In den kommenden Wochen soll die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ihre Arbeit aufnehmen. Damit setzt die Bundesregierung ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um, das großteils unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung läuft, aber enorm bedeutsam ist: das volle „Recht auf reproduktive Selbstbestimmung“. Dieses Recht soll nicht mehr nur gewährleistet werden, indem Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden, vielmehr will die Regierung nun auch Behandlungsmethoden der Reproduktionsmedizin legalisieren, die bisher verboten sind. Namentlich sind dies Elective Single Embryo Transfer, die Eizellspende und die Leihmutterschaft.
Durch die Legalisierung der genannten Behandlungsmethoden
smethoden sollen neuartige Formen eines selbstbestimmten Zur-Welt-Bringens von Kindern möglich werden. Menschen sollen sich den Wunsch nach eigenen biologischen Kindern in Situationen erfüllen können, in denen dies bisher nicht möglich war. So können Frauen ohne Gebärmutter nun in die Lage versetzt werden, Kinder mit eigenen Genen zu bekommen. Eine Leihmutter trägt für sie den Embryo aus, der durch künstliche Befruchtung mit ihrer Eizelle gewonnen worden ist.Wählbare „Volkszugehörigkeit“Das Verfahren der Legalisierung läuft jedoch Gefahr, diese Freiheitsgewinne mit neuen Formen der Fremdbestimmung zu erkaufen. Eine erste – bisher nie da gewesene – Form der Fremdbestimmung können kommende Kinder erleiden, wenn eine vorgeburtliche Selektion legal wird, die bei künstlicher Befruchtung im Rahmen des Elective Single Embryo Transfers wirksam wird – zu deutsch: bei der Übertragung von einem einzelnen ausgewählten Embryo in den Mutterleib. In den Verfahren der künstlichen Befruchtung, die aktuell erlaubt sind, werden Frauen mehrere Embryonen gleichzeitig eingesetzt. Dies führt zu einem gehäuften Auftreten von Mehrlingsschwangerschaften, die medizinisch nicht ungefährlich sind.Bei dem Elective Single Embryo Transfer wird das Risiko von solchen Mehrlingsschwangerschaften vermieden, indem der behandelten Frau nur der eine Embryo übertragen wird. Um dennoch möglichst viele Schwangerschaften in Gang zu setzen, soll auf gutes „Material“ zurückgegriffen werden. Hierfür wird im Labor selektiert respektive „elektiert“: unter dem Mikroskop werden die in vitro erzeugten Embryonen auf ihre morphologische Entwicklung hin untersucht und der Embryo zur Übertragung ausgewählt, der sich am besten entwickelt hat. Um aus einem ausreichend breiten Angebotsfeld selektieren zu können, werden mehr Embryonen erzeugt, als übertragen werden sollen.Embryonen werden nur dann zur Einnistung – und damit: zum Leben als Mensch unter Menschen – zugelassen, wenn sie das vorgeburtliche Selektionsverfahren erfolgreich bestehen. Embryonen, die bei dem Test schlecht abschneiden, bleiben vom Kreis der Menschen ausgeschlossen. Sie „verwaisen“ außerhalb der intergenerationalen Beziehungen.Zu einer weiteren Form der Fremdbestimmung kann es kommen, wenn Eizellspende und Leihmutterschaft legalisiert werden. Fremdbestimmung meint hier schlicht die Ausbeutung von Frauen. Auf dem internationalen Reproduktionsmarkt werden Eizellen und Leihmutter-Babys als Waren gehandelt. Für den westeuropäischen Markt wird vor allem in der Ukraine und in Georgien produziert. Hohe Renditen werden mit Eizellen und Leihmutter-Babys erzielt, die den Wünschen der Nachfrageseite entsprechen. So bietet etwa ein ukrainisches Unternehmen westlichen Interessent:innen im Internet an, bei der Bestellung die Eizellspenderin nach ihrem Phänotyp beziehungsbeweise ihrer „Volkszugehörigkeit“ und das Geschlecht des Kindes auszuwählen; es verspricht die in vitro erzeugten Embryonen vor der Übertragung in die Leihmutter auf erbliche Erkrankungen oder Behinderungen durchzutesten und garantiert optimale Entwicklungsbedingungen des Embryos durch strenge Überwachung der Schwangerschaft.Die Eizellspenderinnen und Leihmütter willigen in die Nutzung ihrer Körper oft aus finanzieller Not ein. Sie tragen die schweren körperlichen und psychischen Belastungen der hormonellen Stimulierung und der Schwangerschaft mit einem Embryo, der ihnen eingesetzt wird, wobei sie das Kind unmittelbar nach der Geburt abzugeben haben.Liberale Befürworter:innen einer Legalisierung wollen Eizellspende und Leihmutterschaft in Deutschland so regeln, dass eine solche Ausbeutung vermieden wird. Während der internationale Markt dem politischen Einfluss entzogen sei, ließen sich Eizellspende und Leihmutterschaft hierzulande rechtlich auf nicht-kommerzielle Formen beschränken, in denen Frauen ihre Körper aus altruistischen Motiven und nicht aus wirtschaftlicher Not zur Verfügung stellen.Placeholder infobox-1Um die aktuell bestehenden Ausbeutungsverhältnisse zu bekämpfen, greift diese Vorstellung allerdings zu kurz. Bereits in seinen Vorannahmen überzeugt das Vorhaben nicht: Ist man dem internationalen Reproduktionshandel wirklich hilflos ausgeliefert? Hier belehrt das Lieferkettengesetz eines Besseren. Es ist unklar, warum politisch nicht auch direkt gegen die Ausbeutung in den Erzeugerländern von Eizellen und Leihmutter-Kindern gekämpft werden kann, indem Druck auf die dortigen Regierungen ausgeübt oder das Adoptions- und Einbürgerungsrecht für Säuglinge aus diesen Ländern ausgesetzt wird.Welche Experten entscheiden?Darüber hinaus mag man bezweifeln, dass eine deutsche Legalisierung von Eizellspende und Leihmutterschaft ein probates Mittel gegen die Ausbeutungsverhältnisse auf dem internationalen Reproduktionsmarkt darstellt. Nicht nur, dass sich kaum trennscharf zwischen Aufwandsentschädigungen und Anreizen in nicht-kommerziellen Verhältnissen und kommerzieller Entlohnung unterscheiden lässt. Vor allem sind die Effekte einer restriktiven Legalisierung in Deutschland auf den internationalen Reproduktionshandel fraglich.Es ist kaum anzunehmen, dass die hierzulande – unter strengen Auflagen – gewonnenen Eizellen oder Leihmutter-Kinder die Nachfrage befriedigen werden, die der internationale Markt geweckt hat. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich der internationale Reproduktionshandel die neuen rechtlichen Möglichkeiten zunutze macht – und ukrainische Leihmütter zur Entbindung künftig nicht nur nach Tschechien, Österreich oder Belgien, sondern auch direkt nach Deutschland bringt. Die Legalisierung trüge dann zur weiteren Verfestigung der Ausbeutungsverhältnisse auf dem internationalen Reproduktionsmarkt bei.Eine dritte Form reproduktiver Fremdbestimmung droht uns schließlich allen in unserer Eigenschaft als demokratische Bürgerinnen und Bürger. Unsere politische Freiheit würde massiv beschnitten, wenn die Bundesregierung mit Hilfe der neuen Kommission eine „expertokratische“ Reproduktionspolitik in die Wege leiten sollte: Wenn sie diese Kommission entsprechend ihres Leitbilds von reproduktiver Selbstbestimmung zusammensetzt – um dann eine Legalisierung der genannten Technologien mit Bezug auf die Expertise ihres Beratungsgremiums als politisch alternativlos zu deklarieren.Fragen, welche Formen reproduktiver Selbstbestimmung gefördert und welche bekämpft werden sollen, sind genuin politische Fragen. In einer Demokratie dürfen sie weder dem globalen Reproduktionsmarkt noch einem Expert:innengremium überantwortet werden. Sie gehören breit und kontrovers diskutiert. Hier sind die Regierungsparteien, das Parlament und die Zivilgesellschaft gefordert. Aktuell haben die Regierungsparteien für eine pluralistische Besetzung ihrer neuen Kommission Sorge zu tragen.Die Kommission kann nämlich nur dann als demokratisches Beratungsgremium fungieren, wenn sie einen interdisziplinären Blick auf die heikle Problematik wirft. Es sollte nicht nur die Reproduktionsmedizin vertreten sein, die überwiegend auf die neuen Behandlungschancen abhebt; wichtig wären auch die kritischen Perspektiven aus der philosophischen Ethik, der politischen Philosophie und den Sozialwissenschaften, die die neuen Reproduktionstechnologien gesellschaftlich kontextualisieren und neue Herrschaftsstrukturen aufdecken.Informiert von solch einer plural besetzten Kommission wäre in den kommenden Jahren im Parlament und in der Öffentlichkeit über die Nutzung neuartiger Reproduktionstechnologien zu streiten. Zu gewinnen ist enorm viel: eine genuin demokratische Form reproduktiver Selbstbestimmung.Placeholder authorbio-1