Gegen den Staat: Ist Deutschland souverän?

Rechter Rand Reichsbürger halten die Bundesrepublik Deutschland nicht für souverän. Sie melden sich ab und gehen in die Selbstverwaltung

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Die Frage, ob Deutschland (BRD) ein souveräner Staat ist, kann nicht ohne Weiteres mit "ja" beantwortet werden. Deutschland hat - auf der Grundlage von Artikel 23 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz - Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen, ein weltweit vernetztes Finanzsystem macht den Deutschen Staat von Entwicklungen abhängig, auf die er keinen Einfluss hat.

Von diesen Beschränkungen - die einer absoluten Souveränität entgegenstehen - abgesehen, geht die Rechtswissenschaft nahezu einhellig davon aus, dass mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (sog. Zwei-plus-Vier-Vertrag) - unterzeichnet am 12.09.1990 - die volle Souveränität Deutschlands wiederhergestellt wurde.(1)

Viele Leser mag verwundern, dass dies überhaupt eine Feststellung wert ist, zumal die deutsche Außenpolitik (das "Nein" zum Irakkrieg, das Agierung Deutschlands in der Eurokriese) nicht den Anschein erweckt, als sei dieses Land - gerade gegenüber den Alliierten - weisungsabhängig.

Im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der sogenannten Reichsbürgerbewegung muss diese Feststellung aber getroffen werden, denn die Reichsbürger behaupten besonders gerne, dass Deutschland (gemeint ist weiterhin die BRD) nicht souverän sei.(2) Auf der Grundlage dieser Behauptung melden sie sich dann von der BRD ab, gehen - wie sie es formulieren - in die Selbstverwaltung und halten sich dann, im Gegensatz zur BRD-Regierung und zum BRD-Volk (bzw. BRD-Personal), für endlich wieder souverän, zum ersten Mal seit Kriegsende.

Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag

Wenn es um die Souveränität Deutschlands geht, kommt man an dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag eigentlich nur schwer vorbei. So heißt es in Artikel 7:

(1) Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vielseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.

(2) Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.

(Hervorhebungen durch den Verfasser)

Dieser Artikel kann deutlicher nicht sein und deswegen fahren die Reichsbürger gegen den Zwei-Plus-Vier-Vertrag die ganz großen Geschütze auf. Sie behaupten, dieser Vertrag sei unwirksam, genauer: dieser Vertrag sei durch das Übereinkommen zur Regelung bestimmter Fragen im Bezug auf Berlin (das sogenannte Berlin-Übereinkommen) vom 25.09.1990 obsolet. Das Berlin-Übereinkommen sei später als der Zwei-Plus-Vier-Vertrag in Kraft getreten und nehme daher dessen Regelung über die Souveränität Deutschlands wieder zurück.

Unabhängig von der Frage, wann der Zwei-Plus-Vier-Vertrag und das Berlin-Übereinkommen in Kraft getreten sind, setzt diese Argumentation zwingend voraus, dass die genannten Verträge gerade im Hinblick auf die Souveränität Deutschlands unvereinbare Regelungen enthalten, dass der Zwei-Plus-Vier-Vertrag die Souveränität gewährt und das Berlin-Übereinkommen diese gewissermaßen wieder einkassiert. Das ist - unabhängig von der Tatsache, dass das Berlin-Übereinkommen nur mit den drei westlichen Alliierten vereinbart wurde und sich nur auf Berlin bezieht - nicht der Fall. Das Berlin-Übereinkommen kassiert die Souveränität Deutschlands nicht wieder ein, es bestätigt sie.

Die Reichsbürger berufen sich im Hinblick auf das Berlin-Übereinkommen auf folgende Artikel:

Artikel 2:
Alle Rechte und Verpflichtungen, die durch gesetzgeberische, gerichtliche oder Verwaltungsmaßnahmen der alliierten Behörden in oder in bezug auf Berlin oder aufgrund solcher Maßnahmen begründet oder festgestellt worden sind, sind und bleiben in jeder Hinsicht nach deutschem Recht in Kraft, ohne Rücksicht darauf, ob sie in Übereinstimmung mit anderen Rechtsvorschriften begründet oder festgestellt worden sind. Diese Rechte und Verpflichtungen unterliegen ohne Diskriminierung denselben künftigen gesetzgeberischen, gerichtlichen und Verwaltungsmaßnahmen wie gleichartige nach deutschem Recht begründete oder festgestellte Rechte und Verpflichtungen.

Artikel 4:
Alle Urteile und Entscheidungen, die von einem durch die alliierten Behörden oder durch eine derselben eingesetzten Gerichte oder gerichtlichen Gremium vor Unwirksamwerden der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in oder in Bezug auf Berlin erlassen worden ist, bleiben in jeder Hinsicht nach deutschem Recht rechtskräftig und rechtswirksam und werden von den deutschen Gerichten und Behörden wie Urteile und Entscheidungen deutscher Gerichte und Behörden behandelt.

(Hervorhebungen durch den Verfasser)

Auch wenn man auf den ersten Blick tatsächlich - wie die Reichsbürger - meinen könnte, die Alliierten hätten sich mit diesen Regelungen in Berlin in gewisser Weise verewigt, indem sie die Fortgeltung ihrer Maßnahmen, Urteile und Entscheidungen bis in alle Ewigkeit gesichert hätten, bedeuten diese Regelungen nahezu das Gegenteil: Diese Regelungen stellen Übergangsregelungen dar, bezogen auf den Übergang hin zur vollen Souveränität der BRD durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag. Wie Artikel 2 Satz 2 und Artikel 4 letzter Halbsatz zeigen, unterliegen die Maßnahmen, Urteile und Entscheidungen der gleichen zukünftigen Behandlung, wie alle anderen Verwaltungsmaßnahmen, Urteile und Entscheidungen. Das bedeutet, Gesetze der Alliierten können durch neue Gesetze, Gerichtsurteile können durch Rechtsprechungsänderung obsolet werden. Mit den zitierten Artikeln sollte allein verhindert werden, dass Maßnahmen, Urteile und Entscheidungen der Alliierten von einem Tag auf den anderen ungültig werden. Das hätte zu chaotischen Zuständen geführt. Die Maßnahmen, Urteile und Entscheidungen der Alliierten sollten daher weiter gelten, so lange sie nicht im rechtsstaatlichen Verfahren geändert oder aufgehoben werden. Das unterstreicht die Souveränität Deutschlands und stellt sie gerade nicht in Frage.

Kein Friedensvertrag?

Das Thema Friedensvertrag hat innerhalb der Reichsbürgerbewegung eine nahezu elektrisierende Wirkung. Nach Auffassung der Reichsbürger befindet sich Deutschland - mangels Friedensvertrag - noch immer im Kriegszustand und ist damit auch nicht souverän.

Neben der Funktion, die Beendigung von Kriegshandlungen festzustellen, hat ein Friedensvertrag die Aufgabe, auch die weiteren, im Zusammenhang kriegerischer Auseinandersetzungen stehenden Fragen zu klären, so etwa die Aufnahme friedlicher Beziehungen, die Regelung territorialer Fragen, die Aufhebung einer Besetzung, die Leistung von Reparationen, die Rückführung von Kriegsgefangenen und die Vereinbarung zukünftiger Sicherheitsstrukturen. (3)

Der Zusammenhang, den die Reichsbürger zwischen einem fehlenden Friedensvertrag und fehlender Souveränität herstellen, ist also nicht von der Hand zu weisen. Wie kann Deutschland souverän sein, wenn territoriale Fragen ungeklärt sind und die Besetzung nicht aufgehoben wurde?

Was die Reichsbürger allerdings übersehen ist, dass es im Völkerrecht anerkannt ist, dass die Folgen eines Friedensvertrags auch auf andere Weise erreicht werden können.(4) So schreibt der Staatsrechtler Klaus Stern:

Ein zusätzlicher Friedensvertrag ist daher weder geplant noch macht er Sinn. Alles, was ein Friedensvertrag füglich enthalten sollte, ist mithin geregelt. Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag ersetzt damit Kraft seines auf mehr als Frieden gerichteten Inhalts jeden Friedensvertrag mit den Kriegsgegnern.(5)

Es ist also wie so oft bei den Reichsbürgern. Sie kleben formaljuristisch an Begriffen und übersehen, dass der Jurist nicht nur Fragen darf, wie etwas heißt, sondern auch fragen muss, welchen Inhalt etwas hat. Die Frage, ob der Zwei-Plus-Vier-Vertrag einen Friedensvertrag ersetzt oder sogar ein Friedensvertrag ist, kann offen bleiben. So schreibt der Staatsrechtler Hartmut Maurer:

Dieser Vertrag (Anm. d. Verf.: gemeint ist der Zwei-Plus-Vier-Vertrag) ersetzt den Friedensvertrag oder ist sogar der Friedensvertrag, der noch ausstand und auf den im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder verwiesen worden ist.(6)

Kronzeuge Wolfgang Schäuble

Die Reichsbürger verweisen gerne auf Aussagen deutscher Spitzenpolitiker, welche ihre Thesen angeblich bestätigen. In der Reichsbürgerbewegung ist die Auffassung verbreitet, dass deutsche Spitzenpolitiker die "Wahrheiten", die die Reichsbürger verbreiten, kennen und sie in einem schwachen Moment dann eben auch mal ausplaudern.

Besonders gerne berufen sich die Reichsbürger auf Wolfgang Schäuble und auf eine Aussage aus dem Jahr 2011:

"Wir in Deutschland sind seit dem 08.Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen."

Da haben wir es doch! Oder nicht? Es ist fast ein wenig enttäuschend festzustellen, dass dieses Zitat schlicht aus dem Zusammenhang gerissen ist. Das Zitat stammt aus einer Rede vom 18.11.2011 auf dem 21. Europäischen Bankkongress und lautet im Zusammenhang:

"Die Kritiker, die meinen, man müsse eine Konkurrenz zwischen allen Politikbereichen haben, die gehen ja in Wahrheit von dem Regelungsmonopol des Nationalstaates aus. Das war die alte Ordnung, die dem Völkerrecht noch zu Grunde liegt, mit dem Begriff der Souveränität, die in Europa längst ad absurdum geführt worden ist - spätestens in den zwei Weltkriegen der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Und wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen. Das wusste übrigens das Grundgesetz, das steht schon in der Präambel 1949 – das Ziel, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.

Der Grundgedanke ist, das war gar nicht so europaselig oder romantisch, die klare Einsicht jedenfalls in Europa - das mag in anderen Kontinenten anders sein - dass in Europa alle Nationalstaaten, die kleinen wie Luxemburg, aber auch die relativ großen wie Deutschland, nicht in der Lage sind, all die Probleme in souveränen Entscheidungen zu lösen, die in der globalen Welt - und das gilt im 21. Jahrhundert viel mehr, als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – anstehen.

Deswegen ist der Versuch, in der europäischen Einigung eine neue Form von governance zu schaffen, wo es eben nicht eine Ebene gibt, die für alles zuständig ist und die dann im Zweifel durch völkerrechtliche Verträge bestimmte Dinge auf andere Ebenen überträgt, nach meiner festen Überzeugung für das 21. Jahrhundert ein sehr viel zukunftsweisenderer Ansatz, als der Rückfall in die Regelungsmonopolstellung des klassischen Nationalstaates vergangener Jahrhunderte."(7)

(Hervorhebungen durch den Verfasser)

Es ging in dieser Rede also nicht um die Ungültigkeit des Zwei-Plus-Vier-Vertrags und auch nicht um den Umstand, dass Deutschland noch immer keinen Friedensvertrag hat. Es ging - und insoweit kann auf den ersten Absatz dieses Beitrags verwiesen werden - um die Rolle Deutschlands in einer globalisierten Welt und als Teil der Europäischen Union.(8)

Die Reichsbürger liegen also gar nicht falsch, wenn sie die volle Souveränität Deutschlands in Abrede stellen. Wenn es aber um die Begründung für diese These geht, zeigt sich, dass die Reichsbürger nicht im 21. Jahrhundert, sondern in einer Phanatsiewelt leben.

(1) siehe etwa Maurer, Staatsrecht, C.H. Beck 1999, Seite 115, Rn. 76
(2) z.B.: http://www.deutsches-reich-heute.de/html/index2.php
(3) v. Goetze, Die Rechte der Alliierten auf Mitwirkung bei der deutschen Einigung, Neue Juristische Wochenschrift, 1990, Seite 2168.
(4) v. Goetze, aaO, Seite 2167
(5) Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, C.H. Beck 2000, Band V, § 135, S. 2071.
(6) Maurer, aaO, Seite 114, Rn. 74
(7) http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Reden/2011/2011-11-18-european-banking-congress.html?view=renderPrint
(8) Vergleiche die Stellungnahme von Schäuble selbst auf: http://www.abgeordnetenwatch.de/dr_wolfgang_schaeuble-575-37919--f317775.html

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