Tatort Dortmund findet in der dritten Folge "Eine andere Welt" zu bislang bester Form, weil die Figuren um Homo Faber Raum haben für ihre zahlreichen Nebenaktivitäten
Nach den Tur-bu-lenzen der vergangenen Wochen hat der Tatort wieder Boden unter den Füßen. Könnte ein Fazit lauten, wie es der Sportreporter alter Manier womöglich formülieren würde. Alles Reden über den Tatort kreist doch immer um ein Zentrum, in dem noch nie jemand gewesen ist – die definitorische Leerstelle, die große Frage, was ein Tatort eigentlich sei. Wenn es so etwas wie einen Nullmeridian zur Formatbestimmung geben sollte, dann könnte der durchaus durchs Dortmund dieser Woche laufen.
Die Folge Eine andere Welt (WDR-Redaktion: Frank Tönsmann, Regie: Andreas Herzog, Buch: Jürgen Werner) ist der gute Durchschnitt, sie befriedigt Gewohnheit, überlegt sich dabei aber, was sie anzieht, wenn sie vor die Tür geht. Die h
immung geben sollte, dann könnte der durchaus durchs Dortmund dieser Woche laufen.Die Folge Eine andere Welt (WDR-Redaktion: Frank Tönsmann, Regie: Andreas Herzog, Buch: Jürgen Werner) ist der gute Durchschnitt, sie befriedigt Gewohnheit, überlegt sich dabei aber, was sie anzieht, wenn sie vor die Tür geht. Die handelnden Figuren gewinnen durch weiter erzählte Nebengeschichten an Komplexität – so schwierig diese serielle Kontinuität sich auch performen lässt bei einer Reihe, innerhalb derer Dortmund nur alle halbe Jahre aufläuft.Was es etwa mit diesem Bad Boy Sims auf sich hat, der die "Königinmutter" Maria Böhnisch (Anna Schudt) mit Anrufen bei der Arbeit stört und von Faber erfolgreich erzogen wird, müssten wir in der letzten Folge noch mal nachschlagen. Oder werden wir das in der nächsten erfahren? Homo Faber, der alte Stresser (Jörg Hartmann), den man schon mögen muss in seiner exaltierten, reihen-immanent kalkulierten Ausgeflipptheit, könnte dagegen tatsächlich noch einmal zu dem finden, was er in den ersten beiden Folgen immer so aggro sein sollte: ein Charakter.Das Ich zur WeltAm Ende wird – auch wenn das für jemanden, der sein Außenweltverhältnis an Thomas-Mann-Romanen ausrichtet, schwer zu verknusen ist – Faber womöglich doch noch eine prägende Gestalt seiner Zeit: Dieses method acting des Täter-Ichs, mit dem jeder Fall als hamlet-inspirierte Psycho-Körper-Kacke wieder aufgeführt wird, als hieße der Intendant still Konstantin Sergejewitsch "Holger" Stanislawski, setzt am Ende dem dominanten Personalpronomen und Realitätsbezugsort of our days ein Denkmal: dem Ich. Die jungen Leute werden es zu schätzen wissen.Fabers Fall – der Tod von Frau und Kind – enthüllt sich, und das Gute dabei ist, dass es Mord gewesen sein soll. Was schlicht nur Spannung bedeutet, damit aber schon ablenkt vom Trauma, denn Traumabewältigung von Tatort-Kommissaren ist echt nicht so, dass man sie noch einmal durchnehmen wollte am Sonntagabend: Remember Lonely Lannert! Ein Höhepunkt dieser Figurenbiografie: Wie Faber sich beim Anwanzen an Mordopfervater Oli Petzokat (Markus John) auf dessen Frage ("Sie haben wohl keine Kinder?") Respekt verschafft durch die nach retardierender Pause gegebene Antwort: "Ich hatte" – und dann gut getimed ausatmet. Ebenfalls erfrischend die Liebe der Kinder Nora (Aylin Tezel) und Kossiken (Stefan Konarske), über die mit den Eltern nun offen geredet werden kann. Die Kinder haben ihre Szenen, so dass man zum einen darüber nachdenken kann, ob Aylin Tezel in ihrem spielerischen Stolz einen nicht noch sehr lange begleiten wird im deutschen Fernsehen. Und was vor allem Konarske, der die merkwürdige Mundherumbehaarung abgenommen hat, überhaupt für ein Schauspieler ist: Er hat kein Gesicht und zugleich doch eins, in das man immer wieder schauen muss. Schönheit im verbreiteten Sinne wäre nicht die erste Assoziation, und trotzdem geht von Konarske etwas aus, was für den Moment vielleicht prekäre Attraktivität heißen könnte.Run, run, runDass die Nebengeschichten in Eine andere Welt diesmal nicht nerven, liegt daran, dass sie Auslauf haben. Am Ende gibt's, bei vier Protagonisten wohl irgendwie zwingend, die Hallo-Spencer-Rundum-Schalte als melancholischen Nighthawkismus (supporting Musik: Martin Tingvall). Die hotte Sexszene zwischen den Kindern ("halterlose Strümpfe") ist fast nicht so, dass man nicht drüber nachdenken müsste, ob man dabei sein möchte als Zuschauer aus Angst vor too much Scham. Was im deutschen Fernsehen doch seltener ist.Die Falllogistik ist in dieser besten Dortmunder Folge nicht nur mit sich selbst beschäftigt. Der Tod der jungen Nadine Petzokat (Antonia Lingemann), die durch schicke Video Diaries retrospektiv erzählt wird, resultiert in einem beinahe klassischen Etappenmord; bis dahin wird das Verdächtigengepuzzle aber angenehm übersichtlich gehalten. Und so haben die Figuren Raum, der die Integration der vier Nebenerzählungen mühelos erscheinen lässt.Hübsch ist, wie Kossiken, wo er überflüssig ist, weil Nora mit der Schulfreundin Julia spricht, mal auf das Handy schaut – das machen Menschen im richtigen Leben auch öfter, warum sollte im Tatort dafür keine Zeit sein. Eher so erwartbar: Dass die beiden bei der Verhaftung von Tarek (Hassan Akkouch) rennen müssen, weil so ein jugendlicher Hustler immer erstmal Fersengeld gibt.Gecastet (Gitta Uhlig) ist generell gut, Jule Böwe als die Frau, die den Nachbarn die Haare in der Küche schneidet, hat eine lustige Frisur. Schematisch-frivol fällt dagegen der Arm-Reich-Gegensatz als "Thema" vons Janze aus: An diesen Schauermärchen des Dazugehörenwollens kann man sich dann wärmen und erinnern, warum "sozialer Abstieg" nicht auf dem Zettel mit den Besorgungen für morgen steht, die unter dem Flaschenöffner-mit-Magneten am Kühlschrank hängt.Etwas für den Grabstein: "Sie war immer der Star"Ein guter letzter Satz für die anstehende Gehaltsverhandlung mit dem Chef: "Ich bin ja auch ein cooler Typ"
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