Verstößt BRD gegen UN-Behindertenkonvention?

Zwangspsychiatrie Ende März wurde die Umsetzung der wurde die Umsetzung der UN-Behindertenkonvention erstmals vor dem UN-Fachausschuss geprüft.

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Dabei ging es auch um die Frage, ob die in Deutschland praktizierten psychiatrischen Zwangsmaßnahmen und Zwangsbetreuungen mit der UN-Konvention vereinbar sind. Peter Nowak sprach mit Rene Talbot von Landesverband Psychiatrieerfahrener Berlin-Brandenburg.

"Zwangspsychiatrie und Zwangsbetreuung sind mit der UN-Behindertenkonvention unvereinbar“

1. Sie waren Teilnehmer einer Anhörung des UN-Fachausschuss für die Rechte der Menschen mit Behinderungen, der am 26. und 27. März den deutschen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) in Deutschland geprüft hat. Welche Probleme hat der Ausschuss angesprochen?

Ich konnte die Sitzungen des UN-Fachausschuss in Genf über eine Live-Internetübertragung verfolgen. Von den vielen Fragen und Problemen, die in dieser 13. Sitzung des Komitees angesprochen wurden, will ich mich auf die beschränken, die mit der gemeinsamen Eingabe der beiden bundesweiten Organisationen Psychiatrie-Erfahrener an das Komitee zu tun haben. Dabei geht es um einen zentralen Punkt in der BRK, den Artikel 12, in dem die gleiche Anerkennung vor dem Recht festgeschrieben ist. Dessen Satz 2 lautet:

Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen.

Grundsätzlich ist damit alles unvereinbar, was die Zwangspsychiatrie ausmacht: Zwangsdiagnose, Zwangseinweisung, Zwangsbehandlung und alles zusammen, wenn man nach einer Straftat wegen Schuldunfähigkeit mit dem § 63 StGB zu unbefristetem Dauerknast in der forensischen Psychiatrie verurteilt werden sollte, sowie scheinheilig „Betreuung“ genannte Entmündigung, alles Instrumente, um den Willen zu brechen oder brechen zu können und damit zu drohen. Weil die Staatenseite aber schon in der Entstehungsphase der BRK das explizite Verbot der Zwangspsychiatrie verhindern wollte, wurde als Kompromiss dieses Verbot nur implizit, sozusagen verdeckt in die BRK aufgenommen. Damit war ein Streit um die Interpretation in den ratifizierenden Staaten vorprogrammiert, denn von staatlicher Seiten gab es nie das Interesse an einer Veränderung der Praktiken, sondern nur das Interesse, irgendeine internationale Vereinbarung zu treffen, um Kritik mit Verweis auf diese “großartigen” Vereinbarungen abzuwehren. Um dem entgegen zu wirken, hatte der UN-Fachausschuss im Mai letzten Jahres einen richtungsweisenden „Comment Nr. 1“ erarbeitet und veröffentlicht, mit dem unmissverständlich klargestellt wurde, dass rechtlich stellvertretende „Betreuung“ unvereinbar mit der BRK ist, solange jemand das nicht will und sich entsprechend äußert. Auf dieser Grundlage haben wir wiederholt vom Gesetzgeber gefordert, dass durch eine Gesetzesnovelle jede Betreuung gegen den erklärten (in Juristendeutsch: „natürlichen“) Willen einer Person weder eingerichtet noch fortgesetzt werden darf. Die Antwort von der Fraktionsführung der CDU im Bundestag und dem Staatssekretär des SPD geführten Justizministeriums war: Nein, das wollen wir nicht und der „Comment Nr. 1“ ist für uns unmaßgeblich.

2. Welchen Stellenwert hatten dort die in Deutschland praktizierten staatlichen Zwangsmaßnahmen und die Zwangsbetreuung?

Mein Eindruck war, dass möglicherweise durch unsere Eingabe mit der Forderung, dass Deutschland als Menschenrechtsverbrecherstaat verurteilt werden soll, vom Komitee so nachdrücklich Fragen an die Regierungsvertreter gestellt wurden, dass sich daraus schließen lässt, dass beides vom Komitee sehr wichtig genommen und verurteilt werden wird. Am 17.4. wird der Bericht des Komitees veröffentlicht. Dann wird es darauf ankommen, was sich hinter den Kulissen tut, insbesondere wie das UN-Hochkommissariat seinem Fachkomitee den Rücken stärkt.

3. Sie kritisierten, dass die Gesetzgebung des Bundes und der Länder nicht im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention stehe. Können sie Beispiele nennen?

Alle drei Säulen der Zwangspsychiatrie sind mit Ratifizierung der BRK in der BRD Unrecht geworden, also Zwangsbetreuung gemäß § 1896 BGB etc., Forensik durch § 63 StGB und alle landesgesetzlichen PsychKGe bzw. Unterbringungsgesetze, in Hessen das Freiheitsentziehungsgesetz. Besonders krass ist, das nachdem die BRK am 1.1.2009 als Gesetz in Kraft getreten ist, skrupellos neue, mit der BRK unvereinbare Unrechtsgesetze zur psychiatrischen Zwangsbehandlung beschlossen wurden: 2013 zuerst der § 1906 im BGB, dann der Reihe nach in Baden-Württemberg und Hamburg, gefolgt 2014 vom Saarland, dann Rheinland Pfalz, Bremen, Brandenburg, Sachsen. In Berlin hat der Gesundheitssenator einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Zwangspsychiatrie sogar mit Securitate-Terror Methoden aufrüsten will.

4. Sind Länderregierungen, in denen die Grünen oder die Linke mitregieren, für Ihre Forderung nach Abschaffung der Zwangsmaßnahmen aufgeschlossener oder gibt es keine Unterschiede zwischen den Länderregierungen?

Baden-Württemberg mit seinem grünen Ministerpräsidenten war der Vorreiter bei den Ländern. Die LINKE wird sich in Thüringen bald entscheiden müssen. Dort gibt es keine Ausrede mehr, dass man ein illegales psychiatrisches Sondergesetz deshalb mitmachen müsse, weil sonst der größere Koalitionspartner damit drohen könnte, die Koalition platzen zu lassen. Wenn es trotzdem in Thüringen zu einem neuen psychiatrischen Sondergesetz kommen sollte, dann wäre das ein glatter Wahlbetrug, weil 2013 die LINKE BRK-konform die Abschaffung aller psychiatrischen Sondergesetze in ihrem Bundestagswahlprogramm explizit festgeschrieben hat. Als kleinerer Koalitionspartner hat sie dieses Versprechen in Brandenburg schon einmal gebrochen. Wenn die LINKE in Thüringen dieses Wahlversprechen halten sollte, könnte sie den Beweis erbringen, dass sie anti-stalinistisch geworden ist, weil sie allein – im Gegensatz zu allen Westparteien! – die Freiheitsrechte des Individuums über ein therapeutisches Privileg des Staates stellt und dieses Kerkersystem mit Folterregime (M. Foucault) tatsächlich abschafft, wo sie die Macht dazu hat.

5. Welche Rolle spielt das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ bei der Untersuchung?

Dessen Rolle ist zwiespältig. Das Institut wird von der Bundesregierung bezahlt, soll aber mit der dort angesiedelten „Monitoringstelle“ der nationale Hüter der BRK sein. Diese Aufgabe hat es leider in Hinsicht auf diesen Staatenbericht missachtet und sich gegen unseren Willen und obwohl wir detailliert argumentiert und aufgeklärt hatten die Forderung der Berufsbetreuer nach einer Ausbildungs- und Berufsordnung zu eigen gemacht, ohne zur notwendigen Bedingung gemacht zu haben, dass vorher unsere Forderung nach einer Gesetzesänderung erfüllt worden sein muss, so dass eine Betreuung gegen den erklärten Willen der Betroffenen weder eingerichtet noch fortgesetzt werden darf. Wenn die Monitoringstelle so weitermachen, wird sie zu einer Regierungsgefälligkeit und zum Teil der „Betreuer“lobby. Sie droht die BRK so zu verbiegen, dass sie zu einer Fallgrube für die Selbstbestimmung Behinderter wird. Wir sind maßlos enttäuscht und hoffen, dass die Monitoringstelle einhält und endlich ihren Kurs ändert.

6. Auf der Homepage des Instituts für Menschenrechte wird die “kompetent besetzte 30-köpfige deutsche Delegation unter Leitung der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Gabriele Lösekrug-Möller lobend erwähnt, die für die kritischen und teilweise detaillierten Fragen der internationalen Expertinnen und Experten in begrüßenswert offener Weise geantwortet und sich dabei bemüht, auf die zahlreichen Punkte, die angesprochen wurden, ausführlich und gleichzeitig mit der gebotenen Kürze einzugehen. Das liest sich wie Hofberichterstattung. Welchen Eindruck machten die Mitglieder der deutschen Delegation auf Sie?

Das genaue Gegenteil: gerissene Heuchler versuchten sich mit Lügen und wohlfeilen Gesten ihrer Verantwortung zu entziehen, so dass die Missachtung der UN und des Fachausschusses in den Kernpunkten der BRK nicht auffällt.

7. Wie rechtfertigten sie, dass es in Deutschland weiterhin psychiatrischen Zwang gibt?

Mit zwei platten Lügen:

a) In der BRK stünde, dass es nur dann eine unerlaubte Diskriminierung wäre, wenn allein aufgrund einer Behinderung eingesperrt würde usw. Wenn eine Zusatzbedingung hinzukäme, z.B. Selbst- oder Fremdgefährdung, wären alle diese Sondergesetze BRK konform. Das allein angeblich in der BRK stünde, ist schlicht erfunden, hingegen heißt es in Artikel 14 explizit: … dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt.
b) Ein fremdbestimmtes Wohl könne konform mit der BRK dann gegen die Selbstbestimmung ausgespielt werden, wenn ein Mediziner behauptet, die Person könne bedingt durch ihre Krankheit ihren Willen nicht mehr frei bestimmen. Dann seien unter bestimmten Bedingungen alle grund- und menschenrechtsverletzenden Zwangsmaßnahmen zu rechtfertigen. Zynisch wurde gefolgert, dass rechtliche Stellvertretung so zu einer unterstützenden Entscheidungsfindung werde.

Die Aussage des UN-Sonderberichterstatters über Folter, Juan Méndez, dass psychiatrische Zwangsbehandlung Folter ist, wurde von den Vertretern der Bundesregierung einfach mit einem „Das sehen wir anders“ negiert.

8. Ist die Anhörung unverbindlich oder welche Konsequenzen hat es, wenn die Bundesregierung die Maßgabe der UN-Behindertenkonvention weiterhin missachtet. Kann sie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden?

Das ist die entscheidende Frage, denn jetzt ist es zu einem Machtkampf geworden, ob die Menschenrechte ausbuchstabiert in der UN-BRK verbindlich gelten sollen, oder die BRD trotz dem Bekenntnis zu den Menschenrechten im Grundgesetz Artikel 1 (2) geschützt durch ihre Souveränität alles für unverbindlich erklären kann, was der Fachausschuss auch beschließen mag. Da die Menschenrechte auf den gewaltfreien Umgang der Menschen untereinander abzielen, wäre es ein innerer Widerspruch, wenn versucht werden sollte, sie mit Gewalt durchzusetzen. Diese Gewaltfreiheit in der Durchsetzung versucht die BRD schamlos aus zu nutzen. Der UN Fachausschuss hat dann nur politische und appellative Mittel, keine Exekutive, kein Strafgericht. Der Fachausschuss muss jetzt gewaltfrei seine Autorität herstellen. Misslingt das, wird jeder Comment aber auch jeder Staatenbericht zur Floskel. Der Fachausschuss kann dazu meiner Meinung nach nur innerhalb der UN die übergeordneten Instanzen, insbesondere das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte ansprechen, dass dann mit dem Kanzleramt Kontakt aufnimmt. Wenn dort drohen sollte, dass die heuchlerische Menschenrechtsfassade als Camouflage auffliegt, dann könnte von der Regierungsspitze, also dem Kanzleramt, Druck auf die Ministerien ausgeübt werden, den Comment Nr. 1 und den Staatenbericht ernst zu nehmen und umzusetzen, insbesondere jede Betreuung gegen den erklärten Willen der Betroffenen per Gesetzesnovelle auszuschließen. Damit würde die BRK erfüllt und die darin festgeschriebene gleiche Rechts- und Handlungsfähigkeit mit Anderen durch eine unterstützende Entscheidungsfindung erfüllt, die an den Willen der Betroffenen gebunden ist, Betreuung würde wie zu einer Bevollmächtigung. Wenn die BRD Regierung allerdings mit ihren Lügenmärchen ungeschoren davon käme, wäre die BRK politisch tot.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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