Ob deutsche Ermittlungsbehörden nun den Anschlag auf die Pipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“ in der Nacht zum 26. September 2022 wirklich aufgeklärt haben oder zu nützlichen Idioten einer False-Flag-Operation wurden, die von den eigentlichen Tätern ablenkt, wird so schnell nicht zu klären sein. In absehbarer Zeit jedenfalls nicht. Vielleicht nie. Die vom US-Publizisten Seymour Hersh Mitte Februar verbreitete Version wirkt um einiges plausibler als die Geschichte vom durch eine polnische Firma gemieteten Boot, das von Rostock aus mit Ukrainern an Bord in See stach. Nicht zuletzt die allzu offensichtlich hinterlassenen Spuren von Sprengstoff in der Kajüte erstaunen, statt zu überzeugen.
Was ins Auge fällt und beunruhige
senen Spuren von Sprengstoff in der Kajüte erstaunen, statt zu überzeugen.Was ins Auge fällt und beunruhigen sollte: Der Generalbundesanwalt betrachtet die Ermittlungen als Chefsache, was vorzugsweise dann geschieht, wenn Staatsinteressen der Bundesrepublik Deutschland berührt sind. Falls es so gewesen sein sollte, wie es nach den jetzt lancierten Recherchen gewesen sein könnte, muss konsequent zu Ende gedacht werden, was das bedeuten würde.Nebenkriegsschauplatz DeutschlandDann nämlich hätten ukrainische Kräfte – egal, woher die kamen und welcher Order sie folgten – deutsches Staatsgebiet für einen Sabotageakt gegen russische Energieinfrastruktur benutzt. Da es gerade einen Krieg zwischen der Ukraine und Russland gibt, unterliegen diese Handlungen zwangsläufig einer entsprechenden Deutung. Dies könnte auf die Schlussfolgerung hinauslaufen, es wird auch von deutschem Boden aus Krieg gegen Russland geführt.Nicht nur theoretisch, ganz praktisch war Deutschland vorübergehend ein Nebenkriegsschauplatz. Man hätte es mit einem klassischen Fall für die Ausweitung von Kriegshandlungen zu tun, die als verdeckter, subversiver Akt stattgefunden hätten.Ob es sich bei den Akteuren um reguläre Militärs oder Geheimdienstkader der Ukraine handelt oder um Personal, das der Kategorie Freischärler/Partisan zuzuordnen ist, tut wenig zur Sache. Nach den Genfer Konventionen von 1949 wird diesen Akteuren im Unterschied zur vorherigen, sich auf die Haager Landkriegsordnung von 1907 berufenden Praxis ein Kombattanten-Status zuerkannt. Bedingung, sie müssen organisiert sein, das legen die jetzt kolportierten Erkenntnisse zumindest nahe. Bedingung, sie müssen Waffen sichtbar bei sich führen, das schließen die kolportierten Erkenntnisse nicht aus. Schließlich, was diese Kombattanten tun, muss als eine sichtbare Kampftätigkeit erkennbar sein. Deren Ergebnis – die Sprengung von Pipelinesegmenten – war Ende September 2022 über alle Maßen sichtbar.Paradigma VietnamUm eine historische Parallele zu bemühen: Während des Vietnam-Krieges gingen die USA als Kriegspartei Ende der 1960er Jahre davon aus, dass Nachschub für die Südvietnamesische Befreiungsfront FLN aus Nordvietnam über die Nachbarstaaten Laos und Kambodscha geleitet wurde. Erhalt und Betrieb des Wegenetzes und der Logistik des „Ho-chi-Minh-Pfades“ betrachteten die Amerikaner als aktive Kriegshandlung. Sie leiteten daraus das Recht ab, Territorien in Laos und Kambodscha flächendeckend zu bombardieren.Diese Angriffe unterschieden sich nicht im Geringsten von dem, was zur gleichen Zeit als Luftkrieg der Air Force gegen Nordvietnam stattfand. Im März/April 1970 marschierte die US-Armee sogar in Kambodscha ein, um Nachschubwege und Waffendepots der Nordvietnamesen und FLN zu zerstören. Aus dem Vietnam- wurde ein Indochina-Krieg, der Staaten mit sich riss, die bis dahin stets jede Kriegsbeteiligung bestritten und vermieden hatten. Die in Gang gesetzte Eskalation führte zum Flächenbrand.Sicherheitsrisiko KiewWas seit der Offenlegung der „ukrainischen Spur“ durch deutsche Ermittler auffällt, ist die eilfertige Versicherung, dass die ukrainische Führung, im besonderen Präsident Selenskyj, mit dem Pipeline-Anschlag nichts zu tun hätten. Nur gilt auch hier, was für alle anderen der seit dem 7. März verbreiteten Erkenntnisse geltend zu machen ist: Es gibt weder Beweise noch Gegenbeweise für eine Nichtverstrickung der Kiewer Administration, von Armee und Geheimdienst. Solange das so ist, steht die Annahme im Raum, dass sie ein Sicherheitsrisiko für Deutschland sein können. Für andere, dem Krieg in der Ukraine in parteilicher Weise sekundierende Staaten wäre das kaum anders. Was heißt das für das Axiom von der vorbehaltlosen Unterstützung Kiews gegen Moskau? Gibt es einen Zwang zum Einstieg in den Ausstieg aus der Unbedingtheit dieses Beistandes?Russland kann sich zur Verteidigung seiner energetischen Infrastruktur Gegenmaßnahmen vorbehalten, die über die Ukraine hinausgehen, auch wenn das wegen der damit verbundenen Risiken und nötigen Ressourcen derzeit wenig wahrscheinlich ist. Aber wer weiß das schon? Die in Deutschland vorherrschende Sicht auf Präsident Putin als eines unberechenbaren und skrupellosen Warlords legt doch wohl nahe, dass Rache und Revanche nicht auszuschließen sind.Auch dies taugt zum Hinweis auf die Brisanz der Ermittlungen des Generalbundesanwaltes. Und ob sie nun ergebnislos und ergebnisträchtig sind, der Sicherheit Deutschlands wird das in keinem Fall zuträglich sein.