitte bestimmt 1,85 Meter. Wenn ich hinuntertsteige kann ich gerade über den Rand gucken. Da könnte man jemanden stehend eingraben. Sehr praktisch. Natürlich gibt es ein paar Leute, denen ich hier gerne einen Platz einräumen würde. Auch Gärtner sind nur Menschen und Gärten wahrhaftig nicht nur Orte des Friedens und der Eintracht, wie bekanntlich die eine oder andere Schnecke hier schon erlebt hat. Warum bei Schnecken Halt machen? Man hat selten eine derartige Grube so griffbereit. Das bringt einen auf Gedanken und die sind dem See an sich ja auch angemessen. „Nirgends verleugnet der See seine unheilvolle Natur unter der toten Fläche des Spiegels“, schreibt Walter Benjamin über das Dunkel-Dräuende des Wassers in Goethes „Wahlverwandtschaften“.

Andererseits, wenn sie groß genug wären, würden sie immer noch oben rausgucken. Mitten im Garten. Das wäre mehr als unangenehm. Die Kinder würden Fragen stellen. Und die Nachbarn auch. Außerdem geht es um meinen Teich.

Also, 1,85 Meter Tiefe, in drei Terrassen. Den Rand werde ich mit Tellima grandiflora bepflanzen, der falschen Alraunenwurzel. Schon wegen des Namens. Es kommt ja bei den Pflanzen nicht nur auf das Aussehen an. Sondern auch auf den Klang und die Bedeutung. Das gleiche gilt für die Brunnera, das Kaukasusvergissmeinicht, das jetzt gerade herrlich blau blüht, und natürlich die Astilben, von denen man in allen Farben und Varianten gar nicht genug im Garten haben kann. Ich habe allerdings bei mir die Erfahrung gemacht, dass sie nicht alle gleich zuverlässig gedeihen und anspruchsvoller sind als ihr Ruf vermuten lässt. Heikle Pflanzen.

In der Flachwasserzone werde ich natürlich Typha angustifolia setzen, den schmalblättrigen Rohrkolben und Phragmites australis, das übliche Schilfrohr. Schon wegen des Säuselns im Wind, das sich, so hoffe ich, auch auf kleinen Flächen einstellen wird.

Die tiefen Zonen aber, jene im Dunklen, an die der Frost nicht heranreichen wird, in die sich die Fische im Winter flüchten werden – wenn Fische hier überhaupt Einzug halten sollen, das wird noch geprüft und diskutiert – werden der Weißen Seerose vorbehalten sein, der Nymphaea alba. Ihre Blüten gehören zum Schönsten, was der Garten hervorbringen kann. Was eine eigenartige Fügung ist, da Seerosen in gewisser Weise den Rahmen des Garten verlassen, über ihn hinausweisen und darum von anderer Art sind.

Sie sehen aus wie wunderbar ebenmäßig geformte weiße Sterne, die in der Mitte hellgelb oder orange leuchten und deren strahlende Farben einen unwiderstehlichen Kontrast mit dem dunkelglänzenden Grün ihrer auf der Wasseroberfläche ausgebreiteten Blätter ergeben und mit dem Schwarz des Wassers selbst. Das Düster-Waldige der Seerose klingt in ihrem Namen wieder, der von jenen schönen, jungen zumeist splitternackten Mädchen herrührt, die Wiesen, Grotten und Berge bewachen, aber vor allem die Hüterinnen der Wälder, Seen, Bäche und Quellen sind. Man muss sie sich nicht als regelrecht bösartig vorstellen. Aber doch als unheimlich, unnahbar und nicht zu kontrollieren. Die Nymphen suchen sich ihre Liebespartner unter den Männern selbst.

Als ich ein Kind war, wurde es uns streng verboten, zwischen den Seerosen zu schwimmen. Falls man in irgendeinem schleswig-holsteinischen See auf welche traf. Ihre gewundenen Stengel reichen bis tief hinab zum Grund und sind so fest, dass niemand sie zerreißen kann. Man verfängt sich darin und gleitet hinab in die Tiefe. Das war die Geschichte damals.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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