Von der irrwitzigen Suche nach einem BH

Frauensache Warum bekommt man keine normalen BHs ohne Push-Up-Polster? Sie zwingen den Konsumentinnen das Schönheitsideal der großen Oberweite auf
Illustration: Otto
Illustration: Otto

Einfach einen BH kaufen gehen, das funktioniert bei mir nicht. Ich reagiere nach dem Prinzip: Wenn ich einen finde, der mir gefällt und passt, schlage ich sofort zu. Denn dies geschieht äußerst selten. Ich habe eine deutsche Durchschnittsbrust, die sich (zyklisch) zwischen 80A und 80B bewegt. Und wünsche mir einfach nur bequeme oder auch sexy Unterwäsche aus hautfreundlichem Material.

99 Prozent der angebotenen Ware in den gängigen Geschäften deutscher Fußgängerzonen sind mit gefütterten Schalen oder Push-Up-Polstern versehen, ungefütterte BHs findet man oft erst ab dem C-Körbchen aufwärts.

Verstehen Sie mich nicht falsch: An manchen Tagen finde ich Mogelei eine hervorragende Erfindung, um ein Dekolleté aufzumöbeln oder einen Bauch in die Schranken zu weisen, aber ich möchte nicht gezwungen werden jeden Tag, in jeder Situation dicker auftragen zu müssen, als die Natur es für mich vorgesehen hat. Schließlich bekommt man ja als Frau sowieso schon von kleinauf vor Augen geführt, dass zum gängigen Schönheitsideal pralle, dicke Dinger gehören. Aber welchem Ideal eigentlich?

Da lasse ich die Minderwertigkeitskomplexe der Teenagerjahre erfolgreich hinter mir (ich bekam zum 13. Geburtstag von besonders einfühlsamen und deutlich besser bestückten „Freundinnen“ einen BH mitsamt einer Packung Watte geschenkt) und entdecke die vielfältigen Vorteile kleiner Brüste. Nur um dann vor einem Regal zu enden, das mir entgegenschreit: „Komm schon, ein bisschen mehr geht immer!“ Es ist zum Heulen.

Vor allem die Tatsache, dass die Nicht-Mogelpackungen erst bei C anfangen, lässt auf die Annahme und Botschaft der Produzenten und Verkäufer schließen, dass alle Frauen mit Größe A und B auf extra Schaumstoff bestehen würden. Und der Markt folgt dem, er funktioniert über Angebot und Nachfrage.

Eine Verschwörungstheorie

Aber sollten tatsächlich alle Frauen, außer mir und einer kleinen Minderheit, diese aufgezwungene Staffage reizvoll finden? Ich bezweifle das. Und spinne mir stattdessen in meinem geschundenen Konsumentenhirn eine abgefahrene Verschwörungstheorie zusammen: Ein weltweit agierendes Grüppchen männlicher Unterwäschehersteller und -entwickler sitzt in einem Kämmerlein, dessen Wände mit vergilbten Postern von Katie Price, Pamela Anderson und Dolly Buster plakatiert sind.

Sie alle hegen eine krankhafte Abneigung gegen kleine Oberweiten und haben sich daher vorgenommen diese, zumindest optisch, auszurotten. Mit jeder neuen Victoria’s-Secret-Modenschau kommen sie ihrem Ziel ein bisschen näher. Und irgendwann ...

Moment. Das wäre nun wirklich zu einfach, den Herren der Schöpfung die Schuld an diesem Irrsinns-Größendiktat zu geben. Natürlich haben viele Männer eine Vorliebe fürs Pralle, aber sind nicht ihre Präferenzen so individuell wie die Frauen, die ihnen begegnen?

Es ist doch vor allem an uns Frauen, öfter mal den Mund aufzumachen, und uns gegen die Uniformität zur Wehr zu setzen. In den Geschäften beispielsweise nachzufragen: „Haben Sie auch BHs ohne Push-Up-Effekt in meiner Größe?“

Irgendwann werden dann die meist überarbeiteten und unterbezahlten Verkäuferinnen das weitergeben. Und die Designer werden nach und nach anfangen, für uns Modelle zu entwerfen, die kleine und mittlere Brüste en nature gut aussehen lassen.

Aber nur, wenn wir Frauen uns nicht scheuen, bei unserem nächsten Einkauf einfach klarzumachen, dass es uns stört, wenn uns vorgeschrieben wird, wie unsere Brüste auszusehen haben.

Sophia Hoffmann fand vergangene Woche zufällig einen BH in ihrer Größe

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Geschrieben von

Sophia Hoffmann

Sophia Hoffmann ist Köchin und Autorin. Als Aktivistin setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und Feminismus ein.

Sophia Hoffmann

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