Bei den Bürgerrechtlern knallen die Sektkorken. Der EU-Generalanwalt, Pedro Cruz Villalón, hat sein Gutachten zur Vorratsdatenspeicherung dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt und kommt zu dem Schluss, dass die Vorratsdatenspeicherung "in vollem Umfang unvereinbar" ist mit den Grundrechten der Europäischen Union. Wer hätte das gedacht? Das, wofür sich viele NGOs in Europa seit Jahren einsetzen, wogegen sie vor den nationalen Gerichten klagen und ihre Argumente vorbringen, wird nun von höchster Stelle bestätigt. Nun darf man kurz durchatmen und den Erfolg genießen. Aber der Kampf für Bürgerrechte muss weitergehen.
Denn es ist nicht davon auszugehen, dass die große Koalition ihren Koalitionsvertrag nun noch einmal abändern wird. Die Immunität gegen bessere Argumente ist stark in den Regierungslagern. Fast scheint es so, als wären Grundrechte nur etwas für abgehalfterte Hippies und die Welt gehöre den Menschen, die in diesem florierenden Wirtschaftssystem die Gewinner sind, die unkritisch ihren Frieden mit dem Überwachungssystem gemacht haben. Weil Sicherheit ja nun ein Supergrundrecht ist. Und Supergrundgrechte haben Superkräfte. Die sozialen Spannungen in der Gesellschaft werden mit Röntgenaugen genauestens beobachtet, statt die Ursachen der tiefer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich zu bekämpfen.
Ein entscheidender "Fehler"
Unser Ziel muss eine Gesellschaft sein, die aufgeklärt, angstfrei und partizipativ ihr Zusammenleben organisieren kann. Dazu braucht es Bildung, Informationsfreiheit, eine transparente Politik, einen transparenten Staat und auch Zugriff auf Informationen, die Grundlage für Entscheidungen sind. Es ist auch eine zwingende Voraussetzung für einen solchen Gesellschaftsentwurf, dass unsere Kommunikationsinfrastruktur frei von Kontrolle und Zensur ist. Ist eine solcher Gesellschaftsentwurf zu kompliziert oder zu abstrakt für die Politik? Nein, ein solcher Entwurf hat nur einen entscheidenden „Fehler“: Er entmachtet die herrschenden Politiker – und er baut auf Vertrauen in eine positive Entwicklung unserer Gesellschaft.
Die Vorratsdatenspeicherung ist Kultur. Eine Kultur, die Vertrauen nicht kennt, sondern nur potentielle Verbrecher. Eine Kultur, die, wenn wir es hinnehmen, uns verändern wird. Sicher wird niemand mit zitternden Händen am Computer sitzen und sich jedes Wort überlegen, das er digitalisiert. Aber es wird mitschwingen in der Art und Weise, wie wir uns selber sehen, wie wir mit anderen Menschen umgehen. Die Unbefangenheit wird sterben.
Thorsten Wirth ist Software-Entwickler und seit wenigen Wochen Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland
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