Der Menschenfischer

Katholische Kirche Charmeoffensive oder Paradigmenwechsel: Von Papst Franziskus wird morgen eine Rede erwartet zu einer ihrer Reichtümer entkleideten Kirche. Überlegungen am Vorabend

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Ein Franziskaner in Assisi
Ein Franziskaner in Assisi

Foto: Franco Origlia/Getty Images

Wer sich Assisi von Südwesten her nähert, wird unwillkürlich von dem Bild gefangen genommen. Auf der höchsten Erhebung die Rocca Maggiore, frühmittelalterliche Befestigungsanlage mit ihren späteren wuchtigen Mauern, etwas weiter unten die Stadt. Und schließlich, wie ein Ausläufer Richtung Norden, die imposante Außenfassade des Klosters, das gleichsam das Fundament für sein Innerstes bildet: Die „päpstliche Basilika San Francesco“, wie die offizielle Bezeichnung lautet, mit dem überragenden, viereckigen Turm.

Hier strebt alles nach Höherem. Als ob die Anlage umbrischer Siedlungen, die die fruchtbaren Böden der Sohle der Landwirtschaft überlassen haben und einen strategischen Vorteil gegen Angreifer boten, auch den Geist beflügelt hätte, sich weithin sichtbar zu präsentieren. Den Geist des Papsttums, wohlgemerkt, der in der Pilgerstadt des „Poverello“, des Ärmlichen geatmet wird.

In der Franziskusbasilika etwa, die eilig nach dem Tod des Heiligen von dem neunten Gregor in Auftrag gegeben wurde, um die sterblichen Reste des Minoriten aufzunehmen. Jenem sehr machtbewussten Gregor also, der den Staufer Friedrich II. zwei Mal exkommunizierte, um Hoheit über das Territorium genauso zu erlangen wie über die Ernennung klerikaler Vertreter. Bis hin zum Großinquisitor und Dominikanerpapst Pius V., der die bescheidene Statt des Franziskus, drei Kilometer von Assisi entfernt in der Ebene beim einfachen Volk, mit dem mächtigen barocken Bau der „Basilika Santa Maria degli Angeli“ überwölben ließ. Von Katholiken verehrt, ist darin die Portiuncula, wo der gebürtige Giovanni Battista Bernardone seinem theologischen und Lebensentwurf gemäß nur mit geliehenem Gewand bekleidet starb, zur Kapelle reduziert.

Es ist die Geschichte der Vereinnahmung des gelebten Armutsgelübdes durch die ostentative Macht des Pontifex Maximus, die den Besuch von Jorge Mario Bergoglio begleiten wird. Vor dem hohen Feiertag, da Italien am 4. Oktober seines offiziellen Schutzpatrons gedenkt und nun ein veritabler Kirchenfürst gleichen Namens zu seinem Volk sprechen wird, ist die Spannung groß: Wird dieser Franziskus von Assisi aus tatsächlich verkünden, dass sich „die Kirche ihrer Reichtümer entkleiden“ soll, wie es italienische Tageszeitungen titeln?

Gelehrter Disput in der Tageszeitung

Die Vorarbeiten jedenfalls waren beachtlich. Denn die Bereitschaft zu Änderungen hat der derzeitige Papst in seiner kurzen Amtszeit oft deutlich gemacht. Oder es sind seine Äußerungen wie Handlungen so interpretiert worden. Als er sich auf der Rückreise aus Rio de Janeiro befand, sprach Bergoglio gegenüber einem Journalisten aus: „Wenn jemand gay ist und den Herrn sucht, wer bin ich, über ihn ein Urteil zu fällen? Selbst der Katechismus besagt, dass man diese Personen nicht diskriminieren oder ausgrenzen darf. Das Problem der Kirche ist nicht die Tendenz. Sie sind Brüder.“ Ähnlicher Inhalt zu den Geschiedenen, wie es auch eine Öffnung zu geben scheint, wenn es um das Zölibat geht. Kaum vom Papst ernannt, äußerte sich der neue Staatssekretär des Heiligen Stuhls, Erzbischof Pietro Parolin: „Darüber kann man diskutieren, denn das Priesterzölibat ist kein Dogma der Kirche, sondern eine Tradition der Geistlichkeit.“

Die Einfachheit im Lebensstil dieses Papstes ist bereits sprichwörtlich geworden. Egal, ob es sich darum handelt, nicht die luxuriösen Gemächer im apostolischen Palais zu beziehen, sondern Unterkunft in der weitaus bescheideneren Casa Santa Marta zu suchen, Bergoglio lieber mit einem alten R4 tourt als mit einer offiziellen Limousine oder er es ablehnt, das rote Schuhwerk, päpstliches Symbol für Blut und Martyrium, zu tragen – dieser Mann geht es einfach anders an.

Auch im Ringen um Deutungshoheit erweist sich Bergoglio auf der Höhe. Die Seiten des Hausorgans Osservatore Romano verlassend, hat der Oberhirte einen ebenso pastoralen wie in der Breite medienwirksamen Austausch gefunden. Der derzeitige Nestor der italienischen Journalistenzunft, der bekennende Atheist Eugenio Scalfari, hatte im August von den Seiten der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica aus „die Fragen eines Nichtgläubigen an den Jesuitenpapst, genannt Franziskus“ gestellt: Wie er es mit der Mitsprache halte, einer horizontalen Kirche vermittels der Konklave, der Synoden, der Bischofskonferenzen, den Gemeinden. Und wie mit einer „armen Kirche“, die „der Macht entsage und deren Instrumente abbaue“.

„Ich glaube nicht, dass er antworten wird, aber hier und heute bin ich kein Journalist, sondern ein Nichtgläubiger, der seit vielen Jahren interessiert und fasziniert ist von den Predigten eines Jesus von Nazareth, Sohn der Maria und des Josef, Jude aus dem Geschlecht Davids“, schrieb also Scalfari, um Mitte September den „Brief an einen Nichtglaubenden“ des Papstes zu veröffentlichen (Original und Übersetzungen), der umgehend von allen wichtigen Medien der Welt übernommen wurde: Die Weiterentwicklung des 2. Vatikanischen Konzils, um die „Kontaktunfähigkeit“ zwischen „der Kirche und der christlich inspirierten Kultur einerseits und der modernen, von der Aufklärung geprägten Kultur andererseits“ zu überwinden.

Um sodann zu umzirkeln: Die Kirche, berufen „den Sauerteig und das Salz des Evangeliums zu säen“, weise „auf das überirdische, endgültige Ziel unseres Schicksals hin, während der zivilen und politischen Gesellschaft die schwierige Aufgabe zukommt, in der Gerechtigkeit und in der Solidarität, im Recht und im Frieden ein immer menschlicheres Leben zu artikulieren und zu verkörpern.“

Beistand vom emeritierten Vorgänger

Ein Kreis, der auch von einen anderen Schriftwechsel gezeichnet worden ist. Der international bekannte Mathematiker, Logiker und Religionskritiker Pierigiorgio Odifreddi hatte mit seinem Essay „Caro Papa, ti scrivo“ (Lieber Papst, ich schreibe Dir, 2011) neben der Kritik an den praktischen Abweichungen der Kurie (u.a. Pädophilieskandale, fiskalische und andere Vergünstigungen) die Grundfrage gestellt: Wie zwei Sphären vereinbaren, bei der eine „die Mathematik und die Wissenschaft, die einzig wahre Religion“ und alles andere nur „Aberglaube“ sei und andererseits „die Religion die Mathematik oder Wissenschaft der Armen im Geiste“. Das lange Schweigen seit seinem Rücktritt als sechzehnter Benedikt unterbrechend, antwortete der Adressat Josef Ratzinger am vergangenen 3. September mit „Lieber Oddifreddi, ich erzähle Ihnen, wer Jesus war“. Ebenfalls aus den Seiten von La Repubblica durfte das Publikum einen durchaus humorigen Theologen kennen lernen, der Oddifreddi daran erinnert, dass Science-Fiction nicht nur eine literarische Gattung ist.

Auch Heisenberg und Schrödinger hätten ihre Visionen gehabt, die schließlich zu wahrer Erkenntnis führten. Die Theologie habe die Funktion, Religion an die Vernunft und die Vernunft an die Religion zu binden. Denn so wie es Pathologien der Religion gebe, „gibt es die nicht weniger gefährlichen in der Vernunft“. Beide seien also um der Menschheit Willen unabdingbar. Die härteste Kritik an Oddifreddi äußert Ratzinger im völligen Fehlen ethischer Ansätze im Essay. „Ich wundere mich über Sie, dass Sie die Frage der Freiheit nur in einer Nebenbemerkung abhandeln“, so wie auch die Liebe oder das Böse an keiner Stelle erwähnt würden, schreibt Ratzinger: „Ihre mathematische Religion kennt keinerlei Information bezüglich des Bösen. Eine Religion, die diese grundsätzlichen Fragen außer Betracht lässt, bleibt leer.“

Das ist meilenweit entfernt von Minoriten und ihren geistlichen Herren, die in Umberto Ecos „Der Name der Rose“ über die Eigentumsfrage zu den Kleidern Christi den innerkirchlichen Disput mystifizierend-theologisch fochten, während sich die unabweisbaren Vorzüge der Logik anbahnten. Und gleichzeitig nichts, was mit jener pathetisch-romantisierenden Figur des Kiril Lakota zu tun hätte, der „In den Schuhen des Fischers“ sämtlichen Kirchenbesitz veräußert, um den Armen der Welt zu helfen. Bergoglio/Franziskus, so schreibt Scalfari zutreffend, vereinige in sich gleich drei Säulenheilige: Neben Franziskus auch Augustinus und Ignatius. Und Jesus wäre ohne Paulus wahrscheinlich nicht zum Christos geworden.

Ort der Besinnung und des Geschäfts

Die in Aussicht gestellte grundlegende Dialogbereitschaft und das demonstrierte Fehlen von Berührungsängsten zu den in der Gegenwart bewegenden Themen können nicht die ganz praktischen Niederungen ausklammern. Hier mag eine Rolle spielen, dass zuletzt die Berichte um Misswirtschaft und Korruption innerhalb der Kurie, von den vatikanischen Museen bis hin zur eigenen Bank IOR, den Eindruck vermittelt haben, dass der Heilige Stuhl so fehlbar ist wie weltliche Politik. Und derartige Querelen innerhalb dessen, was eigentlich nur die Verwaltung des Kirchenstaates sein soll, sogar zum Fall eines Papstes führen können, wie es zu Ratzinger öffentlich kolportiert wird. Bescheidenheit in eigenen Dingen ist also auch der Disziplinierungsruf an ein nach wie vor als Hofstaat organisiertes Gemeinwesen gerichtet, wo Bischöfe wie Barone und Kardinäle wie Grafen samt Allüren schalten und walten.

Keine Frage ist, dass vor allem in Italien eine ethische, zumindest aber moralische Neuorientierung verlangt wird, da die Menschen gerade beginnen, über die letzten 20 Jahre an Misswirtschaft, Korruption und Dünkel eines entfesselten Geldadels Rechenschaft abzulegen wie zu verlangen. So wie die Welt nach den blutrünstigen Ausfällen anderer Religionen oder Ideologien in jüngerer Vergangenheit ein geneigtes Ohr dem schenken wird, der mit Bescheidenheit und Demut um mehr Toleranz wirbt. Eine Kirche mit menschlichem Antlitz, die sinngemäße Leihgabe bei Milan Kundera sei erlaubt, ist etwas, was deren Volk sich ersehnt. Und es ist zahlreich. Dem kann sich eine Weltkirche, die ihren Sitz in Rom hat, nicht mehr entziehen.

Ob Assisi für die Verkündung der Botschaft der richtige Ort ist? Nach dem Wiederaufbau des Ortes und der vor allem kirchlichen Einrichtungen in Folge des verheerenden Bebens vom September 1997 habe sich die Umgebung grundlegend verändert, schrieb unlängst eine Zeitung. Nicht nur Tagungshotels mit spartanisch wirkender, dafür umso luxuriöserer Einrichtung samt Gelegenheit zur spirituellen Erbauung („Kloster in nur drei Minuten Fußweg“) würden das Millionengeschäft mit Pilgern machen, sondern erst recht frisch renovierte Ordenseinrichtungen: Bei allem Komfort gesalzene Preise, die steuergünstig gerne als Spende entgegen genommen würden und wirklich des Beistands Bedürftigen keinen Raum mehr böten.

Selbst das menschlichste kostet nahe der Basilika 60 Cent pro Besuch auf der einzigen öffentlichen Toilette im Umkreis. Oder wie ein zynischer Ordensbruder, wörtlich zitiert, meint: „In Assisi danken wir nicht nur dem Heiligen Franziskus, sondern auch dem ‘Hl. Erdbeben‘.“ MS

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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