Witzfiguren leben länger

Angela Merkel Zur Dialektik von Lachnummer und Kalkül: Eine Selbstversimpelungsstrategie springt immer so hoch, wie sie muss

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Witzfiguren leben länger

Foto: Johannes Eisele / AFP / Getty

Als hätte die Linke seit der „Causa Kohl“ zu gründlich dazugelernt.

Helmut Kohl war der Plumpsack der Nation, die Birne, die Verkörperung des Peinlichen, Dummen, Glanzlosen, auf internationalem Parkett Fehlplatzierten. Er war (und die eigene Anhängerschaft wusste es zunehmend ins Kalkül zu nehmen) der Dauerveräppelte, Kulturunbehauchte; der in Hölderlin immer gute Fettnäpfchenbewohner „katexochen“. Die plumpe, in der Tiefe seines Herzens immer Saumagen gebliebene Pfalzwalze, die ausgezogen war, sich und die, die ihn mehrheitlich gewählt hatten, in der Welt zu blamieren. Politik wurde durch ihren mächtigsten Repräsentanten zum Witz und der wurde bis zur allgemeinen Erschöpfung immer wieder, kaum variiert, erzählt. Manch einer freute sich nach seiner Demission mehr über den Kollateralbegleiteffekt, der darin bestand, dass die Hälfte der Komödianten ihr Thema verloren hatte (auch wenn klar war, dass sie anderweitig fündig werden würden).

Dann aber wurde doch eine Geschichte des Siegers draus: Kohl, der bloß „sprechdumme“, in Wahrheit taktisch geniale, das Aussitzen zur Kunstform erhebende Proto-Stratege, der von der Patina, die er über diese Republik legte, sich selbst begünstigte wie niemanden sonst – und das ist eben mehr schlau als schau, wie es auf daihatsuianisch heißt. Während Hume noch darauf bestand, aus dem Sein kein Sollen abzuleiten, leitete man aus einem derart ausführlichen Sein ein Nicht-können ab: Wer 16 Jahre lang Kanzler war, kann doch nicht so doof gewesen sein, wie alle immer dachten. Und je länger es her ist, desto mehr Verdienste werden in bereitwilliger Verzagtheit auch von einstigen Gegnern zusammen getragen.

Machterhalt, das ließ sich jedenfalls bei ihm bereits lernen, leistet man dadurch, dass man darauf verzichtet, sie auszuüben.

Angela Merkel, so scheint es, knüpft nahtlos an, verfeinert, wird perfider, was umso anerkennenswerter ist, als fehlende Glanzrhetorik in diesen unseren Quasselzeiten einen ganz besonderen Kompensationsaufwand erfordert. Die Physikerin, wie man sich hinzuzufügen beeilt, weil man’s ja irgendwo herwissen muss, kann gar nicht so bematscht sein wie ihr gelegentliches Herumgestottere, ihr permanentes Nichtssagen, Nichtsichfestlegenlassen und natürlich vor allem die aktuell durchs digitale Dorf getriebene „das Internet ist für uns Neuland“-Sau vermuten lassen.

Neuland? Druckt da etwa jemand seine Emails aus, unterschätzt man sofort wieder die Arglist, und weiß es natürlich besser: So viel Ich-bin-einer-von-euch kann nur inszeniert sein und zwar durchaus geschickter als das hinlänglich erprobte und darum durch sämtliche Belustigungsraster gedrehte Kuchenfressen vor laufenden Kameras oder das nicht minder ausgewogenheitsbeflissene Eigentlich-bin-ich-Vegetarier-,-aber-manchmal-muss-es-einfach-eine-Currywurst-sein (demnächst dann als „einen Veggieday finde ich super, aber es sollte ein Ersatzmenü für Fleischesser geben“) – das Internet, samt Inkompetenzgefühl, das es sowohl ihren potentiellen Wählern wie Nichtwählern manchmal beschert, ist tatsächlich Neuland für medial arrangierte Anbiederung und hinsichtlich seiner satirischen Ausschlachtung insofern noch vergleichsweise unformatiert.

Und so geht es einem dann, wenn es einem nie wieder so gehen soll wie mit Kohl - man fährt fort zu bewundern: Genial bspw., wie sich Angela Merkel mit Luftnummern wie zu Guttenberg und Wulff umgab. Als die dann enttarnt waren und der “Smoke on the water“ auch für sie eine Rauchvergiftung nach sich zu ziehen drohte, nahm sie wundersamerweise nicht trotzdem keinen Schaden, sondern ihre Beliebtheit blieb wegen der um sie herum stattfindenden Demaskierungen in vollem Umfang gewahrt. Im persönlichen Abgleich kam sie gleich mal noch geerdeter, prunkfreier daher; die Mutti, die nicht, wenn sie nach Hause kommt, erst mal am Klavier Platz nimmt, um eine Bachfuge zu spielen (oder currywursthalber „auch mal einen Boogie-Woogie“), sondern den Abwasch macht, und das ohne von einer Homestory dazu verscriptet zu sein. Und wenn sie dann mal über den Times Square spaziert, das kleine, leicht verschreckbare Mädchen aus der Uckermark von nebenan gebend; allein in der großen, weiten Welt, dann wirkt das plötzlich rührend ehrlich, fast möchte man zum No-Go „authentisch“ greifen.

Brillant, wer sich als so simpel in Szene zu setzen weiß.

Und damit kommen wir zum eigentlichen Clou: Denn jenseits der ihr immer wieder angeflickten scheinbaren Sozialdemokratisierung – wonach sie der SPD die Themen klaue, sie verwässere, indem sie mal den Mindestlohn recht interessant findet, ein anderes Mal die Mietpreisbremse für durchaus erwägenswert hält (und so scheinbar ist dieser Themenklau dann auch wieder nicht; ist besagte Verwaschenheit doch durchaus auch ein Signum der Konkurrenzpartei) – besteht der eigentlich Raub an der SPD in der wie eigens für sie maßgefertigten, „persönlichen“ Glanzlosigkeit.

So pragmatisch, so unglamourös könnte man sich auch eine leicht resignierte, zwischen Großpolitik einerseits und den Problemen der „kleinen Leute“, andererseits eingezwängte und sich aufreibende, vom Mittelmaß der eigenen Politkarriere gekränkte und von ihren Parteikollegen oftmals im Stich gelassene, „belogene und betrogene“, und irgendwo falsch abgebogene, sozialdemokratische Ortsvereinsvorsitzende aus Wanne-Eickel vorstellen.

Was einem bei Peer Steinbrück ja deutlich schwerer fällt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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