Ich als Held

Musikfest Berlin Was nützt es Egomanen, wenn sie selbst wissen, dass sie Egomanen sind? Das Beispiel Richard Strauss

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Richard Strauss 1910
Richard Strauss 1910

Foto: Hulton Archive/ AFP/ Getty Images

In den vergangenen Jahren gab es manchmal Festwochen, bei denen viel zu lernen war, so wenn Pierre Boulez im Zentrum stand und man sich, um ihn zu erfassen, in seine Kompositionsweise vertiefen musste. Diesmal steht, für den Rezensenten jedenfalls, die reine Freude im Vordergrund, bestimmte Kompositionen, die sonst selten gespielt werden, einfach einmal im Konzertsaal hören zu können. Da spreche ich besonders von den Stücken Witold Lutoslawskis, des großen polnischen Komponisten, der aus Anlass seines 100. Geburtstags geehrt wird. Das Musikfest bettet ihn ein in eine Würdigung neuerer osteuropäischer Musik überhaupt. Eine analytische Perspektive habe ich aber auch, sie ist diesmal, wenn man so will, von außen an die Musik herangetragen: Es ist die Frage, wie sich das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft musikalisch abspiegelt. Ob sie sich über beide Festwochen hinweg wird durchhalten lassen, muss sich erst zeigen. Beim Eröffnungskonzert am Samstag jedenfalls hat sie sich geradezu aufgedrängt.

Denn da wurde Ein Heldenleben gegeben, die symphonische Dichtung von Richard Strauss aus dem Jahr 1898. Sagen wir vorweg, dass sie mitreißend aufgeführt wurde vom großartigen Pittsburgh Symphonie Orchestra unter der Leitung Manfred Honecks, der überhaupt an Strauss einen Narren gefressen zu haben scheint, denn er gab später noch als Zugabe das komisch-gewaltsame Walzer-Chaos aus dem dritten Akt des Rosenkavaliers, das Wenige anhören können dürften, ohne vom Sitz aufzuspringen.

Ein Heldenleben ist schon seinerzeit wegen seines offenkundig egozentrischen Charakters angefeindet worden, denn diese Musik verbirgt nicht, sondern stellt dreist zur Schau, dass der Komponist sich selber als Helden darzustellen beliebt. Natürlich wurde sie auch verteidigt, von seinen Anhängern: Die sagten, man höre doch die Selbstironie heraus. Doch man kann Strauss besser verteidigen. Zunächst einmal mit dem Hinweis, dass egozentrische Musik nicht etwa seine Privatmarotte war. Sie war vielmehr zeittypisch. Sodann lässt sich, wenn das einmal klar ist, nicht überhören, dass Strauss die Egozentrik transzendiert. Sie unterläuft ihm nicht, sondern er stellt sie dar, um sie zu reflektieren. Man kann ihn darin mit Johannes Brahms vergleichen, worüber ich kürzlich geschrieben habe. Brahms wollte auf der Linie Beethovens fortfahren, doch muss ihm schmerzlich bewusst geworden sein, dass ihm etwas wie eine gesellschaftliche - revolutionäre - Perspektive, in der Beethovens Kompositionen (ent)standen (waren), in seiner eigenen Umwelt vollkommen abging.

Wenn das Individuum auf sich selbst zurückgeworfen ist, kann es sich nicht in "klassischer" Musik darstellen. "Klassische" Ausgewogenheit oder Dramatik ist eben nicht nur formal zu bestimmen, sondern gelingt wohl nur, wenn auf entsprechende gesellschaftliche Inhalte zurückgegriffen werden kann. Man vergleiche nur einmal die schmachtenden Violinsonaten von Brahms mit denen von Beethoven. Brahms ist immer noch "vergleichsweise" klassisch, im Formalen eben jedenfalls, aber dass die Ich-Darstellung überwiegt (womit ich nicht sagen will, dass er sich nur selber darstellt) und dadurch, gemessen an Beethoven, in ein Ungleichgewicht gerät, ist unüberhörbar. Wovon die Rede ist, wird noch klarer erkennbar, wenn man Brahms' Orgelfuge as-moll (ohne Opuszahl) mit ihrem Vorbild vergleicht, dem Contrapunctus 11, a 4 aus der Kunst der Fuge von Johann Sebastian Bach. Wo nämlich Bach von einer Sache "spricht", die nicht nur in ihm, sondern auch außer ihm ist - vielleicht der Kreuzigung -, wird Brahms völlig privat.

Doch schon für Brahms gilt, was ich von Strauss sagte: Er hat das musikalisch reflektiert. In seiner dritten Sinfonie etwa, die im ersten Satz noch einen rauschenden Ballsaal evoziert, wo Walzer getanzt wird. Davon bleibt im dritten Satz nur das einsame Herz übrig, das sich trüb erinnert. Sehr passende Verwendung findet das Thema des Satzes in dem Film Lieben Sie Brahms? nach dem Roman von Francoise Sagan (und vielleicht schon dort, ich habe ihn aber nicht gelesen). Die von Brahms reflektierte Egozentrik ist also ein Mangelzustand. Nicht so bei Strauss. Strauss stellt dar, dass er sich in seiner Egozentrik wohlfühlt, und rechtfertigt es in der Perspektive der Philosophie Friedrich Nietzsches.

Die Tondichtung Also sprach Zarathustra hatte er 1896 uraufgeführt und wohl gleich danach mit der Komposition von Ein Heldenleben begonnen, in dessen Schlussteil man die berühmte Eingangsfanfare des erstgenannten Stücks herauszuhören meint. Das hier dargestellte Ich lebt jedenfalls nicht einfach vor sich hin (so wenig wie das von Brahms), sondern hat Aufgaben zu erfüllen, wie es nie anders war; nur dass sie ihm nicht von einer äußeren, gar übergeordneten Instanz gestellt werden, sondern er sie in sich selbst findet. Strauss' Aufgabe ist das Komponieren und so stellt er, wenn wir zunächst auf die Oberfläche dieser Musik schauen, nacheinander seinen Kampf mit albern schnatternden Musikkritikern, die Unterstützung seines Eheweibs - welches auch eine Egozentrik hat, die Strauss betont von außen betrachtet, statt sich anzumaßen, sie verstehen zu wollen, so dass man den Eindruck hat, ein Schmetterling umkreise ihn und versuche ihn aufzuheitern -, den Parteikampf an der Seite von Gleichgesinnten und dann das Werk dar, das aus allem herausspringt. Da zitiert er ausgiebig eigene Kompositionen und imaginiert sogar schon, wie er sich anschließend "aus der Welt zurückzieht" - während er in Wahrheit noch gar nicht richtig begonnen hat, denn berühmt wird er erst später durch seine Opern werden.

Das Ganze ist nicht nur Programmmusik, sondern symphonisch durchgeführt. Die ersten Teile, wo der Held auftritt, auf seine Kritiker stößt und von seiner Frau unterstützt wird, sind zusammen die Exposition und es folgen mehrere Durchführungen. Eine Reprise gibt es nicht, außer man nimmt den schließlichen Triumph des Heldenthemas als solche. Der überwiegende Eindruck ist jedenfalls die beständige Variation, wobei nicht bloß jede Variation den Anfang anders variiert, sondern jede neue die jeweils vorausgegangene weiterverändert. Das Verfahren ist dem Brahmsschen nicht so unähnlich.

Was Strauss' Verteidiger als Selbstironie herausgehört haben wollen, ist wohl eher der Versuch, im Sinn Nietzsches heitere Lebensbejahung vorzuführen. Es soll durchaus auch ein "Tanz über Abgründen" sein, wie Nietzsche ihn seit der Frühschrift Geburt der Tragödie diskutiert. Allerdings stößt Strauss da auf seine Grenzen, denn den nihilistischen Abgrund zu evozieren, ist ihm nie gelungen. Er hätte ihn ja in sich selbst vorfinden müssen. Ersatzweise ist seine musikalische Heiterkeit mit viel Pathos untermischt. Das Heitere verweist auch insofern auf Nietzsche, als dieser den Ernst gerade in der Kunst angreift, und wird doch vom Pathos konterkariert. Wir finden bei Nietzsche dieselbe Verwicklung, gerade im Zarathustra. Wie auch immer, Strauss' egozentrische Musik gewinnt durch den Rückgriff auf Nietzsches Philosophie eine Transzendenz. Der Philosoph will, dass das Ich als lebensbejahendes stark sein soll. Das bedeutet einerseits, es soll das Leben ertragen können, obwohl es schwer erträglich sei.

Zum andern soll sich das Ich als eine elementare Kraft erfahren, deren Natur es ist, sich im "Willen zur Macht" in alle Richtungen auszubreiten, ausbreiten zu müssen, bis es an Grenzen stößt - Nietzsche stellt sich vor, dass es nicht anders kann: Wie man urinieren müsse, schreibt er mehrmals, müsse man seinem Machtdrang nachgeben - und an ihnen zerschellt. Gerade auch davon war Strauss beeindruckt und hat es auch wieder nur zur Hälfte verstanden. Sein Heldenthema reckt sich freilich überall hin und ist als satter Säugling, den die Mutter hätschelt, schon auf die Welt gekommen. Doch es ist nicht zwanghaft, wie es sein müsste, und es fehlt ihm die Melancholie. Dass von Nietzsche zu jenem "Wir werden weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt" ein Pfad führt, wird Strauss niemals einfallen, wie er ja auch nicht über die Zeit nachdenkt, in der seine egozentrische Musik vom Heldenleben entsteht. Es ist die des Imperialismus. Nein, dafür hat er keine Antenne und wird wohl auch deshalb zum naiven Reichsmusikanten der Nazis. Einmal fährt er wutentbrannt mit dem Auto zu einem KZ, um eine Bekannte herauszuholen. Er sei der Richard Strauss, blafft er die Torhüter an, macht aber gar keinen Eindruck und fährt viel kleiner, als er gekommen ist, wieder zurück. Wäre er da wenigstens "in Scherben gefallen"! Was hätte er noch Großes, Schlimmes komponieren können.

Mit meinen Anmerkungen zu den Konzerten des Wochenendes fahre ich morgen fort.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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